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Sport: Mauergeschichten: Die Saison, die niemals begann

Als Günther Fiebig die Wohnungstür öffnet, trägt er einen hellblauen Trainingsanzug von Puma. Natürlich ein Trainingsanzug, möchte man glauben, denn der Sport gehörte zu seinem Leben.

Als Günther Fiebig die Wohnungstür öffnet, trägt er einen hellblauen Trainingsanzug von Puma. Natürlich ein Trainingsanzug, möchte man glauben, denn der Sport gehörte zu seinem Leben. Günther Fiebig aber sagt: "Das ist ein Hausanzug." Sein letztes Fußballtraining liegt schon Jahrzehnte zurück, eine Herzoperation, eine Gürtelrose und kleinere Beschwerden haben dem aktiven Sport in seinem Leben ein Ende gesetzt. Ein 81-Jähriger läuft nicht mehr dem Fußball hinterher. Doch auch die Radfahrten mit dem Seniorenklub sind nicht mehr möglich. "Dabei sind wir so gerne Rad gefahren", erinnert sich Elisabeth Fiebig und lächelt wehmütig. Es ist still geworden in der Gutachstraße in Reinickendorf.

Zum Thema Online Spezial: 40 Jahre Mauerbau Fotostrecke: Die Mauer in Bildern Am 13. August 1961 war das anders. Es war ein Sonntag, Elisabeth Fiebig stand an ihrem Herd, kochte Eisbein und in ihrem Wohnzimmer ging es laut zu. Dort saß Günther Fiebig mit der kompletten Alte-Herren-Mannschaft des VfB zu Pankow. Das war ein ungewöhnlicher Verein, der für die politischen Wirren dieser Zeit steht. Der Klub stammte zwar aus dem Ostteil Berlins, aber er wurde aus politischen Gründen im Westen noch einmal neu gegründet. Viele ehemalige Spieler dieses Vereins waren wie Günther Fiebig in den Westen gegangen. Ihr alter Klub hatte sich im Osten umbenennen müssen und hieß jetzt Einheit Pankow. Doch manche Spieler aus dem Osten wollten für ihren alten Klub spielen, der unter dem Namen Pankow im Westen spielte. So kam es, dass sie mehrmals in der Woche über die Kontrollstation Wollankstraße zum Training und zum Spiel in den Westen kamen.

An jenem Sonntag im August also saß eine gesellige Runde von Spielern aus dem Westen und dem Osten der Stadt im Wohnzimmer der Fiebigs in Reinickendorf. "Es ging immer sehr lustig zu bei diesen Treffen", erinnert sich die Hausherrin. "Das Eisbein hatten die Spieler aus dem Osten mitgebracht, das war dort billiger." Zuvor hatten die Freunde ein Spiel beim VfB Hermsdorf bestritten, ein Freundschaftsspiel. Die Punkterunde sollte erst später starten. Doch für die Alten Herren des VfB zu Pankow ging die Saison 1961/62 niemals los. Das Spiel gegen Hermsdorf sollte das letzte in der alten Besetzung gewesen sein.

Über das Radio, so erinnert sich Günther Fiebig heute, erreichte die fröhliche Runde die Kunde vom Mauerbau. Wie viele Mannschaftskameraden damals aus dem Osten beim Eisbeinessen saßen, weiß der Rentner heute nicht mehr. An jenem 13. August mussten sie sich entscheiden, ob sie im Westen bleiben wollten oder wieder zurückgehen. Kein Spieler blieb. "Das war damals noch nicht abzusehen, dass die Grenze so dicht gemacht wird", sagt Fiebig.

Heute weiß er nicht mehr, wie es überhaupt dazu kam, dass an jenem Sonntag in seinem Wohnzimmer einige Spieler aus dem Osten saßen. Denn eigentlich waren die Grenzen seit Mitternacht zu. Das Freundschaftsspiel gegen den VfB Hermsdorf, darauf besteht er, fand jedenfalls an jenem 13. August statt. Vielleicht hatten einige bei ihren Verwandten übernachtet, vielleicht hatte ein Spieler unbeobachtet die Grenze überwunden. Das Rätsel läßt sich 40 Jahre später nicht mehr lösen. Alle jene AH-Spieler aus dem Osten sind inzwischen tot.

Es war das letzte Spiel der AH-Mannschaft in dieser Saison. Ab Montag durften die Mitspieler aus Berlins Ostteil nicht mehr zu ihrem Klub zurück. "Uns fehlten insgesamt neun Spieler", erinnert sich Fiebig. Der Verein musste die Mannschaft abmelden, einige Spieler versuchten die Saison in der dritten Mannschaft zu Ende zu spielen. Die Freunde trafen sich erst wieder, als es den Westberlinern erlaubt war mit einem Passierschein in den Osten zu gehen. "Da haben wir uns alle wiedergetroffen", sagt Fiebig, der als Platzmeister in einem Sägewerk arbeitete. Allerdings fehlte ihnen damals das Fußball spielen vor diesen Treffen.

Der VfB zu Pankow war ein kurioser Verein. Gegründet 1893 musste er sich 1951 umbenennen, da die privaten Sportvereine im Osten in Betriebssportgemeinschaften umgewandelt wurden. Einheit Pankow musste sich der Klub nennen, doch nicht alle Mitglieder wollten dieser Wandlung zustimmen. Sie wurden aus dem Verein ausgeschlossen. Daraufhin gründeten sie den Klub im Westen erneut und fanden einen Fußballplatz in Reinickendorf. Rund 25 Mitglieder stammten in der Zeit vor dem 13. August 1961 aus dem Osten. Es kam zum Beispiel zu der kuriosen Anekdote, dass diese Mitglieder die Pokalsammlung Stück für Stück durch die Kontrollen in den Westen schmuggelten. "Unter der Kleidung", berichtet Günther Fiebig. Allerdings passten nur kleinen Trophäen unter die Jacken, weshalb die Pokalsammlung des VfB zu Pankow insgesamt sehr klein ausfiel. Erst durch neue Pokale kamen auch große Trophäen in das Vereinszimmer in Reinickendorf. Nach dem Mauerfall aber vereinten sich der VfB zu Pankow und Einheit Pankow wieder. Heute heißt der Klub VfB/Einheit zu Pankow.

Jahrelang ging das Ehrenmitglied Günther Fiebig zu den Treffen seines alten Vereins. "Heute treffen sie sich am Abend", berichtet er, "ich habe schon einmal vorgeschlagen, dass wir uns am Nachmittag sehen." Das aber wollten die zumeist jüngeren Vereinsmitglieder nicht. So kam es, dass es in der Wohnung der Fiebigs sehr ruhig wurde.

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