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Michael Thurk auf der Ersatzbank beim FC Ausgburg.

© dapd

Michael Thurk im Interview: "Ich bin kein Ja-Sager"

Nach dem Aufstieg in die Bundesliga wurde Michael Thurk beim FC Augsburg suspendiert. Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht der 35-jährige Stürmer über die Ausmusterung, seinen Vereinswechsel zum Drittligisten 1. FC Heidenheim und die Freiheit eines Fußballprofis.

Von Benjamin Apitius

Michael Thurk, Anfang des Jahres unterschrieben Sie einen Vertrag beim 1. FC Heidenheim. Ist Ihnen der Wechsel in die Dritte Liga schwer gefallen?

Nein, eigentlich nicht. Ich wollte in der Region bleiben und weiterhin Fußballspielen, da hat mir dieses Angebot natürlich sehr gut in den Kram gepasst.

Fühlen Sie sich denn betrogen um ein gebührendes Ende Ihrer Karriere?
Sicherlich war das letzte halbe Jahr keine schöne Zeit für mich. Ich habe das aber mittlerweile gestrichen aus meinem Kopf und blicke wieder nach vorne.

Vor Ihrem Wechsel spielten Sie dreieinhalb Zweitligaspielzeiten für den FC Augsburg, erzielten 51 Tore in 104 Spielen. Nach dem Aufstieg in der vergangenen Saison wurden Sie jedoch vom Verein suspendiert. Sahen Sie dieses Ende kommen, oder traf Sie diese Entscheidung völlig unvorbereitet?

Ich wurde von der Entscheidung total überrascht. Die Vorbereitung lief gut –, und dann das.

Die Klubführung nannte in einer Email an die Vorsitzenden der Fanklubs folgende Gründe: „Michael Thurk ist in den Augen der Teamleitung ein Quertreiber, der Schwierigkeiten macht, sobald es nicht nach seinen Vorstellungen läuft.“

In erster Linie hatte meine Suspendierung ja sportliche Gründe. Als das von der Öffentlichkeit dann aber nicht abgenommen wurde, sah man sich wohl unter Druck gesetzt. Ich kann diese Aussagen nicht nachvollziehen.

Sind Sie denn ein Quertreiber?

Ich habe meinen eigenen Kopf, das ist wohl richtig. Aber ich muss ja auch nicht alles gut finden, wenn ich der Meinung bin, dass es nicht gut ist. Ich bin kein Ja-Sager, und dass war in Augsburg anscheinend nicht mehr erwünscht.

Kann ein einzelner Spieler einem Mannschaftsgefüge denn derartig schaden, dass man trotz Vertrages lieber auf seine fußballerischen Qualitäten verzichtet?

Das passt alles nicht zusammen. Ich war in der Mannschaft sehr beliebt und als es Wochen vorher noch um den Aufstieg ging, war ich auch sportlich ganz, ganz wichtig, dann war Urlaub. Aber gut, für mich ist die Sache vom Tisch, ich habe jetzt neue Ziele.

Welche Rolle spielten Sie nach Ihrer Suspendierung für die Mannschaft? Waren Sie für Ihre Mitspieler so etwas wie ein Oliver Kahn bei der WM 2006?

Ich hatte gar keinen Zugang mehr zur Mannschaft. Manchmal ist jemand zu mir nach Hause gekommen, oder wir haben uns zum Mittagessen getroffen. Aber mehr Einfluss hatte ich nicht auf die Mannschaft.

Wann haben Sie realisiert, dass der Trainer mit allen Konsequenzen zu seiner Entscheidung steht?

Ich selbst wollte ja in Augsburg bleiben. Ich habe im Sommer die Wechselfrist verstreichen lassen und immer wieder betont, dass ich zurückkommen würde, wenn man mich braucht. Vor der Winterpause habe ich dann aber gemerkt, dass es nie dazu kommen wird.

Sie wurden nicht nur aus der Mannschaft geworfen, sondern Ihnen wurde auch zugleich die Teilnahme an jeglichem Training in Augsburg verboten. Warum haben Sie von einer Klage beim Arbeitsgericht abgesehen?

