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Schon Bammel vor Alemanha? Brasiliens Fußballer um Star Neymar wollen in Rio ein Trauma begraben.

© imago/Bildbyran

Nach der Demütigung von Belo Horizonte: Brasilien will Revanche im Olympia-Finale

Zwei Jahre ist es her, dass Brasiliens Fußballer im Halbfinale der WM 1:7 gegen Deutschland verloren, heute treffen sie im Endspiel des Olympiaturniers erneut auf ihren neuen Angstgegner.

Schade eigentlich, dass der Zeugwart die alten Trikots zu Hause gelassen hat. Die mit den schwarz-roten Querstreifen, sie erinnern an ein Spiel, an das in Brasilien keiner erinnert werden will. Vor zwei Jahren trat die deutsche Nationalmannschaft zum WM-Halbfinale von Belo Horizonte mit den Leibchen an, die denen von Rios Traditionsklub Flamengo nachempfunden waren und die bis in alle Ewigkeit jeder mit dem für Brasilien traumatischen 1:7 in Verbindung bringen wird. Am Samstag, bei der olympischen Revanche im Finale von Maracana, werden die Brasilianer wie damals ihr traditionelles Blau-Gelb tragen. Die Deutschen aber haben ihre Flamengo-Konfektion zu Hause gelassen und kleiden sich in eine Kombination aus Schwarz-Grau mit etwas Grün an den Ärmeln, dazu gibt es in Brasilien kein Äquivalent.

Die Demütigung von Belo Horizonte prägt Brasilien bis heute. Als nun am Mittwoch das neuerliche Rencontre beider Nationen feststand, fehlte in keiner brasilianischen Zeitungen der Verweis auf 2014. Beim 6:0 der Seleção im Halbfinale über Honduras sang das Publikum erwartungsfroh: „O Alemanha, pode esperar, a sua hora vai chegar“, was in etwa bedeutet, dass sich die Deutschen am Samstag schön warm anziehen sollten.

„Mich interessiert dieses Halbfinale von 2014 nicht“, sagt dagegen der deutsche Trainer Horst Hrubesch. „Wir haben uns darüber noch nie unterhalten. Wir spielen ein komplett anderes Spiel mit anderen Mannschaften.“ Seine ist bunt zusammengewürfelt und vor allem dem Proporz verpflichtet. Die Bundesliga erduldet den olympischen Fußball mehr, als dass sie ihn liebt. Kein Klub musste mehr als zwei Spieler abstellen. Aber wie furchtbar wäre es für die Brasilianer, wenn sogar dieses Deutschland gut genug wäre und ihnen das fest eingeplante Gold wegnimmt?

Brasilien hat, nach einem desaströsen Start, zuletzt schönen Fußball gespielt, noch kein einziges Gegentor kassiert und in den vergangenen drei Spielen gleich zwölf geschossen. Aber Brasilien ist in sich zerrissen. Neymar da Silva Santos Junior spricht nicht mehr zur Nation, denn er fühlt sich falsch verstanden, nicht respektiert. Von der Masse wie auch von ihren prominenten Multiplikatoren wie dem Altstar Zico, der dem Kapitän noch vor einer Woche die Eignung zum Kapitän abgesprochen hatte. Am Mittwoch schoss Neymar beim 6:0 im Halbfinale über Honduras zwei Tore und bereitete zwei weitere vor, er herzte anschließend jeden Gegen- und Mitspieler, doch an den Kameras und Mikrofonen schritt er mit abweisendem Lächeln vorbei.

Vor zwei Jahren saßen Zehntausende mit Neymar-Masken auf der Tribüne

Neymar hat vor zwei Jahren in Belo Horizonte wegen eines Wirbelbruchs gefehlt. Im Publikum saßen damals Zehntausende mit Neymar-Masken, er selbst schaute aus der Klinik zu und weinte die ganze Nacht. So sagt es jedenfalls die Legende. Ein Jahr später hat er den Triumph mit dem FC Barcelona im Finale der Champions League als besonderen Genuss empfunden, weil er in Berlin stattfand, der Kapitale der unheimlichen Deutschen.

Jetzt warten sie schon wieder, und Brasilien weiß nicht so recht, was es von diesem Gegner halten soll. Die Seleção bietet Neymar auf und Gabriel Fernando de Jesus, den als kommenden Wunderspieler gefeierten Profi von Manchester City. Deutschland kommt mit Lukas Klostermann, Jeremy Toljan oder Serge Gnabry, der beim FC Arsenal nur in der Nachwuchsmannschaft spielen darf und bisher die große Entdeckung des olympischen Fußballturniers ist. Wo nehmen die Deutschen diese Leute bloß her? Gnabry etwa hat keinen großen Namen und spielt doch mit einer Leichtigkeit und Fantasie, wie die Brasilianer das gern von ihren eigenen Leuten sehen würden, zuletzt aber so selten zu sehen bekamen.

Und was sollen sie erst zu Horst Hrubesch sagen? Dem Mann hinter dieser Mannschaft, er hat sie zusammengestellt nach einem vermeintlichen Zufallsprinzip, das in der Heimat nicht jeder verstanden hat. Warum Klostermann, warum Toljan, warum Gnabry? Aber es funktioniert. Mit jedem Spiel fanden die Deutschen besser zusammen, die hoch eingeschätzten Nigerianer hatten im Halbfinale nicht den Hauch einer Chance. Der Fußballtrainer Horst Hrubesch besitzt ein feines Händchen für das Austarieren einer Mannschaft, das hat er schon im Sommer 2009 gezeigt, als seine U 21 in Schweden die Europameisterschaft gewann, mit den heutigen Weltstars Manuel Neuer, Mesut Özil, Sami Khedira oder Jerome Boateng.

Hrubeschs Olympia-Mannschaft hat sich kurz vor dem Abflug nach Brasilien zum ersten Mal getroffen und wird nach dem Finale am Samstag nie wieder zusammenspielen. Immerhin das hat sie mit den Weltmeistern von 2014 gemeinsam. Aber damals, nach dem finalen Triumph über Argentinien, traten Per Mertesacker, Philipp Lahm und Miroslav Klose auf dem Höhepunkt ihrer Karriere ab. Auch für die Olympiamannschaft wird das Finale von Maracana mit einiger Wahrscheinlichkeit das Glanzlicht ihrer Karriere sein, aber niemand von ihnen wird am Samstag seinen Rückzug von der internationalen Bühne verkünden. Klostermann, Toljan und Gnabry sind jung und werden weiterspielen. Aber wer weiß schon, ob es für das höchste internationale Niveau reichen wird?

In Brasilien hat Deutschlands Olympiamannschaft nach den anfänglichen Mühen des Zusammenfindens das Finale so leicht und selbstverständlich erreicht, dass es den Brasilianern ein bisschen unheimlich wird. Das 1:7 von Belo Horizonte ist allgegenwärtig, auch wenn es keiner ansprechen will, erst recht nicht vor dem Duell mit einer Mannschaft, deren Interpreten in Rio niemand kennt. Nach dem 2:0 im Halbfinale über Nigeria stürzten sich die brasilianischen Reporter auf Matthias Ginter. Der Verteidiger von Borussia Dortmund ist sozusagen der deutsche Neymar, der einzige Olympiakicker, der auch vor zwei Jahren in Belo Horizonte zum Aufgebot gehörte. „Keine Sorge, dieses Spiel war einmalig und wird auch einmalig bleiben“, sprach Ginter in die Mikrofone. Bei der WM 2014 kumulierte sich seine Einsatzzeit in sieben Spielen übrigens auf exakt null Minuten.

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