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Rückzug aus der Nationalelf: Mesut Özil

© dpa/Christian Charisius

Mesut Özils Rücktritt: Wie das Krisenmanagement des Deutschen Fußball-Bunds versagte

Der DFB agierte im Fall Özil wankelmütig, ungelenk und fahrlässig. Welche Folgen das für die Spitze des Verbandes haben könnte.

Von Katrin Schulze

Es ist ein einmaliger Vorgang. Dass ein Führungsspieler der deutschen Nationalmannschaft den Präsidenten des eigenen Verbands derart frontal angeht wie Mesut Özil, hat es in der Geschichte des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) so noch nicht gegeben. „Die Sache, die mich wahrscheinlich am meisten in den vergangenen Monaten frustriert hat, war die schlechte Behandlung durch den DFB, und vor allem durch den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel“, schrieb Özil in seiner sonntäglichen Erklärung. „Ich werde nicht länger als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz und seine Unfähigkeit, seinen Job ordentlich zu erledigen.“

Was auch immer man von den Einlassungen Özils im Detail halten mag, es muss schon viel schiefgelaufen sein zwischen ihm und dem Verband, wenn jemand, der sonst eher als zurückhaltend bis schüchtern gilt, zu einer solchen Wutrede ausholt. Tatsächlich lässt sich sagen: In dem gleichen Maße, wie Özils Frustration offenbar zugenommen hat, zaudert und schlingert der DFB immer und immer mehr. Wochen und Monate redet fast ganz Fußballdeutschland nun schon über das Foto des türkischstämmigen Nationalspielers mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan – und der größte Einzelsportverband der Welt schafft es die ganze Zeit lang nicht, die Debatte anständig und angemessen aufzufangen oder einzufangen. Im Gegenteil. Der DFB hat das Ganze noch verschlimmert. Er hat mitzuverantworten, dass aus der Causa inzwischen eine gefährliche gesellschaftliche Diskussion geworden ist, die Menschen am rechten Rand und darüber hinaus nur zu gerne für ihre Zwecke nutzen.

Ein gar nicht so indirekter Rassismus-Vorwurf

Zunächst unterschätzte der Verband, welche Wucht ein derartiges Bild eines Fußballspielers mit einem Autokraten überhaupt entwickeln könnte. Dann erklärte Teammanager Oliver Bierhoff die Diskussion vor der Weltmeisterschaft einfach so für beendet – nur um kurze Zeit später wieder das Gegenteil zu behaupten. DFB-Präsident Reinhard Grindel stellte sich noch ungeschickter an. Zeigte er anfangs noch Verständnis für Özil („Menschen können Fehler machen“) und prangerte die übertriebenen Reaktionen in den sozialen Netzwerken an, suggerierte er nach der verpatzten WM, dass Özil eine Mitschuld an dem so frühen Ausscheiden des Nationalteams trage. Jedenfalls forderte er den Spieler auf, sich doch jetzt endlich einmal öffentlich zu erklären.

Glaubt man Özil, muss es intern eine noch größere Auseinandersetzung um seine Person gegeben haben, als bisher nach außen gedrungen ist. „Ich weiß, dass er mich nach dem Foto aus dem Team haben wollte“, schreibt der 29-Jährige in seiner Erklärung über Grindel. Und: „In den Augen von Grindel und seinen Helfern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren... Gibt es Kriterien, ein vollwertiger Deutscher zu sein, die ich nicht erfülle?!“

Da ist er – der gar nicht so indirekte Rassismus- Vorwurf gegen den DFB-Präsidenten. Und das von einem, der immer dafür stand, dass es in diesem Land alle schaffen können. 2009 überzeugte Bundestrainer Joachim Löw ihn, für die deutsche und nicht die türkische Nationalmannschaft aufzulaufen, womit sich Özil einige Kritik aus der Türkei einhandelte. Beide, Löw und Özil, erhielten daraufhin sogar den Bambi in der Kategorie „Integration“ und feierten schließlich 2014 auf dem Rasen von Rio den Weltmeistertitel. Vorbei, diese schöne Geschichte.

"Sie dürfen sich nie als Deutsche zweiter Klasse fühlen“

Nicht wenige glauben nun, dass die Nationalmannschaft, die oft als kleinster gemeinsamer gesellschaftlicher Nenner gilt, mehr als nur einen Spieler verloren hat. Der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger sieht nicht zuletzt auch sein eigenes Erbe gefährdet. „Durch Fehler in der Kommunikation ist etwas passiert, was bei Migranten nie passieren darf: Sie dürfen sich nie als Deutsche zweiter Klasse fühlen.“ Genau das soll es auch gewesen sein, was Özil zum Rücktritt bewogen hat.

Wenn schon der Verbandsboss so eingestellt ist, welche Wirkung hat das erst auf die Basis? Für Özil gibt es daher nur eine Konsequenz: „Menschen mit rassistisch diskriminierenden Haltungen sollten nicht im größten Fußballverband der Welt, bei dem viele Spieler mit Familien doppelter Herkunft spielen, arbeiten dürfen.“ So wankelmütig, ungelenk und fahrlässig, wie sich Reinhard Grindel bisher verhalten hat, scheint es schwer vorstellbar, wie er sich nach dieser Eskalation im Amt halten will. Doch bislang ist von einem Rücktritt oder einem Rauswurf keine Rede.

Über Reinhard Grindel – kein Wort

Dass der Verband sich am Montag erst lange nach sämtlichen Politikern inklusive Kanzlerin Angela Merkel zu Özils Vorwürfen äußerte, spricht jedoch für sich – und für das dilettantische Krisenmanagement. Die Pressemitteilung, die der DFB am Montagnachmittag verschickte, auch das überraschte nicht, enthielt wenig Konkretes. In einer Telefonkonferenz habe sich das Präsidium mit der Rücktrittserklärung von Mesut Özil befasst, hieß es. Man danke ihm für seine „herausragenden Leistungen“ in der Nationalmannschaft. Gleichzeitig wolle man manche in Ton und Inhalt nicht nachvollziehbare Aussage in der Öffentlichkeit unkommentiert lassen – weil das zu einem respektvollen Umgang mit einem verdienten Nationalspieler gehöre.

Immerhin, die Rassismusvorwürfe wollten sie beim Verband dann nicht unkommentiert stehen lassen. „Dass der DFB mit Rassismus in Verbindung gebracht wird, weisen wir aber mit Blick auf seine Repräsentanten, Mitarbeiter, die Vereine, die Leistungen der Millionen Ehrenamtlichen an der Basis in aller Deutlichkeit zurück“, hieß es in der offiziellen Mitteilung. Über Reinhard Grindel selbst und dessen Rolle in dem Fall – kein Wort. Wenn der DFB-Präsident die Angelegenheit aufklären und seinen Ruf retten will, muss er sich allerdings schnell erklären. Sonst sind es nur die deutlichen Worte eines nun ehemaligen Führungsspielers der Nationalmannschaft, die allen in Erinnerung bleiben werden.

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