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Sport: Mittelstand mit wenig Mitteln

Bundestrainer Jürgen Mallow rechtfertigt das Abschneiden seiner Sportler in Helsinki und kritisiert die Förderung der deutschen Leichtathletik

Für einen Moment redete Jürgen Mallow wie der Vorsitzende der deutschen Mittelstandsvereinigung. Die Globalisierung war sein Thema und welche Wettbewerbsnachteile sie mit sich bringt. In anderen Ländern werde schließlich viel investiert, während in Deutschland Fördergeld manchmal nach merkwürdigen Kriterien verteilt werde. Damit hatte Mallow schon einmal vorgebeugt, denn als Leitender Bundestrainer der deutschen Leichtathletik muss er das Abschneiden der deutschen Athleten bei der Weltmeisterschaft in Helsinki einordnen und rechtfertigen. „Wir wollen nicht jammern, aber man muss zeigen, dass wir nicht alles erfüllen können, was von uns verlangt wird“, sagte Mallow.

Nachdem fast die Hälfte aller Wettbewerbe entschieden ist, hat der Bundestrainer jedenfalls auf die strukturellen Defizite seiner Sportart hingewiesen. Er wollte es wohl lieber jetzt tun, es soll nicht so wirken, als sei es ihm erst am Schluss eingefallen, wenn vielleicht das meiste schief gegangen ist. Noch halten sich die deutschen Athleten in Helsinki achtbar, sie haben zwei Bronzemedaillen gewonnen. „Wir haben es geschafft, dass die sonst schwachen ersten Tage nicht mehr schwach waren“, sagte Mallow. Damit liegen die deutschen Athleten über mancher pessimistischen Prognose, allerdings auch weit unter dem, was in den Neunzigerjahren üblich war. Mallows Zwischenbilanz dieser Weltmeisterschaft ist diese: „Leichtathletik ist die Sportart, in der sich die Globalisierung am stärksten bemerkbar macht.“ Er rechnet etwa damit, dass am Ende mehr als vierzig Länder im Medaillenspiegel auftauchen – mehr als je zuvor.

Verglichen mit anderen Ländern erscheint die deutsche Leichtathletik tatsächlich wie der Mittelstand. Es gibt so gut wie keine Großbetriebe, also Wurfschulen wie in Russland oder Sprintschulen wie in den USA. Die deutsche Leichtathletik funktioniert noch im Wesentlichen dank der leistungsorientierten Vereine, die über die Republik verteilt sind. „Viele Nationen haben Erfolg, weil sie Fördermittel erhöhen, Trainer und Athleten einkaufen“, sagte Mallow. In Deutschland sei dagegen die Förderung durch öffentliche Mittel noch auf dem gleichen Niveau wie die in der Bundesrepublik aus dem Jahr 1986, „obwohl wir jetzt ein größeres Deutschland haben“, sagte Mallow. Es hörte sich nicht so an, als wollte Mallow in der Leichtathletik eine neue Subventionsmentalität einziehen lassen, ihm kommt jedoch die Verteilung der Mittel komisch vor: „Nach den Förderkriterien des Deutschen Sportbundes wären in der Leichtathletik noch nicht einmal führende Athleten aus den USA und Russland in der Förderstufe eins.“ Die deutschen Athleten gehören je nach ihren Ergebnissen und Leistungsstand den Förderkategorien zwei, drei oder vier an.

Dem Deutschen Sportbund sei eine Goldmedaille im Bogenschießen immer noch genauso viel wert wie eine in der Leichtathletik, der olympischen Kernsportart. Und noch etwas Merkwürdiges ist dem Bundestrainer aufgefallen: „Wenn in einer Disziplin bei einer Weltmeisterschaft ein Athlet Fünfter und einer Achter wird, bekommen wir mehr Geld, als wenn zusätzlich noch einer auf Platz sieben landet. Wer sich das ausgedacht hat, der hat in Mathematik nicht richtig aufgepasst.“ Dennoch will Mallow keine Konzentration auf bestimmte Disziplinen anstreben. Im Hürdensprint zum Beispiel habe die Bundesrepublik in den Sechzigerjahren große Erfolge gehabt, dann jedoch erst wieder durch Florian Schwarthoff in den Neunzigern. „Was wäre passiert, wenn wir mit der Förderung einfach aufgehört hätten? Wir werden an keiner Stelle aufgeben“, sagte Mallow.

Gut möglich, dass Mallow seine Kritik am Sonntag, dem letzten Wettkampftag, wiederholen wird. Auf jeden Fall wollen die Verantwortlichen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes noch einmal mit dem Deutschen Sportbund über die Förderung reden – mit dem Selbstbewusstsein der olympischen Kernsportart.

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