Es war für mich nie eine Option, gegen den Verein vor Gericht zu ziehen. Ich hatte in Augsburg eine wunderschöne Zeit, dass wollte ich mir mit einer Klage nicht kaputt machen.

In der Folge saßen Sie in Augsburg – obwohl das niemand von Ihnen verlangte – bei jedem Heimspiel auf der Tribüne, fuhren der Mannschaft sogar zu den Auswärtsspielen hinterher. Warum?

Ich interessiere mich nun einmal für Fußball und wollte meine Mannschaft dadurch unterstützen.

Wie oft haben Sie als Zuschauer gedacht: „Den hätte ich jetzt aber gemacht!“?

Nicht so oft wie Leute mich darauf angesprochen haben (lacht). Ich habe daran nie einen Gedanken verschwendet.

Im Dezember sagte Walther Seinsch (Vorstands-Vorsitzender des FCA) dann vor laufender Kamera: „Thurk ist ein Straßenköter. Auch verbal und auch in seinem Selbstbild.“ Haben Sie für solche Aussagen eine Erklärung?

Nein, gar keine.

Wie groß ist der Imageschaden nach solchen öffentlichen Beleidigungen?

Ich denke, mein Imageschaden hält sich in diesem Fall in Grenzen.

Eigentlich hatte der Fußballbetrieb in Deutschland nach etlichen Depressions- und Burnout-Fällen ein Umdenken im Umgang miteinander angekündigt. Konnte Seinsch, Ihrer Meinung nach, zu diesem Zeitpunkt sicher sein, dass Sie seine Aussagen verkraften werden?

So sollte man in den Medien nie übereinander sprechen. Walther Seinsch selbst hatte sich ja gerade erst wieder erholt von Depressionen, da hätte ich schon etwas mehr Fingerspitzengefühl erwartet. Aber er ist ja alt genug –, und am Ende muss jeder für sich für seine Worte gerade stehen.

Gab es denn Hilfestellungen seitens der sportlichen Führung, die es Ihnen erleichtert haben, mit der plötzlichen Suspendierung umzugehen?

Nein. Mir wurde gesagt, ich dürfe nicht mehr am Training teilnehmen und sollte zusehen, dass ich mich selbst fit halte.

Sie waren eine komplette Hinrunde zum Außenstehenden degradiert. Hat sich dadurch Ihr Blick auf den Profifußball nachhaltig verändert?

Ich werde weiterhin der sein, der ich bin. Und auch durch diese Suspendierung werde ich mich nicht von meinem Weg abbringen lassen. Für Ja sagen und abnicken bin ich der Falsche, dann laufe ich eben noch einmal gegen die Wand, mein Gott.

Warum Michael Thurk zum Langschläfer wurde

Herr Thurk, kann man sagen, Fußball sei Ihr Leben?

Auf jeden Fall.

Seit Ihrer Kindheit gingen Sie fast täglich zu einem Fußballtraining und arbeiteten auf den nächsten Spieltag hin, waren Teil einer Mannschaft. Was haben Sie mit der vielen Zeit angefangen, als es für Sie im letzten halben Jahr kein Training und keinen nächsten Spieltag mehr gab?

Es war eine sehr schwierige Umstellung für mich. Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was ich machen soll. Man steht morgens auf und weiß gar nicht, was kommt.

Hatten Sie in Ihrem Leben bereits einmal zuvor ein halbes Jahr Zeit zu Ihrer freien Verfügung?

Nein.

Wie haben Sie sich fit gehalten?

Hauptsächlich für mich alleine. Ich bin ins Fitnessstudio gegangen und habe gelegentlich bei einem Bayernligisten in der Region mittrainiert.

Sind Sie in eine Sinnkrise gefallen?

Ich war immer jemand, der morgens früh aufgestanden ist –, und plötzlich wurde ich zum Langschläfer. Vor lauter Zeit wusste ich gar nicht mehr, was ich eigentlich machen soll.

