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Marcel Schäfer: "Ich würde gern weniger nachdenken"

Nationalspieler Marcel Schäfer über Intelligenz im Fußball, Kartenspiele und Magaths Siegeswillen.

Herr Schäfer, sind Sie ein guter Kartenspieler?



Ich war mal einer. Leider hat sich das ein bisschen verloren. Bei 1860 München gab es Kartenspieler zuhauf, da habe ich noch regelmäßig Schafkopf gespielt. In Wolfsburg ist das etwas schwieriger.

Verlernt man das Kartenspielen?

Das finde ich schon. Wenn man häufiger spielt, sind die Gedankengänge einfacher, sie kommen automatischer. Ich würde es gerne auffrischen. In Bayern ist Schafkopfen ja eine Tradition, das habe ich von kleinauf gespielt. Aber bei uns gibt es außer mir nur noch Daniel Baier, der das kann. Vielleicht sollten wir mal wieder ein paar Spieler aus Bayern verpflichten.

Sie könnten Dzeko und Grafite Schafkopf beibringen …

Das wäre wohl eine Lebensaufgabe.

Weil das Spiel so schwierig ist …

Man kann es schon lernen, aber es ist wie im Fußball: Vieles kommt mit der Erfahrung. Man wird mit der Zeit abgezockter.

Der Nachwuchsleiter des FC Bayern hat die Beobachtung gemacht, dass gute Fußballer oft auch gute Kartenspieler sind.

Interessanter Gedanke. Es gibt Kartenspiele, die nur auf Glück basieren. Das ist beim Schafkopf nicht der Fall. Man muss auch die richtige Strategie wählen. Und wenn man das beim Kartenspielen kann, kann man das oft auch auf dem Fußballplatz. Gute Spieler zeichnen sich dadurch aus, dass sie super Strategien haben. Zvjezdan Misimovic zum Beispiel...

... ein gebürtiger Münchner…

… wenn man sieht, wie er seine Mitspieler einsetzt, wie er das Spiel führt, das Spiel liest, wie er weiß, wann er das Tempo rausnehmen und wann er wieder zulegen muss – das ist beeindruckend.

Kann man mit Intelligenz fehlende Prozentpunkte an Talent wettmachen?

Ja, das glaube ich. Ich kann zum Beispiel von mir sagen, dass ich nie der Talentierteste war. Aber wenn du dein Ziel verfolgst und besessen darauf bist, dich täglich zu verbessern, kannst du das kompensieren. Du brauchst eine gewisse Intelligenz, um zu erkennen, was du gut gemacht hat und was du verbessern kannst.

Konkret: Hilft Intelligenz auf dem Platz?

Man sagt ja immer: Ein Stürmer soll vor dem Tor nicht nachdenken, er soll das Ding einfach reinhauen. Das gilt auch für Linksverteidiger. Man sollte die Lösung schon parat haben, bevor man den Ball hat. Man kann sich aber auch zu viele Gedanken machen. Auch nach einem Spiel, wenn man alles in seine Details zerlegt. Manchmal ist es besser, einfach einen Haken drunter zu setzen und zu sagen: Okay, heute war nicht mein Tag.

Gelingt Ihnen das?

Leider nicht immer. Wenn ich einen Wunsch hätte, würde ich gerne weniger nachdenken. Aber das ist auch ein schmaler Grat. Nur weil ich mir über alles den Kopf zerbreche, habe ich es dahin gebracht, wo ich jetzt bin.

Sehen Sie sich als Mitglied einer neuen, gelehrigeren Generation von Fußballern?

Die Spieler sind heute offener. Sie hören sich vieles an, was vielleicht nicht unbedingt mit dem Fußball zu tun hat, aber das eigene Spiel fördert. Im Fußball können zwei oder drei Prozent entscheiden. Ich bin offen für alles.

Arbeiten Sie mit einem Mentaltrainer?

Ja, obwohl das immer noch in so eine Schublade geschoben wird: Oh Gott, was hat der denn für Probleme? Selbst in meiner Familie bin ich schräg angeguckt worden. Dabei kann man sich gerade auf diesem Gebiet noch stark verbessern. Wie schaffe ich es zum Beispiel, mich 90 Minuten zu konzentrieren? Das hört sich vielleicht simpel an, ist es aber nicht.

Wie trainieren Sie das?

Für den Kopf ist es zum Beispiel eine immense Übung, mit drei Bällen zu jonglieren. Ich versuche gerade, das zu lernen. Es gibt aber auch viel banalere Dinge, die man täglich machen kann. So wie man einen stärkeren und einen schwächeren Fuß hat, ist es ja auch mit den Händen. Ich bin Linksfuß und Rechtshänder. Eine ganz einfache Sache ist, dass ich mir mit links Zähne putze, mit links esse und schreibe. Man legt dadurch neue Datenautobahnen im Gehirn.

Fürchten Sie, dass Sie an eine Grenze kommen, egal wie lernwillig Sie sind?

Die Grenzen setzt man sich immer selbst. Das ist auch eine Kopfsache. Wenn ich schon darüber nachdenke, oh, könnte ich jetzt am Ende meiner Entwicklung sein, dann ist es schon zu spät. Im Sport gibt es sehr wenige Grenzen. Das sieht man doch an Usain Bolt. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass ein Mensch die 100 Meter in 9,58 Sekunden laufen kann?

