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Sport: Live von der Bahnsteigkante

Was sonst noch bei der WM geschah: kleine Beobachtungen unserer Reporter über Plastikflaschen, Bierfässer, Freundschaftskicks und eine Tabledancebar

Es muss in diesen Wochen – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – noch eine zweite Weltmeisterschaft in Deutschland gegeben haben: die Fiwa-Weltmeisterschaft. Weil diese Weltmeisterschaft die Deutsche Bahn als nationalen Förderer gewonnen hatte, wurden in deren Zügen freundlicherweise die Halbzeit- und Endergebnisse der WM-Spiele durchgesagt. Das hörte sich dann so an: „Im Spiel der Fiwa-Weltmeisterschaft zwischen Frankreich und der Schweiz steht es zur Pause null zu null. Für die Schweiz.“ Scheint ein komisches Spiel zu sein, dieses Fiwa.

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Lukas Podolski ist bekannt als Freund der knappen Aussage, egal in welcher Sprache. Nach dem Spiel gegen Argentinien wird er von einem Journalisten aus Italien auf Englisch angesprochen. Jens Lehmann, der zwei Elfmeter gehalten hatte, sei doch „very special“. Podolski sagt: „Yes, he two elfmeters and …” Er lacht und geht. Weiß doch jeder, was gemeint ist.

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Vor einer Tabledance-Bar am Münchner Hauptbahnhof steht eine Tafel auf dem Bürgersteig: „Hier alle WM-Spiele live.“

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Christoph Ebner hat ein paar Wochen in Wangen im Allgäu logiert und auf einen Anruf von Otto Pfister gewartet. Pfister ist mal Trainer der Nationalmannschaft von Togo und mal nicht, und vor ein paar Monaten suchte er einen Assistenten. Es gab ein Gespräch mit dem Fußballlehrer Ebner, der gut das togoische Amtsidiom Französisch spricht und ein Patent besitzt auf eine Art Magnettafel zur Taktikschulung. Den Job als Kotrainer hat ein Holländer bekommen, aber Christoph Ebner spricht immer mal wieder vor, er schimpft auf Pfister, den er für unfähig hält, und will selbst Cheftrainer werden. Den Togoern geht Ebner bald so sehr auf die Nerven, dass sie vor einem Testspiel in Wangen ein Hausverbot gegen ihn verhängen. Dann reist Pfister nach einem Streit um nicht gezahlte Prämien ab und ist mal wieder nicht Trainer der Nationalmannschaft von Togo. Auf einmal bietet sich eine unerwartete Perspektive für Christoph Ebner. Togos Pressesprecher spricht vom Eingang zahlreicher Trainer-Bewerbungen, es sei auch ein Deutscher dabei, „irgendein Christoph“. Am nächsten Tag fragt die „Bild“-Zeitung: „Daum zu Togo?“

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Es war bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft nicht so schwierig, ein Taschenmesser mit ins Stadion zu nehmen – aber man hätte es mal mit einer Plastikflasche versuchen sollen, sagen wir mal von Pepsi. Das gilt als Angriff auf das hohe Gut der Exklusivität der Fifa-Sponsoren (im Fall der Plastikflasche fügt der Zuschauer einem Unternehmen in Atlanta, Georgia, schweren Schaden zu). Die Sponsoren haben viel dafür bezahlt, dass sie ihre Produkte in der Bannmeile der Stadien zu, nun ja, marktgerechten Preisen anbieten dürfen. Dieses Recht auf Exklusivität ist ein hohes Gut. In Dortmund inspiziert das Sicherheitspersonal den Computer des Reporters. „Zeigen Sie mal her, hmm, Siemens, also damit kommen Sie eigentlich nicht rein, ich mache noch mal eine Ausnahme, aber das Logo müssen Sie unbedingt überkleben.“ Weniger nachsichtig wird der Reporter in Köln behandelt, als er ein Käsebrötchen ins Stadion schmuggeln will. Ein aufmerksamer Wachmann vereitelt diesen Anschlag auf die Interessen des Fast-Food-Produzenten mit dem großen gelben M. Das Brötchen muss vor dem Passieren des Drehkreuzes vertilgt werden.