Wie lange haben Sie geschlafen?

Bis zehn, halb elf. Das war für mich völlig ungewohnt.

Wie sehr fehlte Ihnen das tägliche Training; die Mannschaft, Kiebitze, Autogramme schreiben?

Sie können mir glauben: Ich bin überglücklich, endlich wieder ein Teil einer Mannschaft zu sein.

Das Leben eines Fußballers ist fremdbestimmt, zeitlich stark strukturiert durch Training und Spiele, dazu Medien- und Sponsorentermine. Sie mussten sich doch ohne diese ganzen Verpflichtungen mit einem Mal ganz frei fühlen.

Ja, schon. Aber ganz frei fühlen war dann auch nicht das, was ich mir gewünscht hatte. Mir fehlte der Umgang mit meinen Mitspielern. Ich wollte morgens in die Kabine kommen und mit den Jungs reden und Quatsch machen.

Haben Sie als Fußballer eine Ahnung davon, was das ist: Freiheit?

Das ist schwierig zu beantworten. Freiheit war für mich immer, wenn ich mit meiner Familie im Urlaub gewesen bin und mich ausruhen konnte. Aber auch in meinem Alltag fühlte ich mich nie unfrei. Das tägliche Training ist für mich nie ein bloßer Termin gewesen, es fühlt sich auch nicht wie Arbeit an – ich brauche das einfach, um glücklich zu sein.
Können Sie den letzten Monaten rückblickend auch etwas Gutes abgewinnen?

Etwas habe ich daraus gelernt: Wenn es einem gut geht, dann sind alle Leute da. Und wenn es einem mal richtig schlecht geht, dann sieht man erst, wer wirklich zu einem steht. Und um das herauszufinden, war die Situation vielleicht gar nicht so schlecht.

Herr Thurk, haben Sie eine Ahnung, was Sie nun in der Dritten Liga erwarten wird?

Nein, ich habe mir nie Gedanken gemacht über die Dritte Liga.

Muss es für Sie nicht unglaublich öde sein, nur noch gegen die zweiten Mannschaften der Bundesligisten zu spielen? Werder Bremen II, VfB Stuttgart II...

Die Bundesliga ist natürlich das Maß aller Dinge, die steht in Deutschland in einem ganz anderen Licht als die unteren Ligen. Aber wir haben ja immerhin das Ziel, in die Zweite Liga aufzusteigen.

Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Karriere gemacht, von denen Heidenheim nun profitieren kann?

Meine Erfahrungen sind wie eine Datenbank. Ich weiß ganz genau, was zu tun ist, wenn diese oder jene Spielsituation eintrifft. Aber alleine kann auch ich in Heidenheim keine Wunder vollbringen, das müssen wir schon gemeinsam als Mannschaft schaffen.

Gibt es für Sie als Neuzugang eigentlich so etwas wie ein schlechtes Gewissen gegenüber den angestammten Spielern, die Sie aus der Mannschaft drängen werden?

Nein, das gehört nun mal zum Geschäft dazu: Spieler kommen, und Spieler gehen. Am Ende setzen sich diejenigen durch, die mehr Qualität haben oder den größeren Willen. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, das ist zwar schade, aber das ist nun einmal so.

2010 wurden Sie mit 23 Treffern Torschützenkönig in der Zweiten Liga. Was haben Sie sich für die Dritte Liga vorgenommen?

Ich werde mir mit Sicherheit keine Tormarke setzen. Ich will der Mannschaft helfen, dass wir Spiele gewinnen. Ich bin hier keine Einzelperson, sondern Teil einer Mannschaft.

Wenn Sie also kein Tor schießen für Heidenheim, dafür aber in die Zweite Liga aufsteigen, wären Sie zufrieden?

Das würde ich sofort unterschreiben.

Also bekommen Sie ihn eventuell doch noch, Ihren gebührenden Abschied von der Fußballbühne?

Dafür werde ich alles tun, das können Sie mir glauben.

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