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Die Hand des Kapitäns. Bastian Schweinsteiger bereitet mit dieser Aktion das Elfmetertor für Frankreich zum 1:0 vor.

© Reuters

Letztes Länderspiel des deutschen Kapitäns?: Bastian Schweinsteiger und die vergangene Gegenwart

Bastian Schweinsteiger beginnt das EM-Halbfinale als starker Anführer. Dann bekommt der gute Eindruck auf einmal schweren Schaden. Tritt er jetzt aus der Nationalelf ab?

Ist am Donnerstag in Marseille eine große Karriere zu Ende gegangen? Um kurz nach halb elf winkt der Bundestrainer seinen Kapitän zur Seitenlinie. Frankreich führt 2:0, Bastian Schweinsteiger ist daran nicht ganz unbeteiligt gewesen, und jetzt muss er gehen. Eine Viertelstunde vor dem Ende seines 120. Länderspiels, es könnte sein letztes gewesen sein. Schweinsteiger klatscht Joachim Löw ab, versucht die Andeutung eines Winkens und setzt sich auf die Bank. Aus und vorbei.

Dabei geht es ganz gut los in dieser Nacht von Marseille. Also, bevor es richtig losgeht, denn Schweinsteiger gewinnt die Seitenwahl gegen den französischen Kapitän Hugo Lloris. Das fügt sich schön in die aufgeladene Symbolik dieses Halbfinales, denn die deutsche Mannschaft hat die zwölf Pflichtspiele gewonnen, wenn Schweinsteiger in der Startelf stand. Auf zur verflixten 13!

Drückend steht die Luft nach einem heißen Sommertag im Stade de Vélodrome. Schweinsteiger muss schon nach ein paar Sekunden in ein erstes Kopfballduell mit Olivier Giroud, es findet keinen eindeutigen Sieger. Als er das nächste Mal mit dem Kopf eingreift, entsteht daraus der erste gefährliche Angriff der Franzosen. Der Ball fällt vor die Füße von Antoine Griezmann, der leitet weiter auf Dimitri Payet, nach dessen Dribbling Emre Can gerade noch so zur Ecke klären kann.

Schweinsteigers Aufstellung war nicht ganz unumstritten. Er hat in dieser Saison ganze 18 Spiele für Manchester United gemacht, das letzte Mitte März. Wie sehr ihm die Matchpraxis fehlt, war schon im Viertelfinale gegen Italien zu sehen, als er früh für Sami Khedira ins Spiel kam, viel mit seiner Routine abwickelte, aber doch weit weg war vom strategischen Geschick seiner besten Tage. Gegen Frankreich steht Schweinsteiger sehr tief, weit hinter seinem Passmann Can, mit dem er nicht, wie zuvor vermutet, eine Doppel-Sechs bildet. Der Kapitän macht den Job in der defensiven Zentrale allein. Als eine Art Libero vor der Innenverteidigung versucht er das zu Beginn vogelwilde Spiel der deutschen Mannschaft zu beruhigen. Schweinsteiger hat viele Ballkontakte, immer wieder suchen ihn die Kollegen, und wer weiß schon, ob sie damit ihn beruhigen wollen oder sich selbst.

Es ist Schweinsteigers 38. Spiel bei einem großen Turnier

Die intensive Teilhabe am Spiel tut Schweinsteiger gut. Er findet seinen Rhythmus und mit ihm auch die gesamte Mannschaft. Selten sucht er die Konfrontation mit Paul Pogba, dem französischen Antreiber, der die zentrale Position im Mittelfeld sehr viel stürmischer interpretiert. Aber Pogba ist auch erst 23, acht Jahre jünger als Schweinsteiger. Es ist sein 38. Spiel bei einem großen Turnier, so viele hat kein anderer deutscher Nationalspieler. Erfahrung gleich vieles aus. Schweinsteiger läuft nicht mehr so viel wie früher, aber er läuft klug. Und er beschränkt sich nicht nur auf seine Rolle als Anspiel- und Verteilerstation, sondern arbeitet auch aufmerksam in der Defensive. Gleich zweimal trennt er in Höhe der Mittellinie den Wirbelwind Griezmann vom Ball, da raunt auch das französische Publikum anerkennend. Dass die Deutschen das Spiel bald sicher im Griff haben, verdanken sie auch ihrem Kapitän. Mit zunehmender Zeit wird er mutiger. Aus der Distanz zirkelt Schweinsteiger den Ball auf das französische Tor und Hugo Lloris hat schon einige Mühe, die Hand dranzubekommen.

Dann läuft die Nachspielzeit de ersten Halbzeit, und der großartige Eindruck, den Schweinsteiger bisher hinterlassen hat, erfährt schweren Schaden. Im Strafraum taumelt er ungeschickt in einen Zweikampf mit Evra, reißt dabei auch noch den Arm hoch, und touchiert den Ball mit der Hand. Das gibt Gelb für Schweinsteiger und Elfmeter für die Franzosen, die wahrscheinlich selbst gar nicht wissen, wie ihnen da geschieht. Die Exekution zum 1:0 für Frankreich verfolgt Schweinsteiger mit einer Mischung aus Trotz und Verzweiflung. Er braucht in der zweiten Halbzeit ein paar Minuten, um sich zu sammeln, spielt dann weiter weitgehend fehlerlos, aber es fehlt die Dominanz der ersten Halbzeit. Es ist Jerome Boateng, der das Spiel mit seinen langen Diagonalpässen nach vorn treibt. Schweinsteiger dient ihm zunächst als Adjutant und muss nach dem verletzungsbedingten Ausfall des Münchners doch wieder alle Verantwortung übernehmen. Seine Pausen werden länger und die Schritte kürzer, es kommt zu ersten Missverständnissen mit den Kollegen. Schweinsteiger gestikuliert, aber er dirigiert nicht mehr. Beim vorentscheidenden 2:0 kommt er einen Schritt gegen den neuerlichen Torschützen Griezmann, bei zweitem Hinsehen ist ihm schuldhaftes Verhalten in dieser Szene durchaus zu unterstellen.

Kurz danach ist Schluss für Schweinsteiger. Die Vergangenheit macht Platz für die Zukunft, sie heißt Leroy Sané. Schweinsteiger hat gegeben, was er geben konnte, er war aktiver als gegen Italien und bis zum Elfmeter richtig gut. Aber wahrscheinlich ist seine Zeit in der Nationalelf in Marseille zu Ende gegangen.

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