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Faust drauf. Auf Mario Gomez wird es auch gegen die Slowakei ankommen.

© dpa

Mario Gomez im Interview: „Skrtel sieht nur so hart aus“

Am Sonntagabend trifft die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im EM-Achtelfinale auf die Slowakei. Stürmer Mario Gomez über vermeintliche Raubeine beim Gegner und die Datenflut in der Nationalelf-Kabine.

Herr Gomez, wie verbringt ein 30 Jahre alter Spieler einen freien Turniertag bei der EM?

Ich war mit meiner Freundin auf dem See. Das Wetter war gigantisch. Letzte Woche hatten wir auch einen freien Tag, aber da war das Wetter hier ziemlich mau. Ich sage jetzt nicht, dass das Wetter das alles Entscheidende ist, im Gegenteil. Ich mochte es sogar, dass es bei den Spielen nicht so heiß war. Aber wenn der Trainer freigibt, um mal die Köpfe freizukriegen, ist Sonne ideal. Uns Spieler hat es ja in alle Richtungen verstreut.

Sind Sie eigentlich sehr schmerzempfindlich?

(überlegt) … in Bezug auf was?

Sie haben nach dem Spiel gegen Nordirland erzählt, dass es schon sehr hart war gegen die beiden Innenverteidiger…

…ach so meinen Sie das. Das war doch mein Job. Und ich habe ja auch eine gewisse Masse mitbekommen, ich bin kein Hänfling, insofern war es okay. Es war ja der Plan, dass ich diese beiden Spieler binde, dass ich körperlich dagegenhalte, damit sie sich auf mich fokussieren mussten und dadurch den Platz frei machen für Mario und Thomas.

Ihre stürmenden Unterstützer Mario Götze und Thomas Müller.

Ja, und ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen. Wenn alles so massiv und statisch ist, ist es eigentlich schwierig, Chancen herauszuspielen. Das war es dann aber nicht. Die beiden Innenverteidiger hatten gut damit zu tun, dass ich nicht bei Flanken an den Ball komme. Dadurch war mehr Platz für die anderen beiden. Unser Plan ist aufgegangen. Aber Sie haben recht, die beiden Nordiren waren ordentliche Brocken.

Gegen die Slowaken ist ein ähnliches Spiel zu erwarten. Der Innenverteidiger Martin Skrtel gilt ebenfalls als Raubein.

Ich glaube, das sieht nur so aus mit seiner Frisur und seinen Tattoos. Ich habe ihn nicht als mega-unfairen Spieler kennengelernt. Klar, er ist englische Härte gewohnt, er spielt seit vielen Jahren in der Premier League. Wir haben ja schon vor vier Wochen das Testspiel gegen die Slowaken gehabt, da traten sie mit einer sehr defensiven Grundausrichtung an. Und jetzt beim Turnier, wo es um was geht, werden sie vermutlich noch defensiver sein. Dementsprechend ist es an uns, wieder Lösungen zu finden und Raum zu schaffen für Torchancen. Wir sind gut drauf, wir haben damit schon im Training angefangen und werden noch eine Videoanalyse bekommen. Ich bin überzeugt, dass wir uns auch gegen die Slowakei Torchancen erspielen werden.

"Das ist ein Turnier der Emotionen und der Herzen"

Die Vorrunde war geprägt von vielen Mannschaften, die ultradefensiv aufgetreten sind. War das für Sie als Stürmer mit die extremste Erfahrung?

Das ist merkwürdig: Ich bin irgendwie zwiegespalten. Einerseits waren es mühsame Spiele, fast jeder konnte am Schluss noch weiterkommen und dadurch hat jeder versucht, kein Gegentor und damit ein schlechtes Torverhältnis zu bekommen. Dass ein Punkt noch viel brachte, wirkte wie eine Art Bremse, finde ich. Wenn man andererseits die britischen Teams wie Wales, Nordirland und Irland gesehen hat, wie sie in der 85. Minute das Tor machten und wie ihre Fans abfeierten, wenn man die Spieler hat heulen sehen, das ist dann auch toll. Ich denke, das ist ohnehin mehr ein Turnier der Emotionen und der Herzen als die EM vor vier Jahren. Als Spanien im Finale Italien 4:0 geschlagen hat, das war eine Meisterleistung.

Fußballerisch gesehen…

Ja. Das kann jetzt hier immer noch passieren, je weiter es jetzt geht und wenn viele gute Mannschaften aufeinandertreffen. Aber bisher kann man schon sagen, dass es bisher mehr um Leidenschaft und Herz ging.

Wie viel Spaß macht das als Stürmer?

Wenn man so spielt wie zuletzt, also so viele Chancen dabei herausspielen kann, dann macht es schon Spaß, gerade weil die gegnerischen Teams so massiv hinten drinstanden. Früher haben die Verteidiger versucht, nach der Offensive ihre Defensive auszurichten und jetzt versucht man gegen die Abwehrreihen Lösungen zu finden. Man schaut sich den Gegner schon genau an, um zu erkennen, was macht er, wo sind vielleicht Räume zu finden, womit können wir sie locken? Ich denke, dass wir auch die Spieler haben, um gegen diese Bollwerke Chancen herauszuspielen.