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Zu den Sponsoren der WM zählte auch ein deutsches Logistik-Unternehmen, dessen Kerngeschäft in der Beförderung von Fahrgästen besteht. Das Unternehmen hat zuweilen mit Problemen in Sachen Service und Pünktlichkeit zu kämpfen. Nach dem Spiel zwischen Portugal und Angola in Köln verschuldet ein schadhafter Triebwagen die pünktliche Ankunft eines Intercity in Düsseldorf. Ein englischer Fan wird seinen Anschlusszug nach Frankfurt verpassen. Zaghaft fragt er nach beim Zugbegleiter, was denn nun zu tun sei. „Oh Frankfurt, das wird schwierig, warten Sie mal, da muss ich nachschauen.“ Das ist mehr, als der Engländer zu erhoffen gewagt hatte. In diesem Moment rollt ein Ball durch den Wagen, wahrscheinlich wird er umgehend beschlagnahmt. Doch der Mann von der Bahn lupft den Ball mit der Stiefelspitze hoch und lässt ihn zwei-, dreimal auf seinem Oberschenkel tanzen. Mit Beifall wird er verabschiedet. Zwei Minuten später dröhnt es aus dem Lautsprecher: „Der Fahrgast nach Frankfurt erreicht seinen Anschlusszug um 0 Uhr 32 in Düsseldorf auf Gleis sieben.“

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Freud und Leid, so ist das im Fußball, lagen auch bei dieser WM sehr dicht beieinander. In Nürnberg schien das Glück für die mexikanischen Fans unermesslich zu sein, als ihr Team plötzlich und unerwartet per Bus hinter dem Hauptbahnhof auftauchte. Das Hotel der Mannschaft liegt direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite, doch aus unerfindlichen Gründen hielt der Bus am Bahnhof. Vermutlich verstieß er damit gegen jede Sicherheitsbestimmung der Fifa und zu allem Überfluss stiegen die Nationalspieler auch noch aus, und Hunderte von Fans konnten sie unter lautem Jubel zum Hotel begleiten, umarmen, küssen, bewundern. Am Hotel angekommen, wollten die Fans, angestachelt von so viel Transparenz, noch mehr Glück und Freude und versuchten, das Hotel zu stürmen. Dagegen aber hatten die stämmigen Bodyguards etwas und praktizierten das Prinzip der Abschreckung: Den ersten Himmelsstürmer traf gezielt die Faust im Gesicht. Blutüberströmt trollte sich der Fan. Zur Strafe sangen die Anhänger fortan so laut, dass vermutlich kein Spieler zum Schlafen kam.

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30 Grad, Orlando Cathomas schwitzt. Er sieht nicht gerade aus wie ein Hochleistungssportler, aber soeben ist er aus der Stuttgarter Innenstadt hinauf gefahren auf eine der zahlreichen steilen Anhöhen rings herum um die Stadt. Und nun steht er da, noch außer Atem, und blickt von seinem Hotel hinab auf die schöne Landschaft. Cathomas ist eigentlich Leiter des Steueramts im kleinen Schweizer Ort Domat/Ems. Aber er ist auch ein passionierter Radfahrer, und so hat er anfangs zum Spott seiner Freunde beschlossen, die WM-Spiele der Schweizer per Rad zu besuchen. Knapp 200 Kilometer hat er schon hinter sich, als er in Stuttgart ankommt. Mehr als 1000 Kilometer werden es am Ende sein. Er muss noch nach Dortmund und Hannover. Cathomas sagt, die Stimmung unterwegs sei unglaublich. Wildfremde Menschen jubeln ihm zu wie bei der Tour de France. Einmal hat sich der Schweizer verfahren, ein ortskundiger Autofahrer geleitete ihn im Schritttempo fahrend ans Ziel. Eigentlich läuft es also super für den Steuerbeamten, dann guckt er verlegen, es werde ja sehr heiß bleiben in Deutschland: „Vielleicht fahre ich nur bis Bonn, und dann mit dem Zug weiter nach Dortmund.“

