zum Hauptinhalt
326562_0_421c4d98.jpg

© nordphoto

Manuel Neuer: "Entscheidungen sind nie für die Ewigkeit"

Nationaltorhüter Manuel Neuer über das Gespräch, das ihn zur Nummer zwei machte, den Konkurrenzkampf mit René Adler und seine Zukunft bei Schalke.

Herr Neuer, die Woche ging für Sie mit keiner schönen Nachricht los. Ihr Konkurrent René Adler spielte gegen Argentinien und wird wahrscheinlich das WM-Tor hüten.


Das war wirklich keine ganz so schöne Situation für mich, aber ich bin Profi und muss mit solchen Entscheidungen leben können. Das tue ich inzwischen auch.

Nach der Entscheidung sollen Sie direkt in den Kraftraum gegangen sein.

Stimmt, aber nicht deswegen, um mich abzureagieren und aus lauter Wut und Verzweiflung Gewichte zu stemmen. Ich habe mein normales Programm gemacht. Ich werde nicht nachlassen, sondern sowohl im Training als auch in den Spielen mit Schalke meine Leistungen bringen. Ich werde weiter Druck ausüben.

Der Bundestrainer hatte Sie noch vor Adler informiert. Warum eigentlich?

Wir waren gerade am Frühstücken, saßen am gleichen Tisch, der René und ich, und dann wurde uns gesagt, dass wir beide noch zum Bundestrainer zu einem Gespräch gebeten werden. Dann bin ich als Erster hingegangen, weil ich endlich wissen wollte, was los ist. Ich mochte nicht mehr gemütlich noch einen Orangensaft trinken. Ja, und dann wurde mir die Entscheidung eben mitgeteilt.

Hört sich schmucklos an. War es das auch?

Was heißt schmucklos? Das Gespräch war nicht sehr lang, aber sie haben mir schon zu verstehen gegeben, was los ist. Und was soll ich eine halbe Stunde darüber reden? Die Entscheidung war gefallen, was willst du als Spieler da groß noch sagen? Das war schon in Ordnung so. Ich kann damit leben.

Wie hat es Ihnen Joachim Löw erklärt?


Man will doch als Spieler auch wissen, welche Gründe für die Entscheidung ausschlaggebend waren. Und ich wollte es vom Bundestrainer genau wissen. Er hat gesagt, dass der René in den entscheidenden Spielen gegen Russland gut gespielt und in diesen Drucksituationen seine Leistung gebracht hat. Das hatte ich so zu akzeptieren.

Was Ihnen schwer gefallen sein dürfte, weil Sie diese Gelegenheiten in der Nationalelf nicht bekamen.

Die Situation war schon so, dass ich kein ganzes Spiel im November machen konnte, wie es eigentlich abgesprochen war. Die traurige Geschichte um Robert Enke kam dazwischen. Und so musste ich mir mit Tim Wiese das eine verbliebene Spiel gegen die Elfenbeinküste teilen. Jeder von uns hat eine Halbzeit bekommen. Und ich kam auch noch zur zweiten Halbzeit rein, beim Spiel auf Schalke. Vorher hatte ich bei der Asienreise im Mai 2009 das Spiel gegen die Vereinigten Arabischen Emirate. So richtig empfehlen kann man sich da nicht. Ich hätte mir schon gern ein Spiel gewünscht, welches eine richtige Drucksituation beinhaltet. Das war leider nicht der Fall.

Dann sind Sie doch sauer?

Sauer? Nein. Ich habe keine Wahl. Ich werde weiter alles dafür tun, um meine optimale Leistung zu bringen. Jeder kann sich sicher sein, dass ich der Mannschaft keinerlei Probleme bereiten werde. Der René und ich, wir werden das Verhältnis so harmonisch weiterführen, wie es bisher schon war. Ich habe ein gutes Verhältnis zum ihm und zu Tim Wiese. Daran wird sich nichts ändern. Aber im Training werde ich angreifen, und ich werde unbeeindruckt und ehrgeizig wie immer in meine nächsten Spiele mit Schalke gehen. Ich werde mir keine negativen Gedanken machen, denn ich weiß, was ich kann. Auf Schalke bin ich klar die Nummer eins, ich bin dort wichtig für die Mannschaft. Da habe ich jetzt meinen Job zu erledigen.

Zur deutschen Torhütertradition gehört, dass es einen gab, der so gut war wie die Nummer eins, aber nur selten an ihr vorbeikam. Denken Sie nur an Stein und Schumacher. Droht Ihnen solch ein Schicksal?

Ich sehe das nicht so. Noch ist die WM nicht gespielt. Ich hake sie für mich nicht ab. Und ich sage jetzt auch nicht, dass René über Jahre hinweg die Nummer eins ist. Da kann sehr viel passieren. Und ich weiß, dass noch sehr viel Potenzial in mir steckt, dass ich viel rausholen kann. Deshalb mache ich mir keine Sorgen. Ich will doch hoffen, dass ich früher oder später die Nummer eins bin.

Früher war eine Nummer eins auf Jahre festgeschrieben. Warum heute nicht mehr?

Als Nummer eins genießt man einen gewissen Schutz. Aber das Geschäft ist auch für Torhüter schnelllebiger geworden. Heute scheut man sich weniger, eine Veränderung im Tor vorzunehmen. René hatte jetzt den Vorteil, sich mit einer guten Leistung gegen Argentinien für das WM-Tor zu empfehlen. Aber ich werde die Gelegenheiten, die ich künftig bekomme, nutzen. Dann möchte ich zeigen, dass an mir kein Weg vorbeigeht.

