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Mark Webber (39) fuhr von 2002 bis 2013 in der Formel 1. Seit 2014 fährt  der Australier im Werks-Porsche 919 Hybrid in der Langstrecken-WM (World Endurance Championship).

© Porsche/Tap

Mark Webber im Interview: "Vielleicht war ich in der Formel 1 nicht individuell genug"

Mark Webber ist nach elf Jahren in der Formel 1 zur Langstrecken-WM gewechselt. Im Interview spricht er über die Anforderungen an einen Formel-1-Piloten und die Unterschiede zwischen beiden Rennserien.

Von Sabine Beikler

Mark Webber (39) fuhr von 2002 bis 2013 in der Formel 1. Seit 2014 fährt  der Australier im Werks-Porsche 919 Hybrid in der Langstrecken-WM (World Endurance Championship). Er bildet mit Timo Bernhard und Brendon Hartley ein Team. Sabine Beikler sprach mit Webber in Austin, Texas, vor dem 5. Lauf der WEC.

Mark, Sie sind elf Jahre Formel 1 gefahren und dann in die WEC gewechselt. Haben Sie diesen Wechsel jemals bereut?

Nein. Vielleicht hätte ich ein bisschen früher kommen sollen, aber Porsche war ja noch nicht im Motorsport dabei (lacht). So musste ich auf Porsche warten. Ich bereue den Wechsel nicht.  Ich habe definitiv das Richtige gemacht. Ich vermisse nichts. Wenn ich sagen würde, ich vermisse etwas, hätte ich die falsche Entscheidung getroffen. Ich bin glücklich mit meiner Entscheidung und dem Timing. Mit 39 oder 40 ist das auch nicht mehr das Alter für die Formel 1.

Würden Sie ihrem Freund Fernando Alonso raten, in die WEC zu wechseln?

Nicht jetzt. Er ist momentan in einer schwierigen Situation. Ganz offensichtlich kann ihm das Team derzeit kein richtiges Auto geben. McLaren ist natürlich frustriert. Und allgemein haben in der Formel 1 etliche Fahrer Handschellen an, gegen die sie nichts machen können. Im Gegensatz zur WEC ist die Formel 1 eine Motorenkategorie. Es geht dort mehr um Motoren als um Autos. Du hast dich in der Formel 1 auch wesentlich mehr um die Reifen zu kümmern. Und ich muss in der WEC ein bisschen mehr Geduld haben, denn das LMP1-Auto hat etwas mehr Gewicht als ein Formel-1-Bolide. Die PS-Stärken sind dieselben.

Sie haben Ende August am Nürburgring Ihr erstes Rennen in der LMP1 gewonnen, Formel-1-Fahrer Nico Hülkenberg davor die 24 Stunden von Le Mans. Also können Formel 1-Piloten auch in der WEC ganz vorne mitfahren. Glauben Sie, dass die WEC die Formel 1 auf lange Sicht überholen wird?

Das glaube ich nicht. Die WEC wird natürlich immer stärker. Ich fahre in jedem WEC-Rennen mit und gegen Profis. Aber nicht das gesamte Feld besteht aus Profis, sondern auch aus Amateur-Teams. Die Formel 1 sollte ausschließlich von Profis gefahren werden. Aber der Vergleich ist sowieso nicht fair. Sie können nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

Ist die Formel 1 noch richtiges Racing?

Das wäre eine gute Frage für Nico. Jeder fragt mich, was der Unterschied ist zwischen Formel 1 und WEC. Ich bin acht unterschiedliche Formel-1-Autos gefahren. Die Formel 1 in sich verändert sich ja. Ich hatte V8-Motoren, ich hatte V10, ich hatte Pirelli-Reifen, Bridgestones und Michelins. In den letzten Jahren habe ich die Formel 1 nicht mehr genossen, aber die meiste Zeit meiner Karriere habe ich sie geliebt. Denn die Autos waren so phänomenal schnell und so herausfordernd zu fahren. Du wachst jeden Morgen auf und sagst: Wow, ich mache heute etwas ganz Spezielles. So sollte das auch sein.

Ist Ihr Buch „Aussie Grit“ so etwas wie eine Abrechnung mit der Formel 1?

