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Bisher ist Chris Froome (zweiter Fahrer von vorn) noch auf keiner eigenen Siegerplakette in einer der Kehren nach L’Alpe d’Huez verewigt.

© Imago

Mythos der Tour de France: L’Alpe d’Huez: 21 Kehren blanker Wahnsinn bei der Tour

Begonnen hat alles im Jahr 1952. Inzwischen ist der legendäre Anstieg längst zu einem Mythos der Tour de France geworden.

Heute erklimmt die Tour de France L'Alpe d'Huez. Sie macht es seit 1976 regelmäßig, 28 Mal bereits in 42 Jahren. Manchmal kommt sie sogar zwei Mal auf den Gipfel, 1979 an aufeinander folgenden Tagen, 2003 zwei Mal am gleichen Tag. Für die Ortschaft sind die Tourbesuche Gold wert. Denn die 32 000 Betten sind auch jenseits der Tour ausgebucht. „Für die Hoteliers vor Ort sind vor allem die Wochen vor und nach der Tour interessant. Denn dann kommen viele Touristen, die selbst die berühmten 21 Kehren sehen wollen“, erzählt François Badjily, Chef des Tourismusbüros von L'Alpe d'Huez. Etwa 1000 Radamateure versuchen sich täglich am Aufstieg, versichert Badjily. Und das sei auch so in jenen Sommern, in denen die Tour die Alpen auslässt. Der Ruf hat sich verselbständigt.

Wenn allerdings die Tour kommt, ist jeglicher Rahmen gesprengt. Dann bringen sich schon eine Woche vor der Etappe die ersten Caravans in Stellung. „2000 Caravans sind jetzt schon da“, sagte Badjily am Vortag der Etappe. „Die Kommune stellt Toilettenhäuschen auf, legt Stromkabel für die Caravans und besorgt Mülltonnen in Großstadt-Ausmaß. „Wir rechnen mit 800 000 bis eine Million Zuschauern an der gesamten Strecke der Etappe, davon wird der Großteil in L'Alpe d'Huez sein“, sagt Badjily. Es ist der blanke Wahn. Der Ort mit den 32 000 Betten und den Hunderttausenden in den Hängen zählt selbst keine 2000 Seelen.

Begonnen hat alles 1952. Damals waren die Hoteliers unzufrieden. Gut, es war nicht ganz so schlimm wie in den späten 1920ern und frühen 1930er. Damals konnte der Vater des einen Wirts das Familien-Chalet nur deshalb vom Touring Club de France erwerben, weil dessen Pächter an Einsamkeit zu verzweifeln drohte. So steht es zumindest in den Annalen des Hôtel Le Dôme in L'Alpe d'Huez.

Dôme-Besitzer Georges Rajon wurde sich 1952 mit dem damaligen Tourdirektor Jacques Goddet einig, auf der Alpe eine Bergetappe enden zu lassen. Umgerechnet 3000 Euro sollen Goddet schließlich überzeugt haben. Das Rennen gewann der italienische Superstar Fausto Coppi. Sein Vorsprung war allerdings so groß, dass die Tour bis 1976 wartete, bevor sie sich erneut nach L'Alpe d'Huez traute.

Oranje-Fans in Kurve sieben

In diesem Jahr begann auch die Orangewerdung des Bergs. Der Niederländer Joop Zoetemelk gewann. Ihm folgten in den nächsten sieben Ausgaben vor allem Landsleute. Einmal gewann Zoetemelk noch selbst, je zweifach Hennie Kuiper und Peter Winnen. L'Alpe d'Huez war damit Holländerberg. Die Oranje-Fans liessen sich in Kurve sieben nieder. Und die Saga hemmungslosen Biergenusses, entkleideter Körper und berauschter Seelen nahm ihren Anfang.

Mittlerweile ist die „Holländerkurve“ mehr Problem und weniger Markenzeichen. „Wir bieten dieses Jahr dort noch mehr Polizisten auf als sonst. Es sind auch zwei Beamte aus den Niederlanden im Einsatz“, erzählt Touristikchef Badjily. Die allergrößte Angst ist, die Radsporthooligans aus dem Land der Grachten könnten sich den weithin unbeliebten Chris Froome vornehmen.

Bei Team Sky macht man sich deshalb Sorgen. „Das Rennen darf nicht von solchen Faktoren beeinflusst werden“, meint Nicolas Portal, sportlicher Leiter Froomes, zwar tapfer. Mulmig wird ihm trotzdem, wenn er sich die Situation vorstellt. „Wenn du das Rennen gewinnen willst, kannst du nicht einfach sagen: 'Oh, ich greife lieber nicht an, ich bleibe mal im Schutz von einem Teamkollegen'. So kann man nicht an ein Rennen herangehen“, sagt er. Und er sinniert: „Ich kann doch nicht über Funk zu Chris sagen: 'Chris, bleib im Feld, es ist zu gefährlich.'“

Portal fordert Tourorganisator Aso auf, für Sicherheit zu garantieren. Die wiegelt ihrerseits ab. Kommunikationsdirektor Philippe Sudres erklärt auf Nachfrage: „Es gibt keine extra Vorkehrungen. Wir schützen nicht einzelne Fahrer, sondern die gesamte Öffentlichkeit, die Fahrer eingeschlossen. Es sind 30 000 Polizisten bei der Tour im Einsatz. Für den Schutz der Fahrer im Rennen sind 50 Motorrad-Polizisten der Garde Republicaine unterwegs. Sie fahren vor dem Peloton, den Ausreißern, jeder einzelnen Gruppe.“

Noch kein britischer Name in den Kehren

Man kann nur hoffen, dass es um Sport geht, darum also, wessen Name auf die Plakette in Kurve 13 eingetragen wird. In L'Alpe d'Huez ist es Tradition, dass jeder Sieger eine Kurve erhält. Weil es mittlerweile mehr Etappenankünfte als Serpentinen gibt, sind einige von ihnen jetzt doppelt bewohnt. Kurve 13 gehörte bislang allein Peter Winnen, in Kurve 14 schrieb sich der letzte L'Alpe d'Huez-Sieger Thibaut Pinot neben den Vorgänger Beat Breu aus der Schweiz ein. Auch den Namen Lance Armstrongs findet man da noch, zwei Mal sogar. In Kurve 21, neben Fausto Coppi, wegen des Sieges von 2001, und in Kurve 19, dank des Erfolgs von 2004; hier ist er Untermieter vom Niederländer Hennie Kuiper. Einen britischen Namen gibt es in den Kehren noch nicht zu lesen. Bisher zumindest.

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