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Sport: Masseur mit Fanklub

Nach 26 Jahren verlässt Hermann Rieger den HSV

Manchmal ist Hermann Rieger die ganze Aufregung um seine Person peinlich. Wenn die aufgebrachten Fans wieder mal „Außer Hermann könnt ihr alle geh’n“ singen, oder wenn das ganze Stadion tobt, weil Rieger bei minus sechs Grad auf die andere Spielfeldseite rennt, um dort einen Profi zu behandeln.

Es war im Januar im Kropp, ganz im Norden der Republik, wo der HSV im Winter immer ein so genanntes Blitzturnier spielt, als ihm die ganze Haupttribüne zujubelte. Der HSV hatte seine Stars zu Hause gelassen. Der Organisator und Stadionsprecher grummelte vor sich hin, die Hamburger hätten nur „1b-Ware“ geliefert, aber viel Geld verlangt. Dann sagte der Mann am Mikro trotzig: „Aber einer ist erstklassig: Wir begrüßen – Hermann Rieger!“ Rieger, im T-Shirt, drehte sich um, hob die Daumen. Später schrieb er mehr Autogramme als die Profis.

Was ist das für ein Mann, der als Masseur einen eigenen Fanklub mit 650 Mitgliedern hat und nach dem sogar ein kleiner Weg auf dem Trainingsgelände am Ochsenzoll benannt worden ist?

Seine Popularität hat viel mit der Entfremdung der Fans von den Profis zu tun. Der scheidende Masseur, das sagt der Vorstandsvorsitzende Bernd Hoffmann, erfülle den Wunsch der Fans nach Nähe und Herzlichkeit – „Dinge, die im modernen Fußball etwas verloren gegangen sind“. Der 62 Jahre alte Rieger ist die letzte Konstante des HSV. Nach 26 Jahren ist Schluss. Zum Saisonende verlässt er Hamburg und geht zurück nach Bayern ins heimische Mittenwald.

Rieger begann Mitte der Siebzigerjahre bei Bayern München und knetete dort Beckenbauer, Hoeneß und Rummenigge durch. Manfred Kaltz lotste ihn 1977 zum Hamburger SV. Der war damals der große Rivale der Bayern, und nun kam ein echter Bayer, der Ski fahren, jodeln und bergsteigen konnte, in die Hansestadt. Schnell zeigte sich die Haupteigenschaft Riegers: Loyalität bis zur Selbstaufgabe. Eigentlich sollte es nur ein kurzer Abstecher in den Norden werden. „Ich hatte doch nur für zwölf Monaten unterschrieben“, sagt Rieger heute, „aber dann vergessen zu kündigen.“

Aus zwölf Monaten wurden 26 Jahre. Er hat sich nie Feinde gemacht in dieser Zeit. „Ich bin mit allen gut ausgekommen“, sagt Rieger. Ein schlechtes Wort wird man vom Masseur nie hören. Nur einmal hat er, wie immer in schlabberiger Trainingshose, ausgewaschenem Shirt und Badelatschen an die Tür seiner Kabine am Ochsenzoll gelehnt, ein bisschen geseufzt und erzählt, dass die Spieler früher mehr Zeit hatten. Und weniger von sich hielten. Dennoch hört er ihnen noch immer zu, den Jungen, Alten, Erfolgreichen, Erfolglosen, Eintagsfliegen und Dauerbrennern. Der ewig verletzte Karsten Bäron etwa wäre ohne den Zuspruch Riegers gar nicht mehr auf die Beine gekommen. Und als Franz Beckenbauer 1982 den HSV verließ, schenkte er Rieger eine Hawaii-Reise.

Auch der Arbeitgeber, dem Rieger so lange treu war, wird ihn beschenken. Andere Physiotherapeuten bekämen zum Abschied vielleicht einen Blumenstrauß, Hermann Rieger bekommt ein eigenes Abschiedsspiel.

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