Sie haben vier Länderspiele bestritten. Wie lange geben Sie sich im A-Team?

Ich bin in meiner Karriere nie der Senkrechtstarter gewesen. Ich brauche immer eine Anlaufzeit, um mich zurechtzufinden. Das war auch hier in Wolfsburg so. Von daher glaube ich, dass es in der Nationalmannschaft nicht anders sein wird. Die Frage ist, ob ich diese Zeit bekomme.

Im Grunde passen Sie perfekt in Löws Nationalmannschaft. Sie sind lernwillig, wollen sich stetig verbessern – und Sie haben Abitur. Der Anteil an Abiturienten in der Nationalmannschaft ist so hoch wie nie zuvor. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Vielleicht ist es so: Wenn man im Leben ein bestimmtes Ziel verfolgt, verfolgt man das auch auf dem Fußballplatz. Wer schon in der Schule den Ehrgeiz hat, gute Ergebnisse zu erzielen, überträgt das auch leichter auf den Sport.

War das bei Ihnen so?

Ausschlaggebend war bei mir eine schwere Verletzung, die ich mit 17 gehabt habe. In meinem linken Knie war alles kaputt. Oh Gott, denkst du dann, wie geht es jetzt weiter? Schaffst du es überhaupt noch einmal? Das war für mich ein Schlüsselerlebnis. Von da an habe ich, glücklicherweise, mehr Wert auf die Schule gelegt. Ich habe mir immer vor Augen gehalten, wie schnell es mit dem Fußball vorbei sein kann. Das habe ich irgendwie verinnerlicht, bis heute. Es ist immer gut, wenn man eine Alternative hat.

Was ist Ihre Alternative?

Ich studiere.

Wir dachten, Sie hätten Ihr Studium in Sport-Management abgeschlossen.

Das stimmt. Aber ich fange jetzt ein neues an, Sportmarketing. Wobei das eher eine berufsbegleitende Ausbildung ist als ein richtiges Studium. Vom Zeitaufwand kann man es problemlos nebenher bewerkstelligen. Mir macht das Spaß.

Ist das eine Art Ausgleichssport für Sie, so wie ein Büroarbeiter joggen geht?

Das kann man so sagen. Viele lassen zum Beispiel ihre Aggressionen raus, indem sie laufen gehen. Das kann man auf meine Situation eins zu eins übertragen. Wenn ich nach Hause komme und meine Bücher aufschlage, konzentriere ich mich voll darauf. Das kann ganz praktisch sein, wenn es im Fußball mal nicht so läuft: dass man wieder auf andere Gedanken kommt.

Sie können es also empfehlen, sich auch mit anderen Dingen zu beschäftigen.

Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber es ist wohl so, dass es im Sport nicht viele gibt, die sich Gedanken über die Zeit nach ihrer Karriere machen.

Dann sind Sie eher der Typ Bierhoff als, sagen wir, Effenberg.

Ja, wenn es nur diese beiden Wahlmöglichkeit gibt, könnte man das sagen.

Das spricht nicht gegen Sie.

Ich kenne Herrn Effenberg nicht, ich kann ihn nur danach beurteilen, wie er auf dem Platz war. Da war er sehr emotional und ein Leader. Aber das ist auch eine Charaktersache, mal richtig aus sich rauszugehen. Das kann ich nicht so – was ich nicht immer positiv finde.

Inwiefern hat Ihnen Felix Magath in den Lauf gespielt, der wegen seines Faibles fürs Schachspiel als Intellektueller unter den Trainern gilt?

Ich bin kein Schachspieler, aber ich habe ihn beim Kartenspielen erlebt. Wenn einer aus dem Trainerteam ausfiel, musste ich einspringen. Was er vermittelt hat, war der unbedingte Siegeswille: dass man diesem Ziel alles unterordnet. Das hat mich fasziniert. Egal, worum es ging, ob um zehn Cent beim Schafkopf oder ums Weiterkommen im Pokal.

War das nicht ein komisches Gefühl, gegen Ihren Trainer spielen zu müssen?

Es war zumindest eine ungewohnte Situation und nicht immer angenehm. Aber deswegen habe ich nicht anders gespielt. Felix Magath wollte gewinnen, und das hat er auch von mir erwartet. Das überträgt sich ja. Wenn du jemanden gegenübersitzen hast, der alles dafür tut, dass du verlierst, wirst du automatisch davon angesteckt. Dann denkst du: So, dem zeig ich’s jetzt. Absichtlich verloren habe ich jedenfalls nicht, nur weil ich gegen meinen Trainer spielen musste.

Und wenn Sie gewonnen haben …

… dann habe ich mich etwas stiller gefreut, und das Geld mit einem Lächeln entgegengenommen.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.


ZUR PERSON

Marcel Schäfer, 25, kickt seit seinem fünften Lebensjahr. Der gebürtige Aschaffenburger spielte lange Zeit beim TSV 1860, ehe er vor zwei Jahren zum VfL Wolfsburg wechselte, mit dem er zuletzt die deutsche Meisterschaft errang. Der Linksverteidiger debütierte im Herbst 2008 in der Nationalmannschaft, die am Samstag auf Südafrika trifft.

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