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Sport: Mein Schicksalsspiel (III): "Wir waren zu naiv"

Rauschender Sieg, grandioses Scheitern, der große Durchbruch oder der Anfang vom Ende: In unserer Serie "Mein Schicksalsspiel" erinnern sich Fußballer an Spiele, die ihre sportliche Karriere maßgeblich beeinflusst haben. Heute: Eduard Geyer.

Rauschender Sieg, grandioses Scheitern, der große Durchbruch oder der Anfang vom Ende: In unserer Serie "Mein Schicksalsspiel" erinnern sich Fußballer an Spiele, die ihre sportliche Karriere maßgeblich beeinflusst haben. Heute: Eduard Geyer.

Ach, der Uli Hoeneß. Ich habe neulich seinen Beitrag in Ihrer Zeitung gelesen. So ganz anfreunden kann ich mich ja eigentlich nicht mit dem Wort Schicksalsspiel. Das hat meiner Meinung nach im Sport ebenso wenig verloren wie das Wort Krieg. Aber denkwürdig waren die beiden Spiele zwischen unseren beiden Mannschaften im Herbst 1973 gewiss. Und warum der Uli gern von diesen Spielen erzählt, stand ja geschrieben. Und auch ich kann mich noch ziemlich genau daran erinnern. Es war nicht einfach irgendein Europacupspiel, es war ja das erste deutsch-deutsche Aufeinandertreffen im Meistercup. Nachdem wir in der ersten Runde Italiens Rekordmeister Juventus Turin ausgeschaltet hatten, wurde uns Bayern München zugelost. Mein Gott, wir gegen die Bayern. Es war für beide Seiten ein Prestigekampf auf höchster Ebene. Mancher sah darin auch eine Art Endspiel um den wahren Deutschen Meister. Unsere Ausgangslage war natürlich gut. Die Bayern gewannen mit 4:3 ihr Heimspiel. Mit Mühe, wie ich meine, denn wir führten zweimal in München. Für das Rückspiel hatten wir uns viel vorgenommen. Drei Auswärtstore, und die bei den Bayern, waren schon damals nicht schlecht.

Aber irgendwie hatte der Uli Hoeneß einen grandiosen Tag erwischt. In der 11. und 13. Minute war er mir beide Male enteilt und hatte die Bayern mit 2:0 in Front geschossen. Aber dann sind wir noch einmal ins Spiel zurückgekommen. Wätzlich, Schade und Häfner drehten mit ihren Toren das Spiel. Wir wähnten uns schon im Viertelfinale. Doch dann hat dieser Gerd Müller uns noch ein Ding reingewurstelt - 3:3 hieß es am Ende. Wir waren draußen.

Später haben wir oft über dieses Spiel gesprochen. Im Rückspiel waren wir klar besser und hatten auch die meisten Chancen gehabt. Ich denke, wir haben taktisch versagt. Wir haben zu offensiv gespielt, vor allem wenn man so ein Hinspielergebnis im Rücken hat. Die Bayern mussten auch zittern. Natürlich kann ich mich nicht freisprechen von Kritik. Als linker Außenverteidiger war der Uli mein Mann. Uns war nicht unbekannt, dass der Uli ein teuflisch schneller Mann war. So etwas wie Spielerbeobachter gab es auch schon damals. Aber ich glaube, dass wir als Mannschaft zu naiv waren. Die Bayern hatten ja gleich zu Beginn des Spiels, also noch bevor Hoeneß zweimal getroffen hatte, einige Gelegenheiten. Vielleicht kamen die falschen Signale von der Bank. Walter Fritzsch war zwar ein Meister seines Fachs, aber normalerweise hätten wir sehr viel kompakter in der Defensive spielen müssen. Schließlich gewinnt man in der Abwehr eine Meisterschaft. Offensive kann man auf Dauer nicht gewinnen. Irgendwie hatten wir keine gute Abstimmung. Ich spielte ohne Absicherung gegen Hoeneß, und ich hatte nicht gerade meinen besten Tag erwischt. Im Westen bin ich wohl deswegen bekannt geworden. Aber auf diese zweifelhafte Ehre hätte ich gern verzichtet. Die Bayern hatten damals einfach mehr Glück. Übrigens auch im späteren Finale gegen Atletico Madrid, als in der letzten Sekunde der Verlängerung ein Verzweiflungsschuss Schwarzenbecks ein Wiederholungsspiel erzwang. Das gewannen sie dann aber 4:0. Ziemlich ungefährdet, glaube ich.

Ach ja, das waren noch Zeiten. Jedenfalls haben wir gezeigt, dass wir auch ein bisserl Fußball spielen konnten. In Dresden hätten sie damals 80 000 oder 100 000 Karten für das Rückspiel verkaufen können. Die ganze Stadt war aufgewühlt. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass rund um das Stadion ein irrsinniges Sicherheitsaufgebot bereitstand. Einen Sinn erfüllte das sogar, denn tausende Leute versuchten, ohne Karten ins Stadion zu gelangen. Wenigstens gab es damals keine Krawalle.

Die Aufregung vor dem Spiel hatte auch vor meinen Bekannten keinen Halt gemacht. Ich weiß noch, dass einige Autogramme von einigen Bayern-Spielern wollten. Nur leider hatten die es vorgezogen, erst kurz vor dem Spiel in Dresden einzutreffen. Uli hatte ja geschrieben, dass sie die Nacht vor dem Spiel noch auf bundesdeutschem Gebiet, in Hof, verbrachten. Die haben doch gesponnen, die Bayern. Die haben doch tatsächlich geglaubt, wir würden sie vergiften. Immer, wenn ich den Uli treffe, schmunzeln wir über diesen Punkt. Wir sagen uns "guten Tag" und erkundigen uns nach dem Befinden des Jeweiligen und erzählen uns freundliche Dinge.

Aber wissen Sie, wenn ich über Ihre Serie so nachdenke, fällt mir ein Spiel ein, das unter diese Rubrik fällt, für mich jedenfalls. Das WM-Qualifikationsspiel der DDR-Nationalmannschaft in Wien gegen Österreich am 15. November 1989. Ich hatte die Mannschaft mit 3:7 Punkten übernommen. Wir gewannen in Island und schlugen die UdSSR. In Wien hätte uns ein Unentschieden gereicht, und wir wären zur WM 1990 nach Italien gefahren. Leider war uns der Mauerfall wenige Tage vorher dazwischengekommen. Meine Spieler hatten alles andere im Kopf als diesen Toni Polster, der drei Tore gegen uns schoss. Wegen der politischen Wirrnisse waren meine Spieler gedanklich schon im Westen. Die dachten nur noch an Profiverträge und ans Geldverdienen. Schade, aber das war damals wirklich Schicksal.

Eduard Geyer

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