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Sport: Mann für viele Rollen

Er gilt als Hemmnis für das offensive Spiel. Doch Jens Nowotnys Wert erweist sich meist, wenn er nicht auf dem Platz ist

Es gibt Fragen, auf die man nie die richtige Antwort finden wird. Jens Nowotny sollte vor kurzem angeben, was er mit auf eine einsame Insel nehmen würde. Nowotny, inzwischen 32, ist diese Frage im Laufe seiner Karriere als Fußballer vermutlich schon mehrmals gestellt worden. „Was bringt es, deine Frau mitzunehmen, wenn du nichts zu essen dabei hast? Oder du sagst: Ich würde Bücher lesen – und verhungerst dabei.“ Nowotny hat sich für Bücher entschieden, „die Standardantwort eben“. Wahrscheinlich ist er im Kader der deutschen Nationalmannschaft trotzdem der einzige Spieler, der sich über dieses Problem überhaupt so viele Gedanken gemacht hat.

Manche Menschen ändern sich nie. Jens Nowotny hat schon vor sechs Jahren gesagt: „Ich ziehe die Sicherheit dem Risiko vor.“ Da war er 26, galt als bester Verteidiger der Bundesliga, und niemand zweifelte daran, dass nur Nowotny bei der Europameisterschaft 2000 der Abwehrchef der Nationalmannschaft sein könne. Niemand außer – dummerweise – Teamchef Erich Ribbeck, der lieber den fast 40 Jahre alten Lothar Matthäus als Libero spielen sehen wollte. Es könnte die bittere Ironie von Nowotnys Karriere sein, dass er 2000 zu modern war für die Vergangenheit, und jetzt, 2006, als zu altmodisch gilt für die Zukunft.

Nowotny ist in Genf, im Trainingslager der Nationalmannschaft, von einem Journalisten gefragt worden, wie es um seine Schnelligkeit stehe. Zu Beginn seiner Karriere habe er ja immer als einer der schnellsten Verteidiger in Deutschland gegolten. „Da sind Sie der Erste, der das sagt“, antwortete er. „Früher war ich immer der langsamste.“

Öffentliche Vorbehalte haben Jens Nowotny durch seine Karriere begleitet. Bis heute. Dass Jürgen Klinsmann den Leverkusener in seinen WM-Kader nominiert hat, wird ihm als Verrat an seinen eigenen Prinzipien ausgelegt. Nowotny scheint nicht zu passen in das jungdynamische Projekt des Bundestrainers. Er gilt als Hemmnis für das offensive Spiel, als Sicherheitsfanatiker und letzter Vertreter der Lieber-erstmal-quer-Philosophie. Da hilft es auch nichts, wenn Nowotny auf die erfolgreichste Zeit seiner Karriere, bei Bayer Leverkusen unter Trainer Christoph Daum, verweist: „Wir haben damals auch sehr risikoreich gespielt, viele Spiele 3:2 oder 4:3 gewonnen – weil wir vorne einfach ein Tor mehr geschossen haben.“ Doch wie es aussieht, wird Nowotny auch von Klinsmann eher als Korrektiv für die junge Abwehr gesehen. „Es müssen Leute da sein, die bestimmte Dinge erkennen. Jens ist ein Spieler, der Einfluss auf seine Mitspieler nimmt“, sagt der Bundestrainer. „Wir setzen auf seine ungeheure Erfahrung.“

Der wahre Wert von Jens Nowotny hat sich oft erst erwiesen, wenn er nicht da war. Im April 2002, im Halbfinale der Champions League, zog er sich den zweiten von inzwischen vier Kreuzbandrissen zu. Zu diesem Zeitpunkt stand Bayer an der Spitze der Bundesliga und im DFB-Pokalfinale. Ohne Nowotny wurde Leverkusen am Ende der Saison Vizemeister, außerdem verlor die Mannschaft das Finale um die Champions League und das Pokal-Endspiel. Im Jahr darauf, als Nowotny fast die gesamte Saison ausfiel, wäre die Mannschaft beinahe abgestiegen.

Beim Testspiel gegen Luxemburg war Nowotny der einzige der vier Innenverteidiger, der nicht zum Einsatz kam. Sein Einsatz gegen Japan heute in Leverkusen ist durchaus möglich. Für Nowotny wäre es nicht nur das erste Länderspiel seit fast zwei Jahren, sondern möglicherweise nach zehn Jahren bei Bayer auch sein letzter Auftritt in der Bayarena. Der 32-Jährige wird den Verein, der dank seiner Hilfe noch in den Uefa-Cup einzog, verlassen und wohl ins Ausland wechseln.

„Jens kann helfen, der Mannschaft ein Gesicht zu verleihen“, sagt Michael Ballack, der Kapitän der Nationalmannschaft. Doch bisher ist noch nicht ganz klar, welche Rolle Jürgen Klinsmann für Nowotny vorgesehen hat: Bekommt er einen Stammplatz in der Viererkette? Soll er Abwehrchef werden? Oder ist er nur als letzte Sicherung im Hintergrund eingeplant? „Das wird sich zeigen“, sagt Nowotny. „Jürgen Klinsmann weiß, dass ich alle Rollen spielen kann.“ Klinsmanns Assistent Löw hält Nowotny für einen wichtigen Kommunikator innerhalb der Mannschaft. „Man sieht im Training, dass er den jungen Spielern gezielte Anweisungen gibt.“ Die Frage ist, ob sich Nowotny damit zufrieden gibt, eine Art Spielertrainer für die Defensive zu sein.

Jürgen Klinsmann hat in der vorigen Woche die Spieler genannt, die das Gerüst seiner Mannschaft bilden: Michael Ballack, Torsten Frings, Bernd Schneider und Miroslav Klose. Ob denn auch ein Abwehrspieler darunter sei, wurde der Bundestrainer gefragt. „Ja“, antwortete er. „Den sage ich Ihnen aber nicht.“ Jens Nowotny ist es wohl nicht.

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