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Die ausländischen Fans waren sehr diszipliniert, was das Bahnfahren in Deutschland angeht, dabei erinnerten manche überfüllte Züge an die U-Bahn von Tokio. Vielleicht sind die Japaner die diszipliniertesten Fans von allen. Der Zug kann noch so voll sein, sie stehen da, lesen, und wenn es der knappe Raum zum nächsten Menschen erlaubt, wird selbstverständlich fotografiert. Erreicht der Zug aber seinen Bestimmungsort, entfliehen die Japaner dem Zug wie die Bienen ausfliegen und beginnen zu singen und zu hüpfen. In Nürnberg war es so: Zug kommt an, Japaner raus, hinein in die Eingangshalle, dort stehen schon die Gegner bereit, eine Horde grölender und gefährlich dreinblickender Kroaten. Ein mutiger Samurai stellt sich mitten hinein in die kroatische Gruppe und beginnt zu tanzen. Die Kroaten gucken verwirrt, dann bilden sie einen Kreis und feuern den Japaner an. So kommt es, wenn Energie sich diszipliniert entfaltet.

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Die Deutschen sind ja die Freunde der Ausländer, haben sie jedenfalls vor der WM gesagt und daraus gleich ein Motto kreiert. In Kaiserslautern haben die australischen Freunde die Stadt umzingelt, und die Ortsansässigen schauen gequält drein. Eine Taxifahrerin findet: „Es ist schrecklich, überall Menschen, nur Chaos. Das haben die uns so nicht gesagt.“ Man weiß nicht, wer DIE sind, aber die Frau schleppt anscheinend verborgene Ängste mit sich herum, die nun angesichts der Menschenmassen hochkommen und etwas zu tun haben müssen mit diesen Fremden. Die Fremden siegen sensationell und begießen den ersten Sieg in ihrer schmächtigen WM-Geschichte gebührend. Sie singen und tanzen, aber niemand wird aggressiv. In einer Kneipe helfen die Australier im Suff sogar der Wirtin, die leeren Bierfässer in den Keller zu schleppen. Australier vertragen etwas. Nur eine Frau mittleren Alters muss von der Polizei von der Fan-Meile geholt werden. Sie ist betrunken, kann nicht mehr stehen und ist soeben ausfällig geworden. Gegen die Fremden.

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Am Vorabend des Spiels USA – Italien, Hunderttausende drängen in die enge Fußgängerzone von Kaiserslautern. Nur acht Männer nehmen sich Platz zum Spielen. Vier Fans aus Amerika und vier Italiener kicken sich einen Fußball zu, immer über eine Straßenabsperrung, hin und her. Wenn der Ball in einer Hälfte auf der Straße aufkommt, bekommt die andere Mannschaft einen Punkt. Die Amerikaner führen schnell, obwohl sie beim Ballhochhalten noch Bierflaschen in den Händen halten. Fünfhundert Zuschauer bilden eine Traube und bejubeln jede Aktion. Da kommt ein Müllwagen, die Absperrung muss zur Seite geräumt werden. Buh-Rufe. Der Müllmann entschuldigt sich. „Ich nehme nur eure leeren Flaschen mit“, sagt er zu den Amerikanern. Straßenapplaus. Dann beginnt die zweite Halbzeit.

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Am Frankfurter Hauptbahnhof kommt der Zug zu spät an. Die Zeit bis zum Anpfiff in der WM-Arena wird knapp, Menschen mit Koffern hetzen zu den Schließfächern. Die sind schon alle belegt. Hunderte Fans aus England drängeln sich am Gepäckschalter – geschlossen, Wochenende. In den umliegenden Nobelhotels schütteln die Mitarbeiter in Maßanzügen den Kopf: „Das dürfen wir nicht aufbewahren, nicht mal für ein paar Stunden.“ – „Unsere Vorschriften verbieten uns die Annahme von fremden Sachen, verstehen Sie.“ Draußen brennt die Sonne. Ein letzter Versuch im kleinen Hotel Hamburger Hof. Ein Mann im Freizeithemd schaut den Bettelnden verständnisvoll an: „Schon gut, stellen Sie ihre Tasche zu den anderen. Und viel Spaß beim Spiel!“ ale, gol, ide, sth

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