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Sport: Liebe Worte, alte Wunden

Das besondere Verhältnis zwischen Bayern und Cottbus

Von Sandra Dassler

Cottbus. Soll ja keiner sagen, dieser Mann sei perfekt. „Sorry Cottbus! Selten habe ich mich so getäuscht“, hat Franz Beckenbauer der „Bild“-Zeitung mitgeteilt. Dass er Energie Cottbus vor fünf Wochen einen „hoffnungslosen Fall“ nannte, „war mein schönster Irrtum“. Jetzt aber sind die Cottbuser die beste Rückrundenmannschaft der Liga, und sie empfangen heute den FC Bayern München im Stadion der Freundschaft. Prompt warnt Franz Beckenbauer: „Jede Arroganz wird in Cottbus bestraft.“

Das Spiel im Stadion der Freundschaft ist längst ausverkauft. Gegen die Bayern zu spielen, das ist für einen Klub wie Energie Cottbus etwas ganz Besonderes. Auch für Trainer Eduard Geyer. Der kann sich noch sehr genau an eine Begegnung mit Bayern-Manager Uli Hoeneß erinnern. 1973 war es, als die Bayern im Cup der Landesmeister auf die Mannschaft von Dynamo Dresden trafen. Dort war Geyer Verteidiger, und er hatte nur eine Aufgabe: den Bayern-Stürmer Uli Hoeneß auszubremsen. Im Hinspiel in München war ihm das gelungen, beim Rückspiel in Dresden scheiterte er kläglich: Hoeneß lief ihm einfach davon. Warum er immer daran erinnert werden müsse, hat Geyer geklagt. Sein Versagen konnte er sich selbst am wenigsten verzeihen.

Am 14. Oktober 2000 gab es so etwas wie Genugtuung für ihn. Die Bayern mussten damals nach Cottbus reisen, und mit ihnen Manager Hoeneß. Es war ein ungleicher Kampf, es spielte der Tabellenletzte gegen den Tabellenersten – und Cottbus gewann 1:0. „Das Wunder der Lausitz“ – so haben die Zeitungen getitelt, und als das Ergebnis in den anderen Bundesligastadien eingeblendet wurde, jubelten die Menschen. Das ist meistens so, wenn Bayern verliert, aber an diesem Tag kam zum üblichen Neid noch der kollektive Zorn über Uli Hoeneß hinzu. Der hatte kurz zuvor die ungeheuerlichen Kokain-Gerüchte um Trainer Christoph Daum gestreut und fast alle gegen sich aufgebracht. Wenige Wochen später wendete sich das Blatt, aber an jenem 14. Oktober war Uli Hoeneß sehr, sehr unbeliebt. Als er nach der Niederlage unter gellenden Pfiffen das Stadion der Freundschaft verließ, da schloss Energie-Trainer Geyer für einen kleinen Moment die Augen und genoss den Augenblick. An jenem Tag war Hoeneß weit unten – und Cottbus und Geyer waren ganz oben.

In den nächsten vier Begegnungen unterlagen die Cottbuser den Bayern haushoch. Nichts anderes wäre für das Spiel am heutigen Sonnabend zu erwarten gewesen, wenn nicht . . . – ja, wenn nicht eben Beckenbauer den Cottbusern bescheinigt hätte, ein „hoffnungsloser Fall“ zu sein. Die Cottbuser waren empört, aber vor allem: motiviert. Denn immer wenn sie abgeschlagen sind, dann kommen sie wieder. So war das ständig in den vergangenen drei Jahren. Energie war auf dem besten Wege, die Bayern niederzukämpfen … – ja, wenn sich Franz Beckenbauer jetzt nicht korrigiert hätte. Mit Verständnis, mit Lob gar, können sie in Cottbus schlecht umgehen. Die Bayern haben das ganz clever gemacht, so wenige Stunden vor dem Anpfiff.

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