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Sport: Liebe Feinde

Union empfängt erneut Mainz 05 – und erinnert sich an eine unangenehme Geschichte

Von Karsten Doneck

Berlin. Unliebsamen Gesprächen geht Kostadin Widolow gerne aus dem Weg. „Nix verstehn“, sagt er dann. Begriffsstutzig ist der Bulgare aber keineswegs. Über alle Sprachbarrieren hinweg verstand der Spielmacher des Fußball-Zweitligisten 1. FC Union sehr wohl, dass Mainz 05 im Stadion an der Alten Försterei nicht unbedingt ein gern gesehener Gast ist. Und nachdem er da also im letzten Spiel der vorigen Saison sieben Minuten vor Ultimo das 2:1 für seine Elf erzielt hatte, rannte Widolow zur Mainzer Bank, kniete ein paar Meter davor nieder und legte demonstrativ den Zeigefinger auf die Lippen. „Mund halten!“ bedeutete das. Die Geste war gemünzt auf Jürgen Klopp, den Mainzer Trainer. Der soll im Umfeld des Hinspiels in Mainz die Berliner angeblich beleidigt haben. Angeblich, wohlgemerkt. Union sei technisch nicht so stark, lebe mehr vom Kämpferischen – das war das erste Zitat von Klopp, das irgendwo gedruckt stand und in Köpenick die Runde machte. Nach ein bisschen Mund-zu-Mund-Propaganda hieß es unter den Fans kurze Zeit später, Klopp habe Union als „Kloppertruppe“ beschimpft.

Jürgen Klopp, ein junger, dynamischer und intelligenter Trainer, Sportwissenschaftler mit Diplom, hat nachher beteuert, die Zitate seien frei erfunden gewesen. Er halte im Gegenteil Union für eine sehr starke Mannschaft. Den Lauf der Dinge konnte er damit nicht aufhalten. Als Mainz zum Rückspiel in der Alten Försterei auflief, schlug dem Trainer und seinen Spielern fast schon Feindseligkeit entgegen, von den Rängen und den Union-Spielern. Es war eine ungewohnte Stimmung in der Alten Försterei: hitzig wie sonst, aber auch etwas bösartig.

Für heute, da der Saisonausklang zur Saisoneröffnung wird, weil Union nämlich im ersten Zweitligaspiel der Serie 2002/03 gleich wieder auf Mainz 05 trifft (15 Uhr, Alte Försterei), mahnt Union-Präsident Heiner Bertram mehr Freundlichkeit an. „Man muss fair umgehen mit dem Gegner“, sagt er. Die Vorfälle vor exakt 98 Tagen sah Bertram indes nicht gar so dramatisch: „Ich habe noch nie ein Spiel erlebt, wo der Gegner von unseren Fans in übler Form belästigt wurde. Unsere Fans sind phantasievoll, enthusiastisch und manchmal eben auch sarkastisch.“

Aber diese Fans pflegen auch seit Jahrzehnten ihre Feindbilder. Früher war der BFC Dynamo das Objekt ihrer Abneigung. Das war dann immer auch ein Stück Auflehnung gegen das DDR-System. BFC Dynamo – der Klub repräsentierte eben die ungeliebte Staatsmacht, Union – das waren die Aufsässigen. Zwei Vereine, ein Poltikum. Nach der Wende, der BFC Dynamo versank in der Bedeutungslosigkeit, erkoren die Union-Fans Tennis Borussia zum roten Tuch. Grund: Union war vor TeBe in die Zweite Liga aufgestiegen, wurde aber vom Deutschen Fußball-Bund gestoppt. Union hatte sich mit einer gefälschten Bankbürgschaft die Lizenz erschummelt. Die Fans verteufelten aber nicht etwa den damaligen Union-Vorstand als Schuldigen in dieser Affäre, sondern TeBe.

Ist nun der FSV Mainz 05 das neue Feindbild? Ausgerechnet Mainz, ein harmloser Klub ohne Skandalgeschichten, eher nett daherkommend, mit einem im übrigen Lande viel Lob und Anerkennung findenden Trainer. Ein Klub auch, dem viel Mitleid zuteil wurde, als er im letzten Spiel der vorigen Saison durch die 1:3-Niederlage bei Union den fast sicheren Aufstieg vergeigte.

Heiner Bertram erinnert sich noch gut an jene Szene von Widolow nach dem 2:1. Dem besonnenen Präsidenten gefällt so etwas nicht. „Man muss nach so einem Tor nicht auf die Trainerbank des Gegners zulaufen und irgendwelche Mätzchen machen“,rügt er. Und wenn Bertrams Worte Spieler und Fans erreichen, können sich heute alle ja ausschließlich auf Fußball konzentrieren.

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