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Schwächste Glieder in der Kette.

© dpa

Sport: Linke Füße gesucht

Auch im zuletzt groß aufspielenden deutschen Team gibt es eine Schwachstelle: hinten links. Das Problem besteht seit 15 Jahren – obwohl doch ein hervorragender Linksverteidiger im Kader steht

Als nach dem Englandspiel das Urteil über die deutsche Mannschaft längst getroffen war, ließ Joachim Löw noch einen Satz fallen, den niemand mehr hören wollte. „Ich habe schon noch etwas gesehen, was wir verbessern müssen“, sagte Löw auf seinem Weg zum Mannschaftsbus. Die Abfahrt drängte, weswegen der Bundestrainer seine Ausführungen nicht konkretisieren konnte. Musste er aber auch nicht. Wenn man der verflixt gut aufspielenden deutschen Elf etwas nachsagen wollte, dann, dass sie auf ihrer linken Abwehrseite verwundbar ist.

Wenn man es positiv ausdrücken will, dann haben deutsche Nationalteams eine gewisse Übung darin, dieses Problem irgendwie in den Griff zu bekommen. Die mittlerweile zur Tradition gewordene Schwäche auf der linken, defensiven Bahn gibt es im Grunde seit den Zeiten, als Andreas Brehme zwischen 1984 und 1994 dort spielte. Brehme war es auch, der den Elfmeter zum bislang letzten deutschen WM-Titel verwandelte, gegen Argentinien, den Viertelfinalgegner am kommenden Samstag in Kapstadt. Und wenn man den jüngsten Meldungen aus dem argentinischen Lager Glauben schenken will, dann hat man auch da die linke Abwehrseite als die Achillesferse der Deutschen ausgemacht.

Die beiden Gegentore, die die deutsche Mannschaft im laufenden Turnier gegen Serbien und England hat einstecken müssen, nahmen ihre Entstehung genau auf dieser Seite. Dort kamen bisher Holger Badstuber, Marcell Jansen und Jerome Boateng zum Einsatz. Restlos überzeugen konnte keiner von ihnen. Im Geheimen hatte Löw mit Heiko Westermann für diese Vakanz in seiner Startelf spekuliert, doch der Schalker Kapitän fiel kurz vor dem Turnier verletzt aus.

„Dass wir auf der linken Seite Probleme haben, ist kein Geheimnis.“ Das sagte Teamchef Rudi Völler bereits vor zehn Jahren. Doch schon damals war der Neuigkeitswert dieser Botschaft gering. Gleiches hatten bereits seine Vorgänger Berti Vogts und Erich Ribbeck beklagt. Ja, es gab mal Zeiten im deutschen Fußball, da genügte es schon, drei, vier ordentliche Ligaspiele auf dieser neuralgischen Position abzuliefern, um in die Nationalelf berufen zu werden. Die Liste derer, die in den vergangenen 15 Jahren zum Einsatz kamen und sich als Nachfolger Brehmes auf der linken Seite probierten, ist länger als auf jeder anderen Position. Sie reicht von Ralf Weber, Jörg Heinrich, Jörg Böhme, Christian Rahn, Tobias Rau und Michael Hartmann weiter über Malik Fathi, Christian Pander, Christian Schulz bis hinein in die Jetztzeit. Selbst Christian Ziege, der es zwischen 1993 und 2004 auf 72 Länderspiele auf dieser Position brachte, konnte in seinen besten Phasen das Problem minimieren, nicht aber beheben.

Wo also ist Deutschlands neuer Brehme? Wobei ein Teil des Problems ja Brehme selbst war. Denn wer genau hingesehen hat, sah, das Brehme den finalen Elfmeter mit rechts geschossen hat!

Andreas Brehme hatte allerdings eine nicht zu unterschätzende Qualität. Der gebürtige Hamburger war beidfüßig, was es ihm ermöglichte, die Position des linken Verteidigers ohne fußballerische Qualitätsverluste zu spielen. Mit Abstrichen konnte das auch dessen Vorgänger. Gleichwohl lernte Hans-Peter Briegel, der in den Achtzigerjahren den linken Flügel beackerte, erst in Italien bei Hellas Verona beidfüßig zu spielen. Diese Form der Grundschulung wurde in Deutschland lange Zeit vernachlässigt. Und reine Linksfüßler galten in der Bundesliga als echte Rarität.

Und so ist Joachim Löw heute noch gezwungen zu improvisieren. So würde das der Bundestrainer aber nie sagen. Dass in Jerome Boateng wieder mal ein Rechtsfuß auf der linken Seite spielt, kann, muss aber nicht ein entscheidender Nachteil sein. Das tat aus Mangel an Alternativen bereits Paul Breitner bei der WM 1974. Der Rechtsfuß Breitner gilt seither als deutscher Ur-Ahn der „verkehrten“ linken Verteidiger.

Inzwischen ist es gar nicht mehr so unüblich, einen klassischen Rechtsfuß auf die linke Seite zu setzten. Rudi Völler etwa entschied sich 2004, wie zuvor Vereinstrainer Felix Magath, den damals erst 20-jährigen Philipp Lahm als Rechtsfuß auf die eigentlich unübliche Position zu schieben. Er löste die Aufgabe grandios, weshalb er das bis einschließlich der EM vor zwei Jahren tat. Doch je länger Lahm dort spielte, desto lauter sagte er, dass er sich auf der rechten Seite viel wohler fühle. Bayern Münchens Trainer Louis van Gaal erhörte ihn im vergangenen Sommer. In München spielte Lahm eine überragende Saison auf der rechten Seite, Holger Badstuber auf links.

Schließlich folgte auch Joachim Löw den Wünschen seines neuen Kapitäns und überließ Lahm die rechte Seite. Mit der Konsequenz, dass sich auf der linken Seite eine offene Flanke auftat. Holger Badstuber, dem der Bundestrainer noch im WM-Auftaktspiel gegen Australien sein Vertrauen schenkte, nahm er nach nur einem weiteren Spiel wieder raus. Gegen Ghana und England kam Boateng zum Einsatz. Mit wechselhaftem Erfolg. Große Impulse für das eigene Offensivspiel sind von dieser Position nicht zu erwarten. Vorerst reicht es, diese Flanke für gegnerische Angriffe halbwegs unbrauchbar zu machen. Man könnte auch sagen: Hier sucht der Bundestrainer noch nach der Idealbesetzung.

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