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Hertha

© City-Press

Nach dem 1:2 in Mainz: Herbstgraue Hertha

Die Berliner haben mehr als eine Ergebniskrise: Ihnen fehlt es an individueller Klasse.

Der Sonntagvormittag war gebucht für Sponsorenfotos. Aufnahmen mit lachenden, gut gelaunten Fußballspielern, Stolz und Leidenschaft sollen sie ausstrahlen. Wer im Planungsstab von Hertha BSC hat vor Wochen schon mit dem traurigen Spiel im fröhlichen Mainz gerechnet und mit Kunibert, einem Tiefdruckgebiet mit Regen und Herbstgrau im Gefolge? Das Wetter passte nicht zum Fototermin, aber es fügte sich bestens in die Stimmungslage am Tag danach.

Zwei Stunden lang verschanzten sich Trainer Lucien Favre und Manager Michael Preetz mit den Führungsspielern Jaroslav Drobny, Pal Dardai und Arne Friedrich in Herthas Kabinengebäude. Sie debattierten auch, aber nicht nur über jenes 1:2 am Samstag in Mainz. „Wir sind nicht blind“, sagte Preetz mit Blick auf die Tabelle. Längst hat Hertha mehr als nur eine Ergebniskrise. Der Bundesligavierte des Vorjahres bewegt sich in einer Region, die für künftige Spiele gegen Paderborn, Augsburg oder Greuther Fürth berechtigt. Michael Preetz fand für das, was in diesen Wochen bei Hertha passiert, den schönen Begriff „Negativdynamik“.

Hertha BSC ist der Verlierer dieses fünften Spieltags in der Fußball-Bundesliga. Die Niederlage in Mainz war die vierte in Folge. Das ist keineswegs Vereinsrekord, der steht bei null Punkten aus sechs Spielen gegen Stuttgart, Karlsruhe, Kaiserslautern, Düsseldorf, Bochum und Bremen, angehäuft und mit 4:21 Toren garniert in der Katastrophensaison 1990/91, als Hertha in 34 Spielen nur 14 Punkte holte, dafür aber vier Trainer verschliss.

Einen Startrekord mit vier Niederlagen aus den ersten fünf Spielen hat Hertha zum ersten Mal 1972 hingelegt, als die Mannschaft infolge des Bundesligaskandals gerade eine annähernd komplette Mannschaft verloren hatte. Der Umbruch in dieser Saison ist weniger radikal. Auch ist es nach fünf Spieltagen nicht angebracht, über Abstieg, Champions League und Niemandsland zu philosophieren. Die Berliner haben in der vorigen Saison selten gespielt wie ein Anwärter auf die Meisterschaft, und am Samstag wirkten sie keinesfalls wie ein Abstiegskandidat.

Es gab eine Phase, da spielte Hertha den Part als kühler Krisengewinnler so routiniert wie in der Fast-Meister-Saison. Allerdings nur eine halbe Stunde, zwischen dem Führungstor kurz nach der Pause und dem Ausgleich eine Viertelstunde vor Schluss, aber immer noch gilt das Axiom des Sepp H., nach dem ein Spiel 90 Minuten dauert.

Für den totalen Zusammenbruch in der letzten Viertelstunde gibt es keine Entschuldigung, im Falle Herthas aber mildernde Umstände. Florian Kringe, aus Dortmund für die Stabilisierung der Mannschaftsstruktur verpflichtet, brach sich schon nach ein paar Minuten den Mittelfuß, er wird die nächsten acht Wochen fehlen. Und ohne die kurzfristig ausgefallenen Arne Friedrich und Gojko Kacar hätte auch die gefestigte Mannschaft der Vorsaison große Probleme bekommen.

Der Verlust dieser drei eher defensiv orientierten Kräfte wog schwer, aber entscheidender noch war der Verzicht auf den gleichfalls verletzten Brasilianer Raffael. Nichts stört eine technisch unterlegene Mannschaft mehr als ein technisch brillanter und körperlich nicht zu packender Spieler, der den Ball halten kann, das Tempo aus dem Spiel nimmt und zugleich mit seiner Klasse so viel Gefahr heraufbeschwört, dass ein Gegentor immer in der Luft liegt. Doch es war keiner da, kein Raffael, der Mainz hätte in Verlegenheit hätte bringen können. In der wichtigsten Phase des Spiels war Hertha berechen- und damit auch verletzbar.

„In so einem Spiel musst du spanisch oder italienisch oder portugiesisch spielen“, sagte Pal Dardai, also den Ball halten, Zeit schinden, lieber mal zurückspielen, immer die Kontrolle behalten und dem Gegner ein Gefühl der Ohnmacht geben. Hertha aber wollte smart sein, elegant nach vorn spielen und den Gegner überrennen. Das aber setzt eine individuelle und kollektive Klasse voraus, die Hertha BSC zurzeit nicht aufbieten kann.

Bestes Beispiel für den dramatischen Unterschied zwischen Wollen und Können war jener Konter zwölf Minuten vor Schluss. Artur Wichniarek, der unglückselige Stürmer, der seine besten Momente hat, wenn er weit weg ist vom Strafraum, jener Wichniarek also führte den Ball ganz allein und unbedrängt, es liefen fünf Berliner gegen vier Mainzer, und Wichniarek wollte es ganz besonders gut machen, mit einem Pass in den Lauf von Patrick Ebert. Bekanntlich ist gut gemeint immer das Gegenteil von gut, und es passte zum Spiel von Hertha BSC, dass Wichniarek den Ball in Eberts Hacken spielte und damit gleich einen Mainzer Konter einleitete.

Der Fehlpass leitet über zum wesentlichen Problem dieser Mannschaft. In Mainz bildeten Wichniarek und sein Landsmann Lukasz Piszczek den Angriff, was eine Erkenntnis von Trainer Favre eindrucksvoll bestätigte und eine andere dramatisch widerlegte. Zur Bestätigung: Piszczek ist überall gut aufgehoben, nur nicht im Angriff. Und was die Widerlegung betrifft: Mit seinem abermals glück-, kraft- und einfallslosen Auftritt dürfte Wichniarek seinen Trainer überzeugt haben, dass er als Stürmer eine Fehlbesetzung ist. Am Donnerstag in der Europa League gegen Ventspils wird sich Adrian Ramos beweisen dürfen.

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