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Sport: „Mir tun die jungen Spieler Leid“

Fredi Bobic über die Perspektiven der neuen Generation in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft

Herr Bobic, wie fühlt man sich als ältester Feldspieler der Nationalmannschaft?

Wahnsinn, was? Vor zehn Minuten ist mir genau dieser Gedanke auch gekommen. Nur Oliver Kahn und Jens Lehmann sind älter. So haben sich die Zeiten geändert.

Die Öffentlichkeit schreit nach jungen Spielern. Nach Leuten wie Tobias Rau und Benjamin Lauth. Die sind zehn Jahre jünger als Sie.

Ich weiß, was Sie jetzt hören wollen. Aber ich erzähle Ihnen eine andere Geschichte. Rau und Lauth schlagen einen Weg ein wie ich damals. Sie kommen in jungen Jahren zur Nationalmannschaft und müssen sich vorkommen wie im Traum. Sie werden aber schnell erwachen müssen.

Wie meinen Sie das?

Schauen Sie, wir wissen doch, wie schnell so etwas gehen kann. Du hast mal eine starke Phase, und plötzlich bist du im Nationalteam. Alle erwarten von dir Wunderdinge. Die Medien kommen und wollen kernige Sätze. Und wenn du nicht aufpasst, wird das zum Bumerang, wenn es mal nicht so gut läuft.

Was raten Sie also den jungen Spielern?

Ich kann ihnen etwas raten, aber nichts vorschreiben. Wenn sie einen Rat wollen, dann bitte: Für die Jungen ist es wichtig, sich ein wenig defensiv zu verhalten. Wenn sie schlau sind, gucken sie sich etwas von den älteren Spielern ab. Kleinigkeiten. Im Training, im Hotel, beim Essen.

Beim Essen?

Sagen wir es mal so: Ich habe genau darauf geachtet, wie sich damals Spieler wie Klinsmann, Sammer oder Kohler verhalten haben. Und heute kann es nicht schaden, zweimal hinzuhören, wenn der Oliver Kahn etwas sagt. Natürlich ist es schön, wenn man als junger Spieler so in der Öffentlichkeit steht. Das ist gut fürs Selbstvertrauen, fürs Selbstwertgefühl. Aber man muss die Dinge einordnen können, man muss sich der Sache auch entziehen können.

Aber für Rau und Lauth hat es doch gerade erst angefangen. Warum denn aufhören, wenn es am schönsten ist?

Die beiden müssen nach der AnfangsEuphorie in der Bundesliga Kontinuität beweisen und international bestehen. Dann reden wir weiter.

Sie hatten auch einmal eine große Karriere vor sich. Sie wurden Nationalspieler, schossen Tore und waren schon wieder draußen. Fast fünf Jahre lang. Was haben Sie gedacht, als vorigen Herbst Rudi Völler bei Ihnen anrief?

Ich habe bei mir gedacht: Mensch, wie schnell sich die Dinge doch drehen können. Eben warst du noch der Buhmann aus Dortmund, dem man sogar die Bundesligatauglichkeit absprach, und jetzt spielst du beim Aufsteiger Hannover und bist wieder wer.

Aber wie lange noch? Glauben Sie allen Ernstes, dass Sie die EM 2004 spielen werden?

Darüber mache ich mir nun wirklich keine Gedanken. Gucken Sie sich meinen Vertrag in Hannover an. Der gilt nur ein Jahr. Ich brauche mir nichts mehr zu beweisen. Der Verein wollte schon nach fünf Spielen mit mir verlängern. Ich habe gesagt, erst mal wollen wir den Klassenerhalt schaffen. Ich habe kein Problem, in den Sommer zu gehen und keinen Verein zu haben. Und zu Ihrer Frage: Mir tun nur die jungen Spieler Leid, wenn sie jede Woche auf die WM 2006 angesprochen werden. Für einen Fußballer ist das eine Ewigkeit weg. Da liegen mehr als drei Spielzeiten dazwischen, jede Menge Verletzungen und und und.

Sie sprechen aus der Erfahrung eines Mannes, der schon in seiner ersten Bundesliga-Saison in der Nationalmannschaft debütierte und danach neben Höhen auch manche Tiefe erlebte. Sind Sie von sich enttäuscht?

Überhaupt nicht. Ich hätte mir damals meine Erfahrung von heute gewünscht. Jetzt gehe ich zur Nationalmannschaft und freue mich, wenn ich spiele. Heute weiß ich es zu schätzen, wenn ich für Deutschland spiele.

Fühlen Sie sich nicht als Notnagel, als einer, der mal eben angerufen wurde, um gegen Holland seinen Kopf hinzuhalten?

Wie kommen Sie denn darauf? Ich habe mir die Nominierung nicht erkauft oder erschwindelt. Ich habe einfach gut gespielt in der Bundesliga-Vorrunde. Der Anruf war eine große Freude für mich.

Logisch wäre aber auch, dass Rudi Völler nur noch jungen Spielern mit Perspektive vertraut.

Rudi Völler weist permanent darauf hin, dass es nicht nur mit jungen Spielern geht, sondern die Mischung zwischen alten und jungen Spielern stimmen muss. Unser Nachwuchs war nie so schlecht, wie er gemacht wurde. Nur war die Situation damals eine andere. Da wurden lieber teure Spieler aus dem Ausland geholt. Beim VfB Stuttgart etwa ist die Mannschaft aus der Not geboren und heute nicht mehr wegzudenken. Ich freue mich für die jungen Spieler, die in die Nationalmannschaft berufen werden.

Sie wären wohl gern noch mal 21?

Wer nicht? Als junger Spieler hast du noch nicht so viel Verantwortung. Du kannst auf den Platz gehen und von der Mittellinie aufs Tor knallen, und keiner nimmt es dir übel. Mit dem Alter ändert sich das schnell. Das hat Nach-, aber auch Vorteile.

Welche Vorteile?

Nehmen wir noch einmal das Länderspiel in Gelsenkirchen gegen Holland, mein Comeback in der Nationalmannschaft …

… in dem Sie ein Tor geschossen haben und der gefeierte Mann waren.

Auf dem Weg nach Hause bin ich auf eine Raststätte gefahren, habe den Motor ausgestellt und habe eine Stunde lang alles noch einmal auf mich wirken lassen – das Spiel, das Tor, die Zuschauer. Ich habe gelernt, so etwas zu genießen. Die jungen Spieler haben dazu gar keine Zeit.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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