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Sport: Merlene Ottey: Warum das höchste Leichtathletik-Gericht die Sprinterin freigesprochen hat

Merlene Ottey darf wieder laufen. "Sie hat es sehr emotional aufgenommen," sagte ihr Schweizer Manager Daniel Zimmermann.

Merlene Ottey darf wieder laufen. "Sie hat es sehr emotional aufgenommen," sagte ihr Schweizer Manager Daniel Zimmermann. Am Montagabend erfuhr die 40-jährige Sprinterin aus Jamaika in Sloweniens Hauptstadt Llubljana, wo sie zur Zeit trainiert, dass der dringende Verdacht entkräftet ist, dass sie bei einem Wettkampf am 5. Juli vorigen Jahres in Luzern mit der anabolen Substanz Nandrolon gedopt gewesen sei. Sie hatte, bei einem festgesetzten Grenzwert von fünf, die Menge von 14 Nanogramm im Urin. In letzter Instanz konnte die Athletin vor dem Arbitration Panel des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF) den Anscheinsbeweis nachhaltig erschüttern, das im Sport verbotene Mittel von außen zugeführt zu haben.

Das Urteil ist auf sieben Seiten begründet und umfasst 25 Punkte. Das Sportgericht zeigte allein damit schon, wie komplex und schwierig der Fall war. Es folgte letztlich Otteys Argumentation, untermauert von wissenschaftlichen Gutachten, dass ihr Körper beim Zusammentreffen von Dehydration (Wasserentzug) und Stress das Nandrolon selbst herstellen konnte. Sie war erst zwei Tage vorher nach einem Langstreckenflug in der Schweiz eingetroffen, die gerade unter dem heißesten Wochenende des Jahres litt. Für den Heidelberger Dopingexperten Werner Franke ist die Aufhebung der vorläufigen Wettkampfsperre der Athletin keine Überraschung. "Die Urinuntersuchung allein reicht eben nicht. Zuerst müssen die Hausaufgaben gemacht werden." So sei immer noch zu erforschen, wo und unter welchen Bedingungen im menschlichen Körper wieviel Nandrolon gebildet werde. Damit man überhaupt eine wissenschaftliche Grundlage erhalte "für das Auftreten von Unterschieden im Urin. Ich fordere Basiswissenschaft". Bis vor drei Jahren sei man in Fachkreisen davon ausgegangen, dass der Körper das Nandrolon nicht selbst herstelle, obwohl einschlägige französische Studien aus dem Jahr 1987 vorgelegen hätten.

Nach ihrem vorläufigen Wettkampfausschluss war Merlene Ottey am 13. November vom Leichtathletik-Verband Jamaikas freigesprochen worden. Seinen Spruch nahm der Rat der IAAF jedoch nicht hin und reichte die Angelegenheit am 11. Februar an sein Arbitration Panel weiter. In der Zwischenzeit war sie am 7. Februar in Valencia 7,14 Sekunden über 60 m gelaufen, nachdem das deutsche Ratsmitglied Professor Helmut Digel ihren Start beim Meeting in Karlsruhe am 29. Januar noch verhindert hatte, aus moralischen und ethischen Gründen. Er war es auch, der dann im Weltdachverband am 11. Februar für eine Regeländerung sorgte. Danach bleibt eine des Dopings beschuldigte Person auch für die Zeit ausgeschlossen, die zwischen IAAF-Anzeige und Panel-Urteil liegt.

Automatisch stellt sich die Frage nach Schadensersatz. Merlene Ottey verlor ein komplettes Jahr, sportlich und finanziell. "Wir müssen das überdenken", sagte ihre Manager. Den Ausfall bezifferte er im hohen sechsstelligen, wenn nicht schon im siebenstelligen Bereich. Die Kosten des Verfahrens inklusive des Bestellens von wissenschaftlichen Gutachten erreichten die halbe Million Franken-Marke.

Jetzt ist der Weg nach Sydney zu Merlene Otteys sechsten Olympischen Spielen frei. Mit sieben Medaillen sammelte sie zwischen Moskau 1980 und Atlanta 1996 mehr Edelmetall als jede andere Leichtathletin. Im September wird nun ihre Teilnahme zum ersten Mal wichtiger als der Sieg sein.

Robert Hartmann

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