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Spitze spielen, ohne Stürmer zu sein. Mesut Özil, Marco Reus oder Mario Götze (von rechts) heißen abwechselnd die Angreifer in Joachim Löws System ohne echten Stoßstürmer.

© Reuters

Update

Mario Gomez verletzt: Löw gegen Kasachstan ohne echten Stürmer

Bundestrainer Joachim Löw setzt auch heute in der WM-Qualifikation gegen Kasachstan auf kleine, spielstarke Offensivspitzen – klassischen, großen Stoßstürmern wie Mario Gomez, der verletzt ausfällt, droht nun das Aussterben.

Als Mario Gomez sich niederlässt, schnieft das Polster. Würde der 27-Jährige sich nun umschauen, könnte er hier an den Wänden der Villa Kennedy in Frankfurt ein paar übergroße Schwarz-Weiß-Porträts berühmter Schauspieler wie das von Steve McQueen oder Robert Redford sehen, allesamt recht ansehnliche Typen. Auch Gomez ist ein Typ. Beinahe einsneunzig groß, kein Gramm Fett zu viel, ein Modellathlet, gefragt in der Werbung wie kaum ein anderer deutscher Nationalspieler. Außerdem ist Gomez in seinem Fach auch eine ziemliche Berühmtheit. Kein deutscher Stürmer hat in einer Champions-League-Saison mehr Tore geschossen. Seine Quoten in der Bundesliga (229 Spiele/134 Tore) und in der Nationalelf (58/25) können sich auch sehen lassen. Und nun sollen solche Typen aussterben, wie es Joachim Löw andeutet?

„Die Zukunft vorne heißt nicht große, bullige Stürmer, sondern kleine Spieler, die auf ganz engem Raum großen, unbeweglichen Gegenspielern das Leben schwermachen und am Boden die besten Lösungen finden“, hat Löw gesagt. Das Problem von Mario Gomez ist wohl nicht das Toreschießen, sondern eher seine Statur, die ein gewisses Spiel mit sich führt. Es ist ein Stil, den Löw immer mehr hinterfragt. Der Bundestrainer hat gerade einen flammenden Appell für kleine, wendige Offensivspieler gehalten, für „fußballintelligente und flexible Spieler, die eine Vielfalt an Lösungen parat haben“, wie der 53-Jährige es nennt.

Der Bundestrainer denkt dabei an Spieler wie Mario Götze, Marco Reus und Mesut Özil, die auf Grund ihrer Fähigkeiten auch in der Spitze spielen können, ohne gelernte Stürmer zu sein. Mario Gomez muss lächeln. Sicherlich, das seien quirlige Spieler, die torgefährlich sein können, aber sie würden keine 60, 70 Tore machen wie Messi für den FC Barcelona. Dieser habe zwar nicht seine Statur, sagt Gomez, aber „Lionel Messi ist ein totaler Mittelstürmer“. Einer, der dazu noch Spielmacher sei.

Messi schießt Tore ohne Ende. Wenn einer wie er 60, 70 Tore schieße, dann sei er ein Killer, findet Gomez. „Jedes Team braucht einen Killer, unabhängig, ob er groß oder klein, schwer oder leicht ist.“ Gomez nervt ein wenig die aktuell moderne Null-Stürmer-Diskussion. Zumindest heute Abend in Astana, wo die deutsche Mannschaft ihr WM-Qualifikationsspiel gegen Kasachstan bestreitet (19 Uhr/live im ZDF), nimmt nun der Mittelstürmer selbst seinem Trainer die Entscheidung ab. Gomez musste wegen einer leichten Oberschenkelzerrung kurzfristig passen. Bis zum Rückspiel gegen die Kasachen am kommenden Dienstag in Nürnberg soll er aber schon wieder fit sein.

Zuletzt ließ Löw im Februar beim 2:1-Sieg in Paris gegen Frankreich die letzte halbe Stunde seine neueste Variante spielen. Löw nahm Gomez für Toni Kroos vom Feld, somit stand kein nomineller Stürmer mehr auf dem Platz. Tatsächlich war die deutsche Mannschaft im 4-6-0-System in der Offensive noch gefährlicher, weil sie für den Gegner weniger berechenbar war. Özil war in der zentralen Spitze als Anspielstation und Ballverteiler zu finden. Aber auch Thomas Müller und Kroos stießen in die Spitze. „Damit kamen die Franzosen nicht zurecht, weil sie die Zuordnung in der Innenverteidigung verloren haben“, hatte Löw hinterher gesagt.

Schon im Testspiel gegen die Niederlande im vorigen November spielte Löw mit dem offensiven Mittelfeldspieler Götze in der Spitze. „Bei diesen vielen quirligen und technisch hochklassigen Mittelfeldspielern macht es Sinn, flexibel zu attackieren. Mal stößt Özil in die Spitze, dann ein anderer. Spanien macht es uns vor“, sagt Franz Beckenbauer. Die Spanier wurden 2012 auf diese Weise Europameister. Statt Angreifer Fernando Torres spielte Cesc Fabregas, ein gelernter Mittelfeldspieler.

Mit Blick auf die WM 2014 in Brasilien forciert der Bundestrainer neben der klassischen Variante mit einem Stürmer wie Miroslav Klose oder eben Gomez in der zentralen Spitze das spanische Modell mit einem verkappten Neuner. An Klose und Gomez will der Bundestrainer trotzdem weiter festhalten. Die beiden hätten „ihre Wichtigkeit für uns“ in ganz wichtigen Spielen bewiesen. Löw gehe es vielmehr um eine echte Alternative. „Wir haben so viele Spieler, die das Potenzial und die Qualität haben, unsere Philosophie durchzubringen: Özil, Götze, Reus – da eröffnen sich viele Varianten“, sagt Löw. Das seien Spieler, die immer in den Abschluss kommen. Er habe sich schon länger mit diesem Gedanken beschäftigt, sagt der Bundestrainer: „Wenn Spieler abwechselnd in die Spitze stoßen, dann brauche ich keine Stürmer, die immer im Zentrum stehen.“

Mario Gomez hat so seine eigene Wahrnehmung. Vermutlich mache der Trainer seine Entscheidung auch vom Gegner abhängig, welchen Typ er brauche. Gerade einen solchen, der das Toreschießen in sich habe. Mario Gomez steht auf, lächelt und sagt: „Irgendwann benötigt jede Mannschaft einen, der Tore schießt. Sonst gewinnst du keine Spiele.“

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