zum Hauptinhalt

Sport: Marion Jones: Gelaufen, gewonnen, fertig

War das ein Unterschied. Wie Tag und Nacht.

War das ein Unterschied. Wie Tag und Nacht. Wie Feuer und Wasser. Als Marion Jones in neuer Jahresweltbestzeit von 21,84 Sekunden über 200 m in Sydney ihre zweite olympische Goldmedaille gewann, lächelte sie kurz ein wenig, winkte ins Publikum, schnappte sich die US-Flagge und die Fahne von Belize und lief ihre Ehrenrunde. Von den 100 000 Zuschauern kam freundlicher Beifall. Das war es dann auch. Die Szenen ließen sich nicht mehr vergleichen mit der euphorischen, begeisternden Stimmung am vergangenen Sonnabend nach ihrem 100-Meter-Sieg. Auch die hochgewachsene Ausnahmeläuferin zeigte nicht die überschäumende, offene Freude wie zuvor. Es sah alles eher ein wenig hölzern und gezwungen aus. Eben wie ein Job, der soeben erledigt wurde. Gelaufen, gewonnen, fertig.

Vor fünf Tagen sprudelten die Worte der 24-Jährigen noch wie ein Wasserfall aus ihr heraus. Wie schnell sich doch eine Situation verändern kann. Innerhalb von einer Woche wurde aus einer gefeierten Diva, die mit fünf Olympiasiegen in Sydney Geschichte schreiben will, eine Athletin, die man zwar freundlich behandelt, aber insgeheim doch etwas misstrauisch beäugt. Vor zwei Tagen kam die Schreckensnachricht an die Öffentlichkeit: Ihr Ehemann, Kugelstoß-Weltmeister C. J. Hunter war insgesamt viermal positiv auf Nandrolon gestestet worden und muss nun mit zwei Jahren Sperre rechnen. Das fällt irgendwo auch auf seine Frau zurück. Doch am Donnerstag sah vordergründig alles aus wie immer. Der 150 Kilogramm schwere Koloss saß sogar wieder auf der Tribüne und brüllte, dass die Stühle wackelten. Wie beim 100-m-Rennen. Im Finale tauchte er dann allerdings ab. In den letzten Tagen hat sich die Welt der Sprintkönigin aus den USA verändert. Auch wenn sie es nicht zeigen will. Was in der 24-Jährigen, die übrigens vor sieben Jahren auch schon einmal eine Dopingprobe geschwänzt haben soll, vorgeht, das weiß niemand. Der Öffentlichkeit will sie jedenfalls weismachen, dass sich für sie nichts verändert hat. "Ich habe nach wie vor das Ziel, fünf Goldmedaillen zu gewinnen und werde dieses Ziel verfolgen." Und dann fügte sie noch hinzu: "Über meinen Mann werde ich nicht mehr sprechen." Und ganz egal in welch psychischer Verfassung sich Marion Jones befindet, eins ist sicher: Sie lässt sich nichts anmerken. Den 200-Meter-Lauf spulte sie herunter, als wäre nichts geschehen. Business as usual. Und hinterher sagte sie, damit nur ja keiner auf die Idee kommt, sie in den Dopingskandal ihres Mannes miteinzubeziehen: "Die Zuschauer sind phantastisch. Offenbar haben die Menschen begriffen, dass Doping in den besten Familien nur einmal vorkommt. Jeder der mich kennt, weiß, dass ich sauber bin." Und nun will sie wieder zu ihrem Alltagsgeschäft übergehen. Sie hat noch einiges vor. Denn der 200-m-Titel war erst Sieg Nummer zwei auf dem Weg zu ihren geplanten fünf Goldmedaillen.

Am heutigen Freitag ist der Weitsprung dran. Hier sprang die 100-m-Weltmeisterin in der Ausscheidung locker 6,78 m im ersten Versuch. Damit hatte sie die Qualifikation ereicht und sparte Kraft, denn weitere Versuche waren nicht mehr nötig. Sie ist sicher eine ernstzunehmende Gegnerin für Heike Drechsler, Fiona May (Italien) und Co. Der Weitsprung ist der Knackpunkt bei ihrem Unternehmen Gold in Sydney. Nachdem sie bei der WM 1999 in Sevilla nicht über Platz drei hinausgekommen war, ist sie nach wie vor technisch schwach. Doch wenn es ihr gelingen sollte, ihre Anlaufgeschwindigkeit mit einem gelungenen Absprung nur halbwegs in Weite umzusetzen, dürfte Marion Jones auch in dieser Disziplin so gut wie unschlagbar sein.

Aber irgendwie ist alles nicht mehr so wie früher. Auch auf ihre glanzvolle Erscheinung ist etwas von dem Schatten gefallen. Die Begeisterung ist nicht mehr so natürlich und unbedarft. Es herrscht Anerkennung anstatt Begeisterung.

Ursula Kaiser

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false