Es werden den Spielern heute Unmengen von Daten über den Gegner zur Verfügung gestellt, neuerdings sogar auf einem Tablet am Spielfeldrand. An welcher Stelle auf dem Platz denken Sie daran, und wann reagieren Sie intuitiv?

Das heißt ja nicht, dass ich immer nur links an meinen Gegenspieler vorbeigehe, weil ich gelernt habe, dass er rechtsrum stärker ist. Es geht mehr um die Laufwege. Gar nicht so sehr um den Laufweg des Spielers, der den Ball hat, sondern um die Spieler und ihre Laufwege, die nicht den Ball haben. Das ist entscheidend, gerade bei diesem Turnier.

"Viele Spieler sind halbe Journalisten"

Das müssen Sie uns erklären.

Das ist extrem wichtig, weil es darum geht, welche fünf Spieler den Ball bekommen könnten. Es geht um ständige Bewegungsabläufe, auf die man einen Blick haben muss. Aber zu Ihrer Frage noch mal: Klar schaue ich mir einige Dinge und Daten über den Torwart beispielsweise an, aber wenn du auf ihn zuläufst, dann denke ich nicht: Weil links seine bessere Seite ist, schieße ich den Ball rechts an ihm vorbei, obwohl links die komplette Ecke offen ist. Das ist alles situationsbedingt. Man kann viel vorbereiten, aber am Ende sind wir dann aufgefordert, die richtigen Lösungen spontan zu finden.

Dienen die Daten also in erster Linie dem Gefühl der Sicherheit?

Nein, die sind schon gut. Man sieht immer Stärken und Schwächen eines Gegners. Aber für den ballführenden Spieler sind sie eher weniger von Bedeutung.

Wie hat sich überhaupt das Profidasein durch die mediale Technik gewandelt in den letzten Jahren?

Sehr. Das ist auch echt ein hartes Thema für Sie als Journalisten. Sie sind hier und letztendlich müssen Sie berichten, obwohl nicht viel passiert. Ich kann das komplett nachvollziehen, dass unsere schwache Chancenverwertung im Spiel gegen Nordirland daher wie ein Geschenk aufgenommen wurde, weil drei Tage lang darüber philosophiert werden konnte. Was gibt es sonst?

Sagen Sie es uns!

Nichts. Wir haben ein Superteam, es passiert da nichts. Alle ziehen an einem Strang, das sind alles gute Charaktere, jeder hat hier ein klares Ziel. Dass Ihr Journalisten natürlich immer wieder neue Dinge kreieren und neu erfinden müsst, das ist bestimmt unheimlich schwer. Und das ist noch viel extremer als noch vor ein paar Jahren. Ich glaube auch nicht, dass das schon das Ende ist, das wird noch weitergehen.

"Als ich das Datum des Finals gesehen habe, musste ich schmunzeln"

Zum Beispiel?

Viele Spieler sind ja schon selber halbe Journalisten, jeder bringt sich über seine Social-Media-Kanäle so in Position, wie er es gern hätte. Spannend bleibt auf jeden Fall, wie das weitergeht.

Im Unterschied zu Ihrer Position auf dem Spielfeld sind Sie in dieser Hinsicht sehr defensiv ausgerichtet. In diesem Jahr haben Sie 13 Tweets abgesetzt.

Ja, definitiv. Ich weiß nicht, ich habe dazu noch nicht so den Draht gefunden. Aber das ist jedem selbst überlassen. Mittlerweile ist das ja auch schon mehr als nur ein persönlicher Gebrauch. Das nennt man dann wohl Teil des Geschäfts, aber da bin ich zum Glück noch nicht angekommen. Ich bin generell offen für diese Medien und auch ausgeglichener geworden, was das betrifft und weniger aufgeregt als vor ein paar Jahren. Aber man muss nicht alles mitmachen.

Sie haben am Tag des EM-Finales Geburtstag und haben gesagt, dass Sie sich mit dem Titel beschenken wollen.

Nicht mich, sondern uns beschenken! (lacht) Vor einem Jahr habe ich das mitgekriegt. Ich hatte zwei schwierige Jahre in Florenz hinter mir und wusste nicht, wie es weitergeht. Seitdem habe ich viel investiert, habe versucht, alles rauszuhauen, und glaube, dass es mir bis hierhin ganz gut gelungen ist. Allerdings reicht es nicht, nur davon zu träumen, man muss es auch umsetzen. Das wird noch ein schwerer Weg, wenn man sieht, wer da noch auf uns zukommen könnte. Aber als ich das Datum des EM-Finals gesehen habe, musste ich schmunzeln und habe zu mir gesagt: Es könnte ein guter Tag werden.

Das Gespräch führten Stefan Hermanns und Michael Rosentritt.

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