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Lindsey Vonn wartet in Vail noch auf den großen Erfolg

© AFP

Lindsey Vonn bei der Ski-WM: Die Drama-Queen ist von der Rolle

Lindsey Vonn ist in den USA fast bekannter als ihre Sportart. Die Heim-WM soll ihre große Bühne sein – doch der Triumph bleibt aus.

Vail - Diesen kleinen Ausflug hätte sich Lindsey Vonn gerne gespart. Aber sie ließ sich nichts anmerken, als sie auf der Galerie oberhalb der Championships Plaza mitten in Vail stand. Sie war bei der Siegerehrung für die Besten der Abfahrt nur schmückendes Beiwerk, aber sie versuchte trotzdem zu lächeln. Die Menge unten auf dem Platz war übersichtlich, einige Österreicher, das Team von Tina Maze, die den Titel gewann, der eigentlich für Vonn gedacht war, und einige Schweizer. Aber so richtig laut wurde es nur zweimal, als Vonn die Bühne betrat und ein paar Minuten später, als der Sprecher ihren Namen brüllte. Vonn, im Abfahrtsrennen Fünfte mit mehr als einer Sekunde Rückstand, winkte hinunter zum Volk. Anschließend hätte sie schnell verschwinden können, aber sie schaute noch auf einen Sprung bei einem WM-Sponsor vorbei. Sie schien sich dabei fast ein bisschen als Privatperson zu fühlen. Sie war nicht wie sonst gestylt. Geschminkt natürlich, aber nicht auffällig. Sie trug ein dunkles T-Shirt, Jeans. Die 30-Jährige wusste, dass an diesem Abend andere im Mittelpunkt stehen würden. Ausnahmsweise.

Lindsey Vonn ist nach Weltcupsiegen die erfolgreichste Skirennläuferin der Geschichte. Sie hat Goldmedaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen gewonnen, aber diese Titelkämpfe in Vail und Beaver Creek sind etwas Besonderes für sie. Den rund 200 Kilometer von Denver entfernt gelegenen Skiort nennt sie ihre Heimat, obwohl sie in Minnesota aufgewachsen ist. Aber als sie zwölf war, siedelte ihre Familie nach Colorado um, weil Vater Alan Kildow sie noch besser fördern wollte. Bei der WM 1999 in Vail kam sie den damals Großen des Skisports als Pistenrutscherin nahe. Sie bewunderte Picabo Street, Abfahrtsweltmeisterin und Olympiasiegerin. Vonn wollte werden wie sie und erreichte viel, viel mehr. Nun ist sie das Gesicht dieser Ski-WM. „Es ist mein Heimatort, ich wollte für die Leute hier was Spezielles machen“, sagte sie. Da hatte sie gerade ihre zweite Chance auf Gold vergeben. Im Super G hatte sie zum Auftakt Bronze gewonnen. Die WM ist ihre große Bühne, aber das Drehbuch hat ihr auf einmal eine ganz andere Rolle vorgegeben. Sie ist mehr Repräsentantin ihrer selbst als strahlende Siegerin.

Schon Monate vor der WM hatte für Vonn die WM-Werbetour begonnen. Sie ließ sich für eine Titelstory in einem Hochglanzmagazin fotografieren. Statt im Rennanzug posiert sie in einem schulterfreien Paillettenkleid im Schnee, trägt Skischuhe und sitzt auf weißem Tüll. Die Geschichte zu den Fotos handelt von ihrer Stiftung, die sie vor einem Jahr gegründet hat und mit der sie junge Mädchen unterstützen will. Sie bietet Ski-Camps für Sieben- bis Vierzehnjährige mit professioneller Betreuung an. „Ich erkenne mich in diesen Mädchen wieder“, sagt sie.

Vonn ist Amerikas Sweetheart. Ihr Gesicht ist im ganzen Land bekannt, allerspätestens seit sie mit Tiger Woods liiert ist. Aber der Golfprofi hat der Popularität seiner Liebsten höchstens noch einen kleinen Schub gegeben.

Die viermalige Gesamtweltcupsiegerin war schon davor in allen großen Talkshows, auch ein paarmal bei David Letterman. Dort erregte sie 2012 Aufsehen, sie imitierte Sharon Stone in dem Film „Basic Instinkt“. Sie wurde bei „Sports Illustrated“ im Bikini abgelichtet und spielte in ihrer Lieblingsserie „Law an Order“ in einer Episode eine Sekretärin.

Aber ihre Auftritte waren oft reiner Selbstzweck. „Es gab Zeiten“, gibt sie heute zu, „da war ich süchtig nach Aufmerksamkeit.“ Am schlimmsten sei das während ihrer Depressionsphasen und vor ihrer Scheidung von Thomas Vonn gewesen. „Aber je zufriedener ich war, desto unwichtiger wurde mir, was die anderen Leute von mir denken.“ Sie hat sich verändert nach der Trennung. In Tiger Woods hat sie einen Partner auf Augenhöhe, der sie motiviert, aber nicht über sie bestimmt, wie es ihr Ehemann getan hatte.

Lindsey Vonn hat noch früher als Maria Höfl-Riesch erkannt, dass zu einer erfolgreichen Sportlerin auch eine Inszenierung abseits der Piste gehört. Sie veröffentlichte ihre Depressionen ebenso wie kleine Details der Trennung von ihrem Ehemann oder dem zwischenzeitlichen Zerwürfnis mit ihrem Vater. Privates ist bei Lindsey Vonn nur zum Teil privat. Wer ihr auf Twitter folgt, kennt ihren Hund Leo. Mit ihm, so erzählte sie einmal, hält sie während ihrer Reisen via Skype Kontakt. Leo hat sogar ein eigenes Profil bei Instagram und mehr als 10 000 Follower.

Der Präsident des Internationalen Skiverbandes (Fis), Gian-Franco Kasper, bezeichnet sie als „eine der besten PR-Mitarbeiterinnen“. Das gilt für die Fis und den US-Verband gleichermaßen. Aber in Amerika lieben sie es auch, wenn Siege mit Drama und Show verbunden sind. Die meisten ihrer Triumphe lieferten alles. Bei der WM 2009 zog sie sich beim Öffnen der Champagnerflasche eine tiefe Schnittwunde zu, vier Tage später startete sie im Slalom. Kurz vor Olympia-Beginn 2010 wurde eine Prellung nach einem Trainingssturz publikumswirksam überhöht, ein paar Tage danach holte die Drama-Queen Gold. Die grandiose Rückkehr nach ihrer schweren Verletzung 2013, als bei einem Sturz in Schladming im Knie so gut wie alles kaputtgegangen war, erfüllte die amerikanische Sehnsucht nach Heldengeschichten endgültig.

Diesmal, bei der so lange herbeigesehnten WM, fällt das Drama nun überraschend überschaubar aus. Lindsey Vonns Abschneiden ist eine ganz gewöhnliche Enttäuschung.

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