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Motor an der Felge? Nikias Arndt mag es sich nicht vorstellen.

© Imago/Sirotti

Motordoping im Radsport: Mit 250 Watt im Sattel

Hat der Radsport ein E-Motorenproblem? Bei den Profis gibt es zwar Hinweise auf einen Missbrauch, aber kaum Beweise. Eine Bestandsaufnahme.

Das Rennrad steht aufgebaut bei Bhoss Cycling, einem Fahrradladen in einem Außenbezirk Empolis. Kabel hängen aus dem Rahmen heraus, ein Motor ist im Sitzrohr zu erkennen. Für das Foto verklebt Alessandro Bartoli, Besitzer des Ladens, noch schnell die Öffnung des Unterrohrs. Dort hängen die Kabel für die Batterie heraus. „Es soll niemand wissen, wie wir das machen. Konkurrenten schickten schon mal Journalisten vorbei, um das herauszubekommen“, sagt er dem Tagesspiegel. Bartoli, dessen Laden eine knappe Stunde vom Parcours des diesjährigen Giro d’Italia entfernt liegt, ist stolz auf seine Lösung des Batterieproblems. Andere Hersteller platzieren sie in Trinkflaschen oder in der Werkzeugtasche. Dort sind sie sichtbar. „In Italien kannst du solche Versionen niemandem verkaufen. Wenn du damit an einer Gruppe Muskel getriebener Räder vorbeifährst, hörst du nur: ,Schäm dich! Steig ab, wenn du keine Kraft in den Beinen hast’“, sagt er.

Mit seinem Rad hört er solche Sprüche nicht mehr. Bartoli und manche seiner Kunden nehmen mit den E-Bikes sogar an Jedermann-Rennen teil. „Ich deklariere das aber“, sagt er treuherzig: „Jedem, dem wir ein solches Rad verkaufen, sagen wir: ,Das ist nicht für den Wettkampf zugelassen.’“

Pro Woche verkauft er zwei solcher Räder. Die Warteliste ist mehrere Monate lang. „99 Prozent meiner Kunden sind Radsportamateure“, sagt er. Über das fehlende Prozent schweigt er. Er prüft auch nicht, ob hinter einem Kunden, der sich als Amateur ausgibt, nicht doch ein Freund oder Verwandter steckt, der Hochleistungssport betreibt. Das ist auch nicht seine Aufgabe. Ein Rennrad mit E-Motor ist schließlich keine Pump Gun.

Dass der Profisport aber ein E-Motorenproblem hat, glaubt auch Bartoli. „Wenn ich mir nur angucke, was es alles an Radwechseln vor einem Anstieg gibt“, sagt er und lässt den Satz offen. Vor allem Alberto Contador ist wegen seiner häufigen Radwechsel in den Verdacht geraten, mitten im Rennen mal ein Rad mit Motor zu nehmen und im Ziel wieder auf einem „normalen“ Rad zu sitzen. Bewiesen allerdings ist nichts.

Erwischt wurde bislang nur die belgische Cross-Fahrerin Femke Van Den Driessche

„Inzwischen kontrolliert die UCI doch auch die Ersatzräder. Ich bin mir sicher, dass man bei diesem Giro keinen Motor finden wird“, sagt Tristan Hoffman, Sportlicher Leiter vom Contador-Rennstall Tinkoff. Sein Ausschlussgrund: „Es wären viel zu viele Leute involviert, sportliche Leiter, Mechaniker, der Sportler selbst.“ Es ist vor allem Unglaube, der daraus spricht. Niemand will sich vorstellen, dass beim Giro Motoren zum Einsatz kommen. „Was wäre das denn für ein Gefühl, wenn du in einer Ausreißergruppe steckst und plötzlich mit dem Motor davonfährst? Das geht doch nicht“, schüttelt sich Giant-Profi Nikias Arndt. Auch er sieht als entscheidenden Hinderungsgrund, dass einfach zu viele eingeweiht sein müssten.

So wandert der Diskurs in den Glaubensbereich hinüber. Teamdoping war mal typisch für den Radsport. Hat sich die Mentalität in der Branche so geändert, dass kollektiver Betrug nun plötzlich ein Tabu ist?

Es gibt Hinweise auf einen kulturellen Wechsel. Der russische Rennstall Katusha etwa, in der Vergangenheit mit zahlreichen Dopingaffären belastet, schickte bei diesem Giro einen Fahrer aus eigenen Stücken heim, weil der sich beim Zeitfahren lange im Windschatten eines anderen Fahrers befunden hatte. Das ist so, als würde ein Trainer im Fußball einen eigenen Spieler nach einer Schwalbe vom Platz holen und mit zehn Mann weiterspielen lassen. Das ist das Einerseits.

Auf das Andererseits macht ein Mann aufmerksam, der für Grenzüberschreitungen berüchtigt ist. Dopingguru Michele Ferrari schreibt in seinem Blog, dass E-Motoren seit 2005 von Profis eingesetzt wurden. Er bezieht sich in seinem Beitrag aber ausdrücklich aufs Training und sieht Vorteile darin, dass Radprofis auf diese Art das Tempotraining hinter Motorrädern ersetzen können.

Ferraris Notiz darf man als Beleg werten, dass es seit 2005 (!) im Profilager Erfahrung im Handling der kleinen Motoren gibt. Es gibt also Leute, die wissen, wann man am besten wie viel Watt hinzuschaltet und in welcher Kadenz der Motor das geringste Geräusch macht.

Seit den frühen Nullerjahren bietet der ungarische Ingenieur Istvan Varjas Motoren an. Sie sind etwa zwei Drittel kleiner als die Vivax-Motoren, die Bartoli einbaut, und sollen dabei sogar 250 Watt produzieren. Varjas erklärte dem französischen Fernsehen, dass er sie ursprünglich für beinamputierte Veteranen des Jugoslawienkriegs entwickelt habe. Er verkauft sie aber auch an Radprofis.

Die Motoren sind verfügbar. Dass bei den Kontrollen der UCI bislang nur die belgische Cross-Fahrerin Femke Van Den Driessche erwischt wurde, ist eher ein Hinweis auf die Lücken im Kontrollsystem. Beim Giro wurden die Teams nach übereinstimmender Auskunft bisher drei Mal kontrolliert – jeweils bei den Zeitfahren und einmal überraschend. Drei von 13 Wettkampftagen also. Ein Gütesiegel mit begrenzter Aussagekraft.

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