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Endlich im Glück. Ronny gab Herthas Spiel nach seiner Einwechslung neue Impulse: Er erzielte ein Tor und bereitete das zweite vor.

© dapd

Nach dem Paderborn-Spiel: Die neuen Charakterdarsteller von Hertha BSC

Hertha BSC überzeugt beim Saisonauftakt gegen Paderborn mit Kampf und Einsatz. Fürs Erste reicht das, um die noch vorhandenen fußballerischen Defizite zu überspielen. Die starke Bank der Berliner macht Hoffnung für die Zukunft.

Deniz Yilmaz ist erst seit ein paar Tagen in Paderborn. Vermutlich kennt er seinen neuen Arbeitgeber noch gar nicht richtig, aber am Freitag hat der Leihspieler vom FSV Mainz einen Eindruck bekommen, mit welch begrenzten Möglichkeiten er sich künftig wird abfinden müssen. Der Stürmer des SC Paderborn stand nach dem 2:2 gegen Hertha BSC in der Interviewzone, als sein Kollege Daniel Brückner mit nacktem Oberkörper und einer seltsamen Bitte an ihn herantrat: „Kann ich kurz dein Trikot haben?“ Yilmaz schaute leicht irritiert. Kann sich der Klub nicht mal für jeden Spieler ein eigenes Hemd leisten? Dann zog er sein Trikot aus und reichte es Brückner, der nicht mit blanker Brust vor eine Fernsehkamera treten wollte.

Bei Hertha BSC sind die Möglichkeiten, zumindest für Zweitligaverhältnisse, immer noch beinahe unbegrenzt. Der Absteiger aus der Bundesliga hatte sich lange Zeit schwer getan gegen Paderborn, doch als die Auftaktbegegnung der neuen Saison in ihre entscheidende Phase ging, konnten die Berliner noch einmal zulegen. Oder besser: Trainer Jos Luhukay konnte das. Beim Stand von 0:1 wechselte er den kolumbianischen Nationalspieler Adrian Ramos und den Brasilianer Ronny ein. „Es kam Qualität rein in dieses Spiel“, sagte Paderborns Trainer Stephan Schmidt. Ein paar Minuten später stocherte Ramos den Ball zu Ronny, der legte ihn vom linken auf den rechten Fuß und vollendete mit einem Flachschuss zum 1:1. Kurz vor Schluss bereitete der Brasilianer dann mit seinem Freistoß das 2:2 durch Sami Allagui vor.

Das Spiel zwischen Hertha und Paderborn in der Bildergalerie

Ronny, der bisher vor allem als jüngerer Bruder Raffaels bekannt geworden ist, war am Freitag der Mann für die entscheidenden Momente. Das ist weit mehr, als ihm bisher zumeist vergönnt war, aber immer noch deutlich weniger, als angesichts seiner Begabung möglich wäre. Ronny gilt selbst nach zwei mäßigen Jahren bei Hertha immer noch als Versprechen, aber nach den bisherigen Erfahrungen sollte man die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht gleich wieder ausufern lassen. Der 26-Jährige hat seine Qualität noch nie über einen längeren Zeitraum nachgewiesen.

Die starke Bank bewahrte Hertha vor einem Fehlstart

Aber auch Momente können wichtig sein, wie sich am Freitag zeigte. „Das wird uns noch häufiger passieren“, sagte Trainer Luhukay. „Eine Mannschaft besteht nicht nur aus der ersten Elf. Wir haben auch noch Spieler auf der Bank, die neue Impulse setzen können.“ Gegen Paderborn saßen nicht nur Ronny und Ramos zunächst draußen, auch Sandro Wagner und Elias Kachunga, der erfolgreichste Torschütze der Vorbereitung, hatten es nicht in die Startelf geschafft. Der Israeli Ben Sahar stand wegen Trainingsrückstands nicht einmal im Kader.

Letztlich waren es die Möglichkeiten von der Bank, die Hertha vor einem Fehlstart bewahrten. Die Berliner taten sich lange schwer, obwohl die Anfangsviertelstunde sehr ansehnlich aussah. Die Mannschaft zeigte zumindest in Ansätzen, was Luhukay sehen will: aggressives Pressing, permanenten Druck auf den Gegner und viel Tempo. Danach aber folgte eine Phase, in der spielerisch wenig zusammenlief und die einzige Idee darin bestand, den Ball möglichst weit nach vorne zu schlagen, in der Hoffnung, dass Allagui irgendwas damit anzufangen wisse. „Du kannst nicht 90 Minuten Pressing spielen“, sagte Luhukay. „Das kann Barcelona nicht. Das können wir auch nicht.“

Bildergalerie: Die Neuzugänge von Hertha BSC

Die Strategie des Holländers sieht es vor, den Gegner sofort unter Druck zu setzen; danach soll es immer wieder spielsituativ Phasen geben, in der die Berliner früh attackieren. Wann solche Momente gekommen sind, „das muss die Mannschaft spüren“, sagt Luhukay. Herthas Trainer arbeitet noch daran, die Sinne für diese neue Interpretation des Fußballs zu schärfen. „Das ist ein Prozess“, sagt er. Ein Prozess, der ein bisschen Geduld benötigt. Insofern war der Auftritt gegen Paderborn für Luhukay keine Enttäuschung, sondern in etwa das, was er erwartet hatte: „Ich weiß, dass wir bei der spielerischen Komponente noch Luft nach oben haben. Aber ich bin nicht unzufrieden.“ Aus Rücksicht auf das aktuelle Leistungsvermögen seiner Mannschaft war Luhukay sogar von dem bevorzugten System mit zwei Stürmern abgewichen. Er wollte lieber einen Mann mehr im Mittelfeld haben, um dem Team „ein Stück Sicherheit“ zu geben.

Dass sich die neu bestückte Mannschaft noch finden muss, ist nichts Ungewöhnliches. Luhukay selbst hat immer wieder darauf hingewiesen, dass es ein paar Wochen dauern wird, bis alle Profis richtig fit sind, die Spieler sich gegenseitig richtig kennen, die Automatismen funktionieren und die Gewöhnung an die neue Art des Fußballs abgeschlossen ist. Bis dahin wird sich die Mannschaft auf andere Weise behelfen müssen. Gegen Paderborn überspielte sie die fußballerischen Defizite durch Kampf und Einsatz. „Der große Wille war da“, sagte Luhukay. „Die Charakterfrage ist beantwortet.“

Am nächsten Wochenende wird sie wieder gestellt.

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