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© dpa

Meike Kröger: Lernen in Kirgisistan

Ein Jahr in einem Sozialprojekt lässt Hochspringerin Meike Kröger gelassener auf ihr Leben blicken

Berlin – Sie hat noch Zeit bis zum 2. August, bis zum Meeting in Wattenscheid. Spätestens dann muss sie erneut 1,93 Meter überqueren. In Ulm, bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften, hat Meike Kröger das schon geschafft. Die B-Norm für die Qualifikation zur WM in Berlin hat sie damit erfüllt. Sie ist deutsche Vizemeisterin im Hochsprung, aber sie muss die Norm zweimal erfüllen, nur dann hat die 23-Jährige die Chance auf einen WM-Start im August. Nach Wattenscheid ist Nominierungsschluss.

Meike Kröger sieht das einigermaßen gelassen. Seit sie „sechs Wochen lang total depressiv war“, seit sie „keine Lust mehr hatte, in diesem Überfluss, mit dieser Verschwendung zu leben“, da sieht Meike Kröger von der LG Nord Berlin vieles in Deutschland ziemlich gelassen.

Kirgisistan hat sie so gelassen gemacht. Von September 2005 bis August 2006 hat Meike Kröger in Bischkek, der Hauptstadt der bettelarmen Republik Kirgisistan, in einem Kinderheim gearbeitet. Die Abiturientin Kröger wollte ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren, am liebsten in einem russischsprachigen Land. Die Organisation Via e.V., auf solche Projekte weltweit spezialisiert, bot ihr ein Kinderheim in Kirgisistan an, Gastfamilie inklusive.

Sie war 19, sie war behütet im Wohlstand aufgewachsen, nun tauchte sie ein in eine Welt, auf die sie nicht vorbereitet war. Sie fand sich wieder in einem staatlichen Kinderheim, in dem 60 Kinder lebten, zwischen drei und 16 Jahre alt. 15 Erwachsene gehörten zum Personal, Bürokräfte, Sekretärin und Hausmeister schon eingerechnet. Die Hauptarbeit leisteten Sozialpädagogen und drei Erzieher.

Eltern, die kein Geld mehr hatten, gaben ihre Kinder ab, oder die Heimmitarbeiter sammelten obdachlose Kinder auf der Straße ein. Alltag in Bischkek, aber erschreckende Szenen für Meike Kröger. Sie musste sich schnell anpassen. Als sie kam, konnte sie kein Russisch, also kümmerte sie sich erst mal um die Kleinsten. „Die erzählten mir Geschichten, egal, ob ich es verstand oder nicht“, erzählt sie. Sie bastelte Memorykarten, „es gab keinerlei Materialien, man musste alles selber besorgen“. Ihre ersten russischen Wörter lernte sie von den Kleinkindern, in einem dreimonatigen Russischkurs erfuhr sie dann mehr Feinheiten der Sprache. Je sicherer sie mit der Sprache wurde, desto größer wurden die Kinder, um die sie sich kümmerte. Die junge Deutsche erledigte Hausaufgaben mit ihnen oder begleitete sie in die Schule. In Kirgisistan besteht Schulpflicht, aber niemand fragte nach, wenn einer nicht auftauchte. Es war alles Mangelverwaltung, in einem Land, in dem mehrere Familien in einer Wohnung leben, weil die Mieten so hoch sind.

Diese Mangelverwaltung erlebte Meike Kröger auch im Sport. Über die Tochter ihrer Gastmutter nahm sie telefonisch Kontakt zu Igor Paklin auf, dem früheren russischen Hochsprung-Weltrekordler mit den mächtigen Oberschenkeln, der in Bischkek lebte. Paklin nahm die Deutsche in seine Trainingsgruppe auf. Es gibt in der Stadt das Sparta-Sportstadion, es gibt auch eine Trainingshalle. Hallen-Training in Bischkek, das sah so aus: An der Hochsprunganlage lagen mehrere Schaumstoffmatten aufeinander, die Rundbahn war so miserabel, „dass die Spikes nicht mehr im Boden griffen“ (Kröger), Boxer, Fußballer, Leichtathleten trainierten gleichzeitig, Bälle flogen Kröger vor die Füße, weil die Netze ums Fußballfeld Löcher hatten.

Meike Kröger lernte einiges von Paklin. Er brachte ihr bei, viel über ihre Technik nachzudenken. Als er nach einigen Monaten nach Kuweit zog, löste ihn sein früherer Trainer in Bischkek ab. Auch von ihm profitierte Kröger sehr.

Aber genauso stark wie das Training blieben ihr die Kinderaugen in Erinnerung. Die Kinder leben in großer Armut, „aber sie haben so viel Freude am Leben“, sagt Meike Kröger, „sie haben so viel Spaß.“ Lebensfreude, das hat sie dort gelernt, hat wenig mit materiellen Dingen zu tun. Sie kann sich seither über manche Diskussionen in Deutschland ziemlich aufregen. Der Streit um die Rente zum Beispiel. In Kirgisistan, sagt sie, müssten Rentner von zehn Euro im Monat leben. „Davon kann man gerade Milch und Brot kaufen.“ Alte Leute müssten deshalb weiterarbeiten, um über die Runden zu kommen. Was sie zum Verkauf anbieten können, sagt Meike Kröger, „ist zum Beispiel selbst gemachte Marmelade“.

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