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Sport: Mit grausam kühler Logik

Profiteure des Regimes: Der Deutsche Fußball-Bund diskutiert über seine Rolle im Nationalsozialismus

Von Markus Hesselmann

Der Zeitzeuge ist der natürliche Feind des Historikers. Bei der Tagung „Fußball unterm Hakenkreuz“ erwies sich dieses Wissenschaftler-Bonmot als zutreffend. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte im WM-Jahr geladen, über sein Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus zu diskutieren, und es war unter anderen Rudi Michel in die Evangelische Akademie Bad Boll gekommen. Der Reporter-Altstar redete die anderen Gäste auf dem Podium zwischenzeitlich an die Wand. „Aber meine Herren, ich habe das doch miterlebt!“, rief Michel, als es um die Frage ging, inwieweit der DFB durchaus vorhandene Spielräume zur Verweigerung gegenüber den Nazis genutzt habe oder nicht. „Wer in der Diktatur gelebt hat, der weiß, dass von oben eine Linie vorgegeben wird, die bis unten durchzuhalten ist“, sagte der 84-Jährige und erzählte davon, wie er als junger Fußballer vor jedem Spiel zum Hitler-Gruß gezwungen worden war. Was soll ein junger Historiker da erwidern?

Nils Havemann machte das Beste daraus. Er hat im Auftrag des DFB, aber ohne dessen Einflussnahme die Studie „Fußball unterm Hakenkreuz“ verfasst und wollte sich nun der Kritik seiner Kollegen stellen. Der Historiker beschreibt in seinem Buch einen Verband, in dem verschiedene Führungspersönlichkeiten mit den Nazis kollaboriert haben. Zentraler Befund ist, dass es dabei um wirtschaftliche Vorteile für den DFB ging und nicht um ein Einverständnis mit der rassistischen, auf Vernichtung ausgerichteten Politik der Nazis. „Der DFB verfuhr nach der grausam kühlen Logik eines Lobbyisten- Verbandes“, sagte Havemann. Weil die Nazis ihm zunächst halfen, seine Stellung als alleiniger Vertreter des deutschen Fußballs zu festigen, schlossen die Funktionäre im Gegenzug willfährig die jüdischen Sportler aus und sahen dann auch tatenlos bei deren Ermordung zu.

Stefan Goch, der für Schalke 04 die erste wissenschaftliche Studie über einen großen Fußballklub und sein Verhalten in der Nazi-Zeit erstellt hat, kritisierte Havemanns Ansatz als Rückfall in Zeiten, in denen in der Geschichtswissenschaft „die großen Männer noch Geschichte machen“. Goch vermisste bei Havemann die Analyse von Strukturen statt von Individuen. Auch hätte er sich eine stärkere Aufarbeitung von Ideologien wie Nationalismus und Militarismus gewünscht, die im DFB verbreitet waren und ihn sehr schnell zu einem Nazi-Kollaborateur werden ließen. Der Sporthistoriker und Tagesspiegel-Autor Erik Eggers kritisierte, dass „die Leute hier auf dem Podium fehlen, die durch ihre langjährige Kritik den DFB überhaupt erst dazu brachten, sich mit der Nazi-Zeit zu beschäftigen“. Eggers meinte damit Publizisten wie Arthur Heinrich und Dietrich Schulze-Marmeling, denen Havemann in seiner Studie vorwarf, unwissenschaftlich und polemisch gearbeitet zu haben.

Der Mann, der den DFB als Erster für seinen Umgang mit der Vergangenheit kritisiert hatte, war zwar eingeladen, fehlte aber wegen Krankheit: Walter Jens hatte 1975 eine berühmte Rede gehalten und den Verband aufgefordert, sich endlich seiner Vergangenheit zu stellen. Gut drei Jahrzehnte später pries DFB-Chef Theo Zwanziger Jens’ Rede als Beginn eines Aufarbeitungsprozesses, „der noch lange nicht abgeschlossen ist, wir sind noch mittendrin“. Zwanziger verschwieg nicht, dass es auch nach Jens’ Rede noch dauerte, bis sich der DFB besann. Noch zum 100. Jubiläum im Jahr 2000 gab es Kritik, weil die Nazi-Zeit in der damaligen Festschrift recht kurz und ohne wissenschaftliche Quellen abgehandelt worden war.

Dazu hatte Rudi Michel wieder etwas beizusteuern, etwas Handfestes: „Da muss Politik rein“, habe er dem DFB damals geraten – und Rudolf Augstein als Autor des Kapitels über die Nazi-Zeit vorgeschlagen. „Er hat tatsächlich was geschrieben“, sagte Michel und wedelte mit einem Manuskript. „Wir konnten das aber nicht drucken.“ Nicht, weil es zu kritisch gewesen sei. Der „Spiegel“-Herausgeber habe sich nicht an die Vorgaben gehalten und eine eigene Gesamtschau des deutschen Fußballs bis zurück zu den Anfängen im 19. Jahrhundert geschrieben. „Da muss man wohl sagen: Thema verfehlt.“

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