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Hertha-meister

© Ottmar Winter

Meisterschafts-Debatte: Ist Hertha ein Drachentöter? Oder ein Glücksritter?

Vor kurzem zählte Hertha nicht mal zu den Geheimfavoriten. Mit dem Sieg gegen die Bayern hat sich alles geändert. Was spricht für, was gegen einen Meister Hertha? Diskutieren Sie mit!

DAS SPRICHT FÜR HERTHA

Der Trainer

Als Lucien Favre noch neu war in Berlin, ist die Geschichte so oft erzählt worden, dass man sie bald schon nicht mehr hören konnte. Dass Favre beim FC Zürich in seiner ersten Saison nach der Hinrunde in Abstiegsgefahr steckte, dass er die Mannschaft komplett erneuerte – und im Jahr darauf mit dem FCZ Meister wurde. In Berlin war es bisher so: Nach seiner ersten Hinrunde steckte Favre mit Hertha in Abstiegsgefahr, er hat die Mannschaft danach komplett erneuert, und am Ende seiner zweiten Saison …

Der Torhüter
Der beste Torhüter im Torhüterland Deutschland ist – ein Tscheche. Jaroslav Drobny hat 83 Prozent aller Schüsse abgewehrt, die auf sein Tor gekommen sind. Kein anderer Torwart der Bundesliga weist einen besseren Wert auf. Mit den Innenverteidigern Friedrich und Simunic hat der Tscheche den größten Anteil an der zweitbesten Defensive der Liga (nach Schalke). „Er spielt eine super Saison“, sagt Favre über Drobny, der in der vorigen Woche auch in der Nationalelf debütiert hat. „In Tschechien ist er die Nummer zwei, mindestens“, sagt Favre. Die Nummer eins ist Petr Czech, für viele der beste Torhüter der Welt.

Die Unverwundbarkeit

Zum ersten Rückrundenspiel gegen Frankfurt fiel die defensive Mittelfeldachse aus, in Bielefeld der Matchwinner des Frankfurt-Spiels, und gegen die Bayern verließ sich Hertha auf einen Linksverteidiger, der auf dieser Position zuletzt als Elfjähriger und in der Bundesliga überhaupt noch nie gespielt hat. Hertha scheint unverwundbar zu sein, sozusagen der Siegfried der Bundesliga. Bis heute sucht die Konkurrenz vergeblich nach einem Äquivalent zu dem Lindenblatt, das dem Drachentöter in der Nibelungensage zum Verhängnis wurde.


Die geringe Erwartung
Den Hoffenheimern zittern nach ihrer sensationellen Vorrunde die Füßchen. Der HSV hat in der Winterpause vor lauter Panik, er könne die Gunst der Stunde verpassen, viel Mittelmaß hinzugeholt. Und die Bayern wissen sehr wohl, was auf sie zukommt, wenn sie am Ende nicht ganz oben stehen. Nur von Hertha erwartet niemand etwas. Das liegt vielleicht am Gewöhnungseffekt nach zuletzt öden Jahren, am stimmungstötenden Olympiastadion oder an der Geringschätzung seitens der Konkurrenz, für die Hertha auch auf Platz eins noch kein Titelanwärter ist.

Die flache Hierarchie
Wahrscheinlich würde der FC Bayern schon seit Wochen die Bundesliga anführen, wenn Franck Ribéry von der EM nicht eine Bänderverletzung mitgebracht hätte. Ohne Ribérys Eingebungen trudelten die Münchner im ersten Saisonviertel auf Platz elf. Seitdem er wieder dabei ist, geht es mit dem FC Bayern nach oben. Derartigen Schwankungen kann Hertha schon mal deshalb nicht ausgesetzt sein, weil es gar keine richtigen Stars gibt. Selbst Marko Pantelic, der Stürmer mit dem langen Apachen-Haar als Wiedererkennungswert, ist mehr eine Diva denn ein Star. Bei den wichtigen Siegen gegen den HSV, Stuttgart oder zuletzt gegen die Bayern saß er auf der Tribüne.

DAS SPRICHT GEGEN HERTHA

Fehlende Dominanz

Hohes Niveau kann Hertha noch nicht über einen langen Zeitraum halten. Um Meister zu werden, bedarf es einer hohen Leistungskontinuität, wie sie in den letzten Jahren nur der FC Bayern und Werder Bremen hatten. Zwar ist Hertha in der Lage, jeden Gegner schlagen zu können. Doch wie? Neun der zwölf Siege kamen mit nur einem Tor Unterschied zustande. Oft konnten die Berliner Spiele gewinnen, in denen sie nicht die Besseren waren. Für ein stabiles und tragfähiges Selbstvertrauen fehlen souveräne Siege.

Zu wenige Torchancen
Hertha erspielt sich zu wenig Torchancen. Nur 91 waren es bisher. So viel wie Hannover. Die halbe Bundesliga erspielt sich weit mehr Chancen, erst recht Hoffenheim (158), die Bayern (157) oder Leverkusen (147). Für Hertha sprach bisher die Ausnutzung der Chancen. Die Quote liegt bei 35 Prozent – das ist Spitze. Noch besser ist Hertha bei der Verhinderung von Chancen des Gegners. 23 Gegentore sind der zweitbeste Wert der Liga. Hertha spielt taktisch diszipliniert und defensiv gut organisiert. Auf Dauer aber kann sich eine Mannschaft, die nur wenige Torchancen erspielt, nicht an der Spitze halten.

Der restliche Spielplan
Von den noch ausstehenden 14 Saisonspielen muss Hertha achtmal auswärts antreten. Und das unter anderem bei den heimstarken Teams wie Wolfsburg (9 Spiele, 8 Siege), Hoffenheim (11/8) und Hamburg (10/9). Hinzu kommt, dass Hertha in Heimspielen doppelt so erfolgreich ist wie auswärts. Hertha empfängt zudem noch mit Leverkusen die auswärts mit sechs Siegen stärkste Mannschaft der Liga. Und überhaupt: Wer zweimal gegen Bielefeld unentschieden spielt, kann nicht Meister werden.

Die Unerfahrenheit
Lucien Favre benötigt für seine Art von Fußball Spieler, die lernwillig und -fähig sind. Deshalb haben die Berliner inzwischen eine überaus junge Mannschaft beisammen. Eine Mannschaft mit glänzender Perspektive. Die Perspektive heißt aber nicht Meister 2009. In Herthas Kader steht kein Spieler, der schon Deutscher Meister war, kaum einer kann sich vorstellen, was auf die Mannschaft in den nächsten Wochen zukommen könnte. Spätestens mit dem Sieg gegen die Bayern haben die Berliner ihren entscheidenden Vorteil eingebüßt. Niemand hat sie bisher richtig ernst genommen. Doch wer die Bayern schlägt, wird automatisch anders wahrgenommen.

Ein Erfolgssturm ohne Zukunft
Herthas Erfolgssturm wird nach dieser Saison wahrscheinlich gehen. Marko Pantelic (hoher Wahrscheinlichkeitsfaktor) hat ein Problem mit Trainer Favre, für Andrej Woronin (mittlerer Wahrscheinlichkeitsfaktor) ist nicht genug Geld da. Intern wertet Hertha diese Konstellation als Segen, weil beide Stürmer gar nicht mehr hinterherkommen mit dem Erzielen der Tore für eine neue, noch bessere Zukunft. Umgekehrt könnte man argumentieren, dass aller Ehrgeiz schnell dahin sein wird, wenn Pantelic und/oder Woronin erst mal ihre Zukunft geklärt haben. Ohne ihre Tore wird Hertha sich oben nicht lange halten.

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