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Gute Laune auf dem Feld: Ilkay Gündogan (links) zeigte gegen Estland eine starke Leistung. Abseits des Rasens hatte er jedoch wenig zu lachen.

© Federico Gambarini/dpa

Nach dem „Like“ für militärischen Gruß: Wie Ilkay Gündogan auf die Kritik reagiert

Ilkay Gündogan prägt das Spiel der Fußball-Nationalmannschaft in Estland. Er entfacht aber auch eine Diskussion über deren Verantwortung.

Von Johannes Nedo

Er genoss es sehr, auf dem Rasen zu sein. So sehr, dass er sich ausgiebig Zeit nahm, bevor er den Rasen des Tallinner Stadions nach dem Abpfiff verließ. Zuvor hatte Ilkay Gündogan noch grinsend mit Manuel Neuer und Marco Reus geflachst, und er hatte eine Umarmung von Joachim Löw bekommen.

Die Beschreibung „Spieler des Spiels“ passte am Sonntagabend perfekt auf Gündogan. Schließlich hatte er zwei Tore geschossen und das dritte durch Timo Werner vorbereitet. Dazu passten eigentlich auch die beschwingten Eindrücke nach dem 3:0-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im EM-Qualifikationsspiel gegen Estland. Dazu passte allerdings nicht die ernste Miene, mit der Gündogan später in der Mixed-Zone stand.

Der Mittelfeldspieler von Manchester City presste Ober- und Unterlippe zusammen, als er den Fragen der Journalisten zuhörte, und er pustete tief durch, bevor er antwortete. Denn viele Fragen drehten sich nicht um seine starke Leistung auf dem Rasen, sondern darum, was der 28-Jährige abseits davon getan hatte – vor dem Spiel.

Gündogan hat wie jede andere Person hier das Recht auf eine eigene, auch politische Meinung. Gündogan ist kein deutscher Beamter, zu dessen Amtspflichten es gehört, sich mit politischen Äußerungen zurückzuhalten.

schreibt NutzerIn Theodosius

Am Samstag hatte der Nationalspieler mit türkischen Wurzeln ein Foto seines Freundes Cenk Tosun auf Instagram gelikt. Tosun ist türkischer Nationalspieler und hatte am Freitagabend das Siegtor gegen Albanien erzielt. Der Instagram-Post zeigt, wie Tosun mit seinen Teamkollegen jubelt – nämlich mit einem Salut an das türkische Militär, das seit vergangenen Mittwoch mit einer Offensive in Nordsyrien vorgeht. Neben Gündogan hatte auch Emre Can, 25, das Foto mit einem Like versehen.

Die beiden türkischstämmigen Spieler zogen das „Gefällt mir“ vor dem Spiel in Estland wieder zurück. Doch der Wirbel darum war auch vom Deutschen Fußball-Bund nicht mehr aufzuhalten. Und so befindet sich der DFB nun wieder mittendrin in einer Diskussion, inwiefern sich einige seiner Nationalspieler zur politischen Situation in der Türkei äußern. Es hätte Bundestrainer Löw, Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff und Gündogan bekannt vorkommen können. Schließlich hatte vor knapp eineinhalb Jahren ein Foto von Gündogan und Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wochenlang die Schlagzeilen bestimmt.

Der DFB reagiert

In der Nacht auf Montag in Tallinn sagte Bierhoff noch: „Dass das so eine Dimension annimmt, konnte keiner erwarten. Beide saßen nach dem Spiel total geknickt in der Kabine.“ Und zu ihrem Like ergänzte er: „Ich sehe es nicht so kritisch.“ Erst mit einigen Stunden Abstand schärfte er am Montagmittag via DFB-Internetseite seine Position nach. „Wir haben nach dem Spiel mit den Spielern gesprochen. Sie wissen auch, dass es ein Fehler war“, sagte Bierhoff. „Sie müssen sich der großen Verantwortung und der Wirkung bewusst sein, die jede ihrer Aussagen und Aktionen, vor allem auch in den sozialen Netzwerken, nach sich ziehen können.“

Außerdem reagierte der DFB selbst über die sozialen Netzwerke. Der Verband verbreitete am Montagvormittag ein Foto der Nationalmannschaft sowie des Trainerteams und der Betreuer. In dunklen Trainingsanzügen stehen alle eng zusammen, in der Mitte legt Kapitän Manuel Neuer die Arme um Gündogan und Can. Dazu die Botschaft: „Gemeinsam für Offenheit, Vielfalt und Toleranz. Gegen jede Form von Gewalt und Diskriminierung.“

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So versuchte der DFB also all die Wogen zu glätten. Gündogan und Can versuchten es, indem sie noch spät in der Nacht in Tallinn vor die Journalisten traten. Wobei Cans schlechte Laune natürlich auch damit zu tun hatte, dass der Defensivspieler von Juventus Turin wegen eines Fouls nach nicht einmal 15 Spielminuten die Rote Karte gesehen hatte. Die Wucht der Kritik überraschte beide jedoch sehr. „Es ist krass, woraus heutzutage Geschichten geschrieben werden“, sagte Gündogan. „Emre und ich sind beide konsequent gegen jeglichen Terror und gegen jeglichen Krieg, egal, wo auf der Welt er stattfindet.“ Und Can betonte: „Die Medien interpretieren immer alles kritisch.“

Dass sie das Foto ihres Freundes Tosun mit einem Like versehen hatten, sei „kein politisches Statement“ gewesen, beteuerten Gündogan und Can. Doch in dem Kontext des Militäreinsatzes in Nordsyrien fällt es schwer, dies nur auf einen Glückwunsch an Tosun zu reduzieren. Weil der Jubel der türkischen Nationalspieler eben vor allem politisch zu bewerten ist, hat sich nun ebenfalls die Uefa eingeschaltet. Der europäische Kontinentalverband wird ein Verfahren gegen den türkischen Verband einleiten.

Und so war Gündogan in Tallinn auch bewusst: „Am Ende des Tages ist das immer eine Interpretationssache. Man interpretiert es, wie man es will.“

Löws spezielle Interpretation

Eine sehr spezielle Interpretation von Gündogans Auftritt gegen Estland lieferte schließlich noch Löw. Er betonte, Gündogan habe „das beste Statement auf dem Platz mit seinem Spiel gegeben“. Damit hatte der Bundestrainer zwar recht. Als das deutsche Team nach dem Platzverweis von Can fahrig und überforderte wirkte, wurde Gündogan zum Lenker. „Er hat die Mannschaft in Unterzahl hervorragend geführt im Mittelfeld“, sagte Löw. Allerdings hatte Gündogans grandiose Leistung ja nichts mit seinem Like für Tosuns Torjubel zu tun.

Dass er auch in der Nationalmannschaft längst das Potenzial zu einem Führungsspieler besitzt, ist nach seiner imposanten Entwicklung bei Manchester City nur folgerichtig. Doch Gündogan sehnt sich im Nationalteam nach Auftritten, die er rundherum genießen kann. (mit dpa)

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