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Sport: Lust und Last der Weite

Bei der WM 2005 erzielte Christina Obergföll Europarekord – war das der Wurf ihres Lebens?

Berlin - Christina Obergföll ist erst 24 Jahre alt, aber die Frage muss erlaubt sein, ob die Speerwerferin den Wurf ihres Lebens nicht schon hinter sich hat. Bei der Weltmeisterschaft im vergangenen August in Helsinki hat Obergföll den Speer 70,03 Meter weit befördert. Das waren gleich mehr als fünf Meter über ihrer Bestleistung. Den Europarekord hat sie damit erzielt und die Silbermedaille gewonnen. Kann sie solch einen Wurf wirklich wiederholen?

Diese Frage wird Christina Obergföll gerade häufig gestellt, und manchmal hört sie auch etwas Missgunst heraus. Als ob ihr der Speer in Helsinki abgerutscht und dann von einem Windstoß mitgenommen worden wäre. Sie selbst hat sich aber auch einige Gedanken dazu gemacht, wie sie so weit kommen konnte. Das Beste schon hinter sich zu haben, daran glaubt sie nicht. „Ich bin noch so jung“, sagt die Athletin aus dem Schwarzwald. „Ich habe noch so viele Jahre Leistungssport und noch so viele Erfolge vor mir. Steffi Nerius ist schon 33 Jahre alt.“

Seit dem phänomenalen Wurf von Obergföll ist Steffi Nerius nur noch die zweitbeste deutsche Speerwerferin. In Helsinki wollte Nerius triumphieren, aber am Ende blieb nach Obergfölls Überraschungserfolg nur wenig Aufmerksamkeit für sie übrig. Der Vergleich zwischen den beiden erklärt viel über die Disziplin des Speerwerfens. Nerius hat eine saubere Technik und wirft seit Jahren konstant auf höchstem Niveau. „Sie hat keine Ausreißer. Steffi wirft fünf Mal ins gleiche Loch. Ich selbst bin nicht so konstant, aber ab und zu mal für eine Überraschung gut“, sagt Obergföll. Mit Nerius’ Technik würde sie nur 55 Meter weit werfen, sagt sie.

Die Fähigkeit zu explodieren, alles in einen Wurf zu legen, das ist Obergfölls große Stärke. In den Wurfdisziplinen der Leichtathletik sprechen sie gerne davon, „einen rauszuhauen“, den idealen Anlauf zu erwischen, den perfekten Moment zum Abwurf, die optimale Kraftübertragung. Diese Explosivität kommt zum einen aus ihrer Technik. Ihr ganzer Körper ist vom Anlaufen bis zum Abwurf unter höchster Spannung. „Es ist wie bei Pfeil und Bogen“, sagt sie. Ihr Trainer Werner Daniels erklärt: „Sie hat eine hohe Anlaufgeschwindigkeit. In Helsinki hatte sie die höchste von allen.“

Der andere Grund für ihre Explosivität ist ihr großes Selbstvertrauen. „Ich brauche noch keinen Psychologen. Vor dem Wettkampf höre ich Musik, die pusht. Ich zerbreche mir auch nicht so den Kopf. Es ist mir egal, ob ich den rechten oder den linken Schuh zuerst anziehe“, sagt Obergföll, die an der Universität Freiburg ein Lehramtsstudium für Sport und Englisch absolviert. Und es schon einmal so weit gebracht zu haben wie in Helsinki, gibt ihr jetzt zusätzliche Motivation. „Jedes Mal, wenn ich im Training keine Lust habe, denke ich daran: Wenn du noch einmal so einen Moment wie in Helsinki haben möchtest, musst du weitermachen. Es war der schönste Moment meines Lebens, als ich die Weite auf der Anzeigetafel gesehen habe.“

Obergföll hat daher auch keinen Zweifel daran, dass ihr eine solch ungeheure Weite ohne weiteres noch einmal gelingen kann: „Wir haben noch einige Schubladen, die man öffnen kann.“ Zum Beispiel die Technik. Trainer Daniels sagt: „Bei Christina ist der Speer um 20 Grad verkantet, die Kraftübertragung erfolgt nicht optimal. Fünf Grad Verkantungswinkel bedeuten zwei Meter Wurfweite, sagen Biomechaniker.“

Erst einmal wird Christina Obergföll als Favoritin zu den Europameisterschaften im August nach Göteborg fahren, die Weltrekordhalterin und Goldmedaillengewinnerin von Helsinki, Osleidys Menendez, kommt schließlich aus Kuba. Zurzeit hat Obergföll ein paar Probleme mit ihrem Rücken, aber immerhin ist ihr Anfang Juli in Athen der zweitbeste Wurf ihrer Karriere gelungen: 66,91 Meter. Weltjahresbestleistung war das auch.

Von den großen Erwartungen will sich Christina Obergföll jedoch nicht den Genuss am Werfen nehmen lassen. Sie sagt: „Wenn sich die Kraft des Körpers auf den Speer überträgt und er dann richtig segelt, dann ist das schon ein Lustgefühl.“

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