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Auf der Überholspur. Sheraldo Becker (rechts) ist momentan der beste Torschütze der Bundesliga.

© IMAGO/Moritz Müller

Nach dem 6:1 über Schalke: Union Berlin erinnert derzeit stark an den englischen Überraschungsmeister von 2016

Auf Schalke gelingt den Berlinern der höchste Bundesligasieg der Vereinsgeschichte und der Sprung auf Platz zwei. Dennoch findet Trainer Fischer Kritikpunkte.

Während Urs Fischer und seine Mannschaft nach dem höchsten Bundesliga-Sieg der Vereinsgeschichte und dem kurzzeitigen Sprung an die Tabellenspitze fast schon routiniert von einer „schönen Momentaufnahme“ sprachen, komplimentierte sie ein Schalker wenige Meter entfernt in den Kampf um die Meisterschaft. „Sie haben nicht die Qualität wie Bayern München“, sagte Maya Yoshida über den 1. FC Union. „Aber sie folgen ihrer Struktur sehr streng und spielen gut. Genau wie Leicester City vor ein paar Jahren.“

2016 war es der Mannschaft mit dem Berliner Robert Huth, dem späteren Weltmeister N’Golo Kanté und Torjäger Jamie Vardy völlig überraschend gelungen, die englische Meisterschaft zu gewinnen – und das mit großem Vorsprung vor den erfolgsverwöhnten Großklubs aus Manchester, London und Liverpool. Es war ein modernes Fußballmärchen, das gerade im Milliardengeschäft Premier League eigentlich nicht möglich sein dürfte und für das es bis heute keine logische Erklärung gibt.

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Ein bisschen galt das auch für den Berliner Erfolg in Gelsenkirchen am Samstag. Zumindest in dieser Deutlichkeit. „Das Resultat war am Schluss sicherlich zu hoch“, sagte Fischer und egal, welcher Berliner sich nach dem 6:1 äußerte, alle schwärmten von der unheimlichen Effizienz. Es war nicht so, dass Union schlecht gespielt hätte. Der Europapokalteilnehmer stand meist sicher, konterte gefährlich, war in den entscheidenden Situation griffiger als die Schalker. Doch eine Offensivgala, die sechs Tore verdient gehabt hätte, war es nun wirklich nicht. Das untermauerte auch die Statistik.

Die Internetplattform „understat.com“ errechnete für Union einen Wert von 1,07 Expected Goals. Vereinfacht gesagt, hätten die Berliner anhand der Qualität ihrer Chancen etwas mehr als ein Tor erzielen müssen. Eine derartige Abweichung zwischen Statistik und tatsächlicher Ausbeute ist außergewöhnlich und spricht für zwei Faktoren: eine große Kaltschnäuzigkeit im Abschluss und eine gehörige Portion Glück. Wie beim ersten Treffer von Sheraldo Becker, der unhaltbar abgefälscht wurde, oder beim Sonntagsschuss von Janik Haberer.

„Das ist ein schönes Bild, das kann man sich als Foto einrahmen“

So war es durchaus angebracht, dass die Berliner trotz des historischen Ergebnisses – auch in der Zweiten Liga und der DDR-Oberliga gewann Union nie höher – nicht gleich in Jubelstürme ausbrachen. „6:1 klingt immer gut, aber wichtig ist für uns jetzt, das Ergebnis richtig einzuordnen“, sagte Haberer und sein Trainer fand gleich mehrere Kritikpunkte. Gerade in der ersten Halbzeit habe seine Mannschaft nach dem guten Start „schläfrig, zum Teil auch fahrig“ agiert.

Gegen einen spielerisch limitierten und mental nicht gefestigten Gegner wie Schalke reichte die Mischung aus Kompaktheit, Umschaltspiel und Effizienz aus, doch Fischer weiß genau, dass das nicht immer so funktionieren wird. Das gilt ganz besonders für den kommenden Samstag, wenn sich der große FC Bayern im Stadion An der Alten Försterei die Ehre gibt. Zum Spitzenspiel. Zwischen dem Tabellenersten und seinem punktgleichen Verfolger. „Das ist ein schönes Bild, das kann man sich als Foto einrahmen. Aber mich interessiert es nach dem 34. Spieltag“, sagte Fischer gewohnt nüchtern.

Als Bayernkonkurrent würden sie sich in Köpenick ohnehin niemals bezeichnen. Fischer hat als Jungprofi eine Banklehre absolviert, dem Schweizer liegen Zahlen näher als Märchen à la Leicester. Zehn Punkte nach vier Spielen bedeuten für Union daher in erster Linie: nur noch 30 Punkte bis zum Klassenerhalt. Diese offizielle Sprachregelung haben auch die Neuzugänge schnell verinnerlicht. „Für uns ist es ganz wichtig, dass wir in den normalen Wochen Punkte sammeln und uns ein Polster erarbeiten. Es werden schwere Wochen“, sagte etwa Mittelfeldspieler Haberer.

Beim FC Schalke 04 feierte der 1. FC Union seinen höchsten Bundesligasieg.
Beim FC Schalke 04 feierte der 1. FC Union seinen höchsten Bundesligasieg.

© IMAGO/Chai v.d. Laage

Mit dem Spiel gegen die Bayern startet für die Berliner ein gewaltiger Belastungstest. Abgesehen von der Länderspielpause Ende September spielt Union zweieinhalb Monate lang im Drei-Tage-Rhythmus. 18 Spiele in 70 Tagen. Reisen nach Braga, Brüssel, Malmö. Dass die Mannschaft dabei weiter so konstant punktet wie aktuell, ist nur schwer vorstellbar. Wobei die Berliner die Grenzen des Vorstellbaren in den vergangenen vier Jahren doch mit einer beeindruckenden Regelmäßigkeit durchbrochen und anschließend verschoben haben.

Zumal Union in dieser Saison noch breiter aufgestellt ist als in der Vergangenheit. „Ab nächster Woche heißt es Englische Wochen. Wir haben einen großen Kader und benötigen einen großen Kader“, sagte Fischer. Am Samstag konnte es sich der Trainer erlauben, Kapitän Christopher Trimmel, Genki Haraguchi und Andras Schäfer die gesamten 90 Minuten auf der Bank zu lassen.

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U-21-Nationalspieler Jamie Leweling, im Sommer immerhin für vier Millionen Euro aus Fürth gekommen, spielt bisher ebenso nur eine Nebenrolle wie Milos Pantovic, Paul Seguin, Tim Skarke oder Levin Öztunali. Tymoteusz Puchacz, Rick van Drongelen und Kevin Möhwald sind komplett außen vor und sollen in den letzten Tagen vor Transferschluss am liebsten noch einen neuen Verein finden.

Diese noch höhere Qualität bei Union ist auch der Konkurrenz nicht verborgen geblieben. „Ich bin nicht überrascht“, sagte Thomas Müller, die Personifikation des Münchner Mia san Mia, über Unions Saisonstart. „Sie spielen ihren Stil zu 100 Prozent und mit viel Leidenschaft. Man spielt da pauschal nicht gerne.“ (mit dpa)

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