Wie hat Ihr Klubtrainer Felix Magath Sie getröstet?

Mich brauchte niemand zu trösten. Jeder, der mir nahesteht, weiß, dass ich psychisch stabil bin. Ich weiß, in welcher Situation ich mich befinde, und kann damit umgehen.

Wie fielen die Reaktionen der Mitspieler aus? Hat jemand sein Bedauern ausgedrückt?


Macht doch keiner, sich gegen die Entscheidung des Bundestrainers zu stellen. Viele aus der Nationalmannschaft kennen diese Situation, die der Konkurrenzkampf mit sich bringt. Solche Entscheidungen sind nie für die Ewigkeit.

Der FC Bayern und Manchester United würden Sie gern sofort verpflichten. Jüngst hat Magath Sie als unverkäuflich bezeichnet. Kann Schalke sich das leisten?

Ich kenne die genaue Finanzsituation bei uns nicht, aber Felix Magath hat sich in der Öffentlichkeit bekannt. Er hat die Position von mir beim FC Schalke 04 klargestellt: Er hat gesagt, dass ich der wichtigste Mann auf Schalke bin. Das ist mal eine Ansage! Noch dazu für einen, der wie ich seit dieser Woche 19 Jahre im Verein ist.

Dann müssen Sie ja im Alter von vier Jahren Schalker geworden sein? Wie geht das?

Ich bin in Gelsenkirchen aufgewachsen. Wir sind die Fußballstadt in Deutschland. Da wirst du automatisch Schalke-Fan.

Na, einer wird Sie ja gefahren haben.

Meine Eltern wollten mich eigentlich nach Gelsenkirchen-Buer oder nach Gelsenkirchen-Hassel zum Fußballspielen schicken, aber ich konnte schon sagen, dass ich nur bei Schalke spielen will. Ich weiß das noch wie heute. Wir fuhren dann zur Glückauf-Kampfbahn und haben uns beim Bambini-Trainer gemeldet. Also eigentlich nannten das alle die Pampers-Liga. Und wie der Zufall so wollte, musste ich ins Tor. Eigentlich wollte ich gar nicht ins Tor, aber der, der neu hinzukommt – das kennt man vom Bolzplatz her – also der Neue ist der Doofe, und der muss immer ins Tor. Ja, heute sage ich, zum Glück war ich der Doofe.

Dabei sollen Sie noch heute einen recht passablen Feldspieler abgeben.

So, sagt man das? Na ja, Regionalliga traue ich mir auf jeden Fall zu. Vielleicht auch Dritte Liga, aber ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie das Niveau da jetzt ist.

Aber wenn Sie von Geburt an Schalker sind: Wird man Sie jemals gehen lassen?

Ich denke ja auch gar nicht daran. Mein Vertrag läuft bis 2012 und ich habe einen Trainer, der auf mich zählt.

Trotzdem sagten Sie, dass Sie nur dann bleiben, wenn Schalke in der Champions League spielt.

So habe ich das nicht gesagt. Aber ich möchte mich schon auf diesem Niveau international vergleichen. Vielleicht wird das von außen überbewertet, aber wir als Spieler können uns ganz gut einordnen. Ich denke, dass ich 2008 eine gute Champions-League-Saison gespielt habe. Wir sind bis ins Viertelfinale gekommen, was wenige deutsche Mannschaften vorweisen können. Ich kann Champions League problemlos spielen. Wenn ich solche Spiele machen kann, warum sollte ich mich unter Wert verkaufen?

Müssen Sie ja nicht, immerhin hat Magath Sie zum Kapitän gemacht. Das dürfte auf Schalke tagesfüllend sein.

Ich will Ihnen nicht widersprechen. Das letzte Mal war ich in der D-Jugend Kapitän. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass die Aufgaben für einen Kapitän im Profikader etwas andere sind. Gerade für die Medien muss man nach jedem Spiel da sein, egal wie man gespielt hat oder drauf ist. Und dann ist man das Sprachrohr der Mannschaft zum Trainer hin, was bei uns jetzt aber nicht das Problem ist. Wir haben inzwischen viele junge Spieler. Wenn wir im Training alt gegen jung spielen, gehöre ich schon zu den alten. Mit 23!

Sie wirken deutlich reifer.

In unserem Job muss man als junger Spieler möglichst schnell möglichst viel mitnehmen und lernen. Sonst kann man sich nicht weiterentwickeln. Du musst hellwach sein und alles mitnehmen, was geht. Und ganz wichtig sind Leute in deinem Umfeld, die dich nicht verrückt machen. Dann kommt man ohne weiteres klar. Ich habe schon einiges erlebt, was mir jetzt ganz bestimmt geholfen hat.

Trotzdem liegt das Meiste noch vor Ihnen.

Der René ist ein Jahr älter. Wir werden also lange miteinander zu tun haben, falls nichts passiert, was wir natürlich hoffen. Aber es stimmt, bei mir würden bestimmt drei WM-Teilnahmen in die Karriere reinpassen. In Südafrika werde ich 24 sein, die nächste dann mit 28 und noch eine mit 32. Dann wäre es wohl langsam Zeit, Tschüss zu sagen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false