Nein. Es sind nur meine offenen Gefühle über das, was passiert ist. Wenn ich jetzt sagen würde, alles war Austern und Champagner ist das nicht die Erfahrung eines Sportsmannes. Das Buch ist die Wahrheit, wie ich gefühlt habe. Alles in allem ist die Bilanz sehr positiv. Ich bin eine bessere  Persönlichkeit geworden, weil ich auf diesem hohen Niveau Rennen gefahren bin und mit Spitzenleuten gearbeitet habe. Aber jeder Tag birgt auch Überraschungen. Das ist überall das Gleiche in einem Top-Business. Ob Motorsport oder Baseball oder Fußball.

 Was bedeutet „Grit“ eigentlich?

In Amerika weiß jeder, was „Grit“ bedeutet, in Australien, Neuseeland, in Großbritannien auch. In Spanien oder Deutschland versteht das niemand. „Grit“ bedeutet Hunger, Entschlossenheit, Fanatismus, Kämpfen. Das ist „Grit“. 

Sie fahren zusammen mit Timo Bernhard, einem der erfahrensten und erfolgreichsten Sportwagenpiloten. Was konnten Sie von ihm lernen, was er von Ihnen?

Timo war ein ganz wichtiger Faktor für mich, um die Sportwagenmentalität zu lernen. Wir haben sehr schnell ein sehr gutes Verhältnis aufgebaut. Er ist super, super offen, um mir dabei zu helfen, mich auf verschiedenen Gebieten zu verbessern. Vor allem dabei zu verstehen, wie Langstreckenrennen funktionieren. So können sich die Bedingungen sehr ändern, in zwei, drei Stunden kann sich das Auto sehr verändern, auch die Streckentemperaturen oder die Streckenverhältnisse. In der Formel 1 ist das ein viel kleineres Fenster. Dann gibt es in der WEC auch Fahrerwechsel, das alles musste ich erst lernen. Timo war darin sehr gut. Er hat mir die Umstellung sehr leicht gemacht. Was er von mir lernen konnte? Ich habe mit sehr guten Leuten zusammengearbeitet. Ich hatte das Glück, in der Formel 1 mit einigen der besten Ingenieuren der Welt arbeiten zu können. Sie haben auch das beste aus mir herausgeholt. Zu verstehen, dass man keine Kompromisse eingehen darf. Dass man an kleinen Dingen viel arbeiten muss, um einen kleinen Fortschritt herauszuarbeiten. Das bezieht sich auf Fahrtechnik. Ich bin auf etlichen Rennstrecken 15 Jahre lang gefahren, ich weiß also, wie sich diese kleinen Kurven verhalten. Das ist eine sehr gute Erfahrung, die ich in die WEC-Kategorie für meine Teamkollegen einbringen kann.

Timo Bernhard sagt, Sie seien in Sachen Aerodynamik extrem erfahren.

Das ist etwas, was sich in der Formel 1 seit den späten 1960er Jahren auf ein sehr hohes Niveau entwickelt hat. Wir wissen, dass der Wind von großer Bedeutung für das Verhalten des Autos ist. Es ist irgendwie wie ein Flugzeug. Das musst du verstehen. Damit haben GT-Fahrer keinerlei Erfahrung. Aber je mehr sich die Rundenzeiten der LMP1 der Formel 1 annähern, umso mehr gleichen sich auch die Anforderungen an. Da kann meine Erfahrung sicher helfen.

Ihre Teamkollegen Bernhard und Hartley betonen, Sie seien ein fantastischer Teamplayer. Sie kommen aus der Formel 1, dort gelten die meisten Fahrer als absolute Egoisten. Mussten Sie deshalb eine Verhaltenstherapie machen?

Nein (lacht). Ich habe Teamsport seit meiner Jugend geliebt. So habe ich zum Beispiel Fußball gespielt, also in einer Teamumgebung. Ich habe das genossen. Vielleicht war ich in der Formel 1 nicht individuell genug, meine Gier nicht groß genug. Ich weiß es nicht. Ich liebe die Formel 1, ich habe meine Zeit dort genossen. Ich habe gute und schlechte Dinge erlebt, das ist meine Reise im Motorsport. Ich bin bald 40 - ich habe mehr Erfahrung, die Gier ist weg. Es ist jetzt mehr die Freude an der neuen Herausforderung wie zum Beispiel meinem jungen Teamkollegen Brendon Hartley helfen. Mit 25 kann er noch eine Menge lernen.

Das Gespräch führte Sabine Beikler.

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