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Sport: Mein Schicksalsspiel (X): Der Mann mit dem Turban

Rauschender Sieg, grandioses Scheitern, der große Durchbruch oder der Anfang vom Ende: In unserer Serie "Mein Schicksalsspiel" erinnern sich Fußballer an Spiele, die ihre sportliche Karriere maßgeblich beeinflusst haben. Heute: Dieter Hoeneß.

Rauschender Sieg, grandioses Scheitern, der große Durchbruch oder der Anfang vom Ende: In unserer Serie "Mein Schicksalsspiel" erinnern sich Fußballer an Spiele, die ihre sportliche Karriere maßgeblich beeinflusst haben. Heute: Dieter Hoeneß.

Mhm, mein Spiel? Da muss ich richtig nachdenken. Die für den VfB Stuttgart haben meine Karriere befördert, das 6:0 über Eintracht Braunschweig Mitte der achtziger Jahre war aber auch sehr schön. Da sind mir fünf Tore in 21 Minuten gelungen, auf der Anzeigentafel stand nur noch "9" - für meine Rückennummer - "9 Hoeness, 9 Hoeness, 9 Hoeness, 9 Hoeness, 9 Hoeness".

Und trotzdem, das spektakulärste Spiel war dann wohl doch mein Turbanspiel. Ich habe das allerdings gar nicht so dramatisch erlebt. Es war am 1. Mai 1982, das Pokalfinale im Frankfurter Waldstadion gegen den 1. FC Nürnberg. Ein paar Wochen zuvor war Uli, mein Bruder, der damals schon unser Manager war, mit dem Flugzeug abgestürzt und als einziger Insasse mit dem Leben davongekommen. Und dann hatten wir die Chance, drei Titel zu holen: Deutscher Meister, was nicht geklappt hat. Auch hatten wir uns für das Finale im Europapokal der Landesmeister qualifiziert, das wir dann gegen Aston Villa verloren haben. Und wir hatten die Chance, den DFB-Pokal zu gewinnen.

Ich meine, in so einer Situation geht man nicht aus dem Spiel. Ich war schon nach etwa zehn Minuten mit dem Nürnberger Reinhardt zusammengekracht und hatte mir dabei eine stark blutende Platzwunde am Kopf zugezogen. Immer wieder wurde ich an der Seitenlinie behandelt, aber die Blutung hörte nicht auf. Dann war Halbzeit, es stand 0:2, unser Trainer Pal Csernai drängte mich, weiter zu spielen, aber das war überflüssig, denn ich hatte überhaupt nicht vor, mich auswechseln zu lassen.

Mull, also unser Mannschaftsarzt Müller-Wohlfahrt, meinte auch, es sei ungefährlich, weil ich ja keine Gehirnerschütterung hatte. Aber nähen müsse er schon. Und das war das schlimmste an der ganzen Angelegenheit, weil es ohne Narkose geschehen musste. Man hat in solchen Momenten allerdings soviel Adrenalin im Blut, so richtig gemerkt, was passiert, habe ich nicht.

Der Dieter Kürten vom ZDF, der das Spiel übertrug, der regte sich fürchterlich auf, sprach von Verantwortungslosigkeit und dass ich mit meiner Gesundheit spiele. Das allerdings fand meine Frau nicht so lustig, die damals hochschwanger war. Zwölf Tage später kam mein zweiter Sohn zur Welt. Sie konnte ja nicht wissen, dass alles nur dramatisch aussah, dass ich zwar mit dickem Kopfverband, eben dem Turban, über den Platz lief, aber weder der Arzt noch ich hatten Bedenken.

Ein paar Minuten nach Wiederanpfiff flankte Wolfgang Dremmler in den Strafraum, und ich musste den Ball verlängern. Mit dem Fuß wäre ich ja kaum drangekommen, also musste der Kopf her. Schmerzen hatte ich dabei keine, auf jeden Fall flog der Ball weiter zu Kalle Rummenigge, und der köpfte dann das 1:2. Und kurz vor Schluss, nachdem wir das Blatt schon hatten wenden können, bin ich noch einmal in eine Flanke von Paul Breitner reingesprungen und habe das 4:2 geköpft. Ich weiß noch, dass ich eigentlich zu früh abgesprungen bin und den Kopfball etwas verzögern musste. Das alleine zeigt ja schon, dass die Verletzung nicht so erheblich war.

Nun war ich ja damals schon 29 Jahre alt, also kein heuriger Hase mehr, aber dieses Spiel hat meinen Ruf als furchtloser Mittelstürmer wohl am Nachhaltigsten geprägt.

Sonst ist davon aber nichts nachgeblieben. Anders als bei meiner schweren Verletzung, dem Jochbein- und Augenhöhlenbruch am Ende meiner Karriere. Die Narbe sieht man heute noch - was habe ich mich damals im Krankenhaus verflucht. Denn eigentlich hatte ich schon meine Laufbahn beenden wollen nach der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko. Aber dann sind wir ja nicht Weltmeister geworden, und so wollte ich nicht aufhören. Zehn Wochen habe ich pausieren müssen, und als ich dann erstmals wieder eingesetzt wurde, es ging gegen Waldhof Mannheim, da hatte ich echte Bedenken und auch ein bisschen Angst.

Na ja, die war aber schnell überwunden, mir ist dann auch ein Kopfballtor gelungen. Und ganz ohne Risiko geht es in unserem Spiel eben nicht.

Dieter Hoeness

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