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Sport: Lucio kommt

Hertha BSC verpflichtet einen weiteren Brasilianer

Malik Fathi sagt: „So ein richtig gutes Gefühl habe ich nicht, und ich glaube, das hat keiner im Augenblick.“ Vorsichtiger Pessimismus könnte man die Stimmung nennen, die in diesen Tagen bei Hertha BSC herrscht. Was Verteidiger Fathi ahnt, weiß auch Trainer Lucien Favre: Die Spieler, die er beim Trainingslager in Stegersbach im Burgenland um sich schart, werden den Ansprüchen in der Fußball-Bundesliga kaum genügen. Spielmacher Yildiray Bastürk ist weitergezogen nach Stuttgart, die Brasilianer Mineiro und Gilberto sind noch bei der Copa America beschäftigt, Abwehrchef Dick van Burik ist suspendiert, und bis auf Torhüter Jaroslav Drobny hat noch keine namhafte Verstärkung den Weg zu Hertha gefunden. Mindestens drei Neue sollen kommen, drei Wochen vor dem ersten Pflichtspiel ist noch keiner da. Favre trimmt in Stegersbach eine bessere Ersatzmannschaft.

Jetzt kommt ein erstes Erfolgssignal aus Porto Alegre. Der Brasilianer Lucio Carlos Cajueiro de Souza (kurz: Lucio) wird in der kommenden Woche einen Vertrag bei Hertha unterschreiben. „Er muss Samstag noch einmal für Gremio gegen Palmeiras spielen, am Montag kommt er zum medizinischen Check nach Berlin“, sagt Favre. Lucio selbst hat seinen Abschied daheim schon im Fernsehen bekannt gegeben. Seine Verpflichtung ist auch ein Zugeständnis an die Vorliebe des Trainers für die brasilianische Variante der Fußballkunst. Wenn der Trainer Favre über Lucio redet, verwendet er eine Formulierung, mit der er auch den früheren Spieler Favre gern ins Licht stellt: „Lucio kann auf der linken Seite spielen, aber auch zentral. Er ist ein polyvalenter Spieler.“ Polyvalenz, zu Deutsch: Vielseitigkeit, gilt dem Schweizer als höchstes Gut und als Maßstab. Alle sollen möglichst viel können, damit sie das System umsetzen können, das Favre vorschwebt. Fußball werde auch mit den Füßen, vor allem aber mit dem Kopf gespielt.

So ein polyvalenter Spieler ist auch Kevin-Prince Boateng. Wer den Zwanzigjährigen bei den Übungen in Stegersbach beobachtet, der wundert sich darüber, warum er nicht längst Nationalspieler ist. Boateng kann am Ball alles, dazu verfügt er über eine herausragende Physis und Spielübersicht. Nur hat er davon in der Bundesliga bislang wenig gezeigt. Mehr noch als von seinem Talent lebt Kevin-Prince Boateng von seinem Ruf. Seine Extravaganz versucht er dadurch zu betonen, dass er die Strümpfe über die Knie zieht – genau so, wie es der französische Weltstar Thierry Henry tut.

Wer näher mit Kevin-Prince Boateng zu tun hat, spricht von strategischen Defiziten und davon, dass die Entwicklung des Menschen nicht mit der des Fußballspielers mitgehalten hat. Es heißt, Hertha wäre deshalb nicht traurig, sein größtes Talent abzugeben. „Kevin ist ein sehr starker Spieler“, sagt Trainer Favre. „Ich würde sehr gern mit ihm arbeiten, aber ich muss mit dem auskommen, was ich zur Verfügung habe, wenn die Saison beginnt.“ Die Gerüchte um einen Wechsel Boatengs ziehen jeden Tag neue Kreise. Die meisten seiner Kollegen erfahren davon aus dem Videotext.

Zuletzt galten der FC Sevilla und ein noch anonymer englischer Klub (wahrscheinlich Tottenham Hotspur) als Interessenten. Gestern aber gab Sevilla die Verpflichtung des malischen Nationalspielers Seydon Keita bekannt. Der Mann vom französischen Erstligisten RC Lens erfüllt exakt das Anforderungsprofil des Kevin-Prince Boateng. Warum also sollte Sevilla auch noch den Berliner holen? Führt dessen Weg also doch nach England? Sein Berater Karel van Burik sagt, Boateng wolle auf jeden Fall nach Spanien wechseln. In jedem Fall müsste er zunächst eine medizinische Untersuchung überstehen, und die könnte ihm größere Probleme bereiten als mancher Gegner auf dem Spielfeld. Mit seinen 20 Jahren ist er bereits zweimal am linken Knie operiert worden.

Boateng selbst mag sich nicht zu seiner Zukunft äußern. Über Herthas Pressesprecher Hans-Georg Felder ließ er ausrichten, er stehe für Auskünfte nicht zur Verfügung. Am Mittwoch rang er sich nach dem Training doch noch eine knappe Bemerkung ab. Also: Wo spielen sie im nächsten Jahr, Herr Boateng? „Keine Ahnung!“ Seine abweisende Körpersprache drückt aus, was Malik Fathi gesagt und doch ganz anders gemeint hat: Kevin-Prince Boateng hat kein gutes Gefühl für Hertha.

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