zum Hauptinhalt
Guor Marial ist der einzige Sportler, der für den Südsudan an den Olympischen Spielen teilnimmt - allerdings unter ungewöhnlichen Umständen.

© Reuters

Marathonläufer Guor Marial: Mann ohne Land nimmt an olympischen Spielen teil

Erst zum dritten Mal in der Geschichte werden Athleten ohne Staatsbürgerschaft als unabhängige Teilnehmer bei den olympischen Spielen geduldet. Einer von ihnen ist der Bürgerkriegsflüchtling Guor Marial.

Im Leben von Guor Marial drehte sich schon immer alles ums Laufen. Doch anfangs, als er noch klein war, da ging es um mehr als nur den Sport. Es ging um sein Leben. "Ich habe es gehasst", gestand der Marathon-Läufer kürzlich der Nachrichtenagentur AP. "Ich lief, um mein Leben zu retten."

Als er acht Jahre alt war, wurde Guor Marial von bewaffneten Banden verschleppt und in ein Arbeitslager gebracht. Nach einer Woche gelang ihm die Flucht vor der Zwangsarbeit. Dann floh er vor dem Bürgerkrieg, unter dem seine Familie immer noch zu leiden hat. Acht seiner zehn Geschwister überlebten den Krieg nicht. Guor schaffte es über die Grenze nach Ägypten und von dort aus in die USA, wo auch sein Onkel lebt. Da war er gerade 16 Jahre alt. An der High School in Concord, Kalifornien, schließt er sich dem Leichtathletik-Team an. Die Trainer erkennen früh sein Talent und fördern ihn gezielt. Mit einem Sportstipendium schafft er es an die Iowa State University, wo er 2011 seinen Abschluss in Chemie macht.

Bei den Vorentscheidungen für die Olympischen Spiele im vergangenen Oktober in Twin Cities, Minnesota, läuft Marial den Marathon in zwei Stunden, 14 Minuten und 32 Sekunden. Damit hat er sich qualifiziert. "Jetzt kann ich das Licht am Ende des Tunnels sehen. Ein Traum wird wahr", kommentiert der 28-Jährige.

Aber nicht nur für Marial ist seine Teilnahme an den Olympischen Spielen etwas Besonderes. „Es ist eine Situation, die die IOC noch nie gesehen hat", sagt der Marathonläufer und Anwalt Brad Poore, der ein enger Freund von Marial ist. Der Bürgerkriegsflüchtling aus dem Südsudan geht nämlich als Staatenloser in den Wettkampf. Vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) erhielt er die Sondererlaubnis, sich unter olympischer Flagge mit den fünf Ringen an den Spielen zu beteiligen.

Und das kam so: Erst seit einem Jahr ist der Südsudan ein unabhängiges Land. Da hatte Marial die vom Bürgerkrieg heimgesuchte Region aber schon lange verlassen. Einen Pass besitzt er nicht. Ohne den ist es aber so gut wie unmöglich, an den olympischen Spielen teilzunehmen. Um ins Ausland zu fahren, braucht Marial viele verschiedene Dokumente. Hinzu kommt, dass der Südsudan kein eigenes anerkanntes Olympisches Komitee hat. Das Nachbarland Sudan zu repräsentieren, lehnt Marial grundsätzlich ab. Das sei respektlos gegenüber seinen Landsleuten, die für die Freiheit gestorben sind, sagt er.

Auch in den USA ist Marial noch nicht als Bürger anerkannt. Wenn er also am Freitagabend zur Eröffnungsfeier das Team aus Arizona ins Stadion begleitet und dabei die US-amerikanische Flagge trägt, ist das nicht mehr, als ein symbolischer Akt.

Trotzdem: Dass Marial an den Olympischen Spielen teilnehmen kann ist für den Staatenlosen und seine zahlreichen Unterstützer ein Erfolg. Sein Freund Brad Poore sieht es positiv: "Obwohl Guor als unabhängiger Teilnehmer bei den olympischen Spielen spielt, ist er nicht einsam. Er hat das größte Team der ganzen Spiele: Die Welt unterstützt ihn. Guor hat die Chance, sowohl den Südsudan als auch die USA auszuzeichnen."

Der Fall von Guor Marial hat viel Aufmerksamkeit erregt und die Probleme der Staatenlosen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Das ist vor allem einer Petition zu verdanken, die auf eine Initiative der Hilfsorganisation "Refugees International" zurückgeht. Am 17. Juli schrieb der Präsident von "Refugees International", Michel Gabaudan, einen Brief an Jacques Rogge, Präsident der IOC. Darin betont er Guors Rechte als Sportler. Sport sei ein Menschenrecht, argumentiert Gabaudan. In dem Brief heißt es: „Jede Person muss das Recht haben, Sport zu treiben, ohne Diskriminierung und mit Olympischen Geist, der gegenseitiges Verständnis, Freundschaft, Solidarität und Fairplay verlangt.“ Doch erst mit der Online-Petition der britischen Journalistin Nadin Hadi kam Bewegung in die Sache. Auf der Internetplattform change.org forderte sie für Marial das Recht auf eine unabhängige Teilnahme an den Spielen öffentlich ein. "Ich hatte zuerst gar keine Ahnung, wie viele Signaturen wir bekommen würden, aber in drei Tagen bekamen wir 3.390 Unterschriften. Das war eine große Überraschung", sagt Hadi dem Tagesspiegel.

Für Marial hat die Geschichte ein gutes Ende. Doch das Problem der Athleten aus dem Südsudan ist noch nicht gelöst. Zwei südsudanesische Athleten aus Australien, die sich eigentlich schon für die Spiele qualifiziert hatten, werden nun doch nicht nach London fahren. Sie hatten darauf bestanden, für ihr Heimatland in den Wettkampf zu gehen. Doch: „Das IOC Komitee ist zu konservativ“, kritisierte der südsudanesische Sportminister Cireno Hiteng Ofuho der Nachrichtenagentur AFP.

Marial bleibt also der einzige südsudanesische Sportler, der während der Spiele das internationale Symbol der fünf Ringe tragen wird. So zumindest der Plan. Noch am Dienstag vor den Spielen wartete Marial auf die Reisedokumente. "Hoffentlich ist es gar kein Problem, aber ich bin noch nicht 100 Prozent sicher", sagte sein Anwalt Brad Poore. Am Freitagabend, wenn die Sportler ins Stadion einmarschieren, wird die Welt es erfahren.

Jan Cao stammt aus China und lebt in Rhode Island, USA. Zur Zeit macht sie ein Praktikum beim Tagesspiegel.

Jan Cao

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false