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Sport: Nach der Rebellion

Tennisprofi Na Li ärgerte ihre Landsleute in China

Berlin – Drei, vier Sekunden lang murmelt Na Li verärgert vor sich hin. Man kann es nicht verstehen, aber man sieht ihr Gesicht unter der Baseballkappe, und es ist klar: Sie ist erbost, offenbar über sich selbst. Es war ja auch wirklich etwas Übles passiert: Sie hatte einen Ball nicht erreicht. Catalina Castano hatte einen Ball gut platziert, direkt auf die Seitenlinie. Einen ihrer wenigen guten Bälle. Castano, die Kolumbianerin, durfte gestern die Trainingspartnerin von Na Li spielen. Die Chinesin hatte den rechten Oberschenkel bandagiert, Folge einer Muskelverhärtung, doch die Kolumbianerin Castano fegte sie bei den German Open förmlich vom Platz. 6:1, 6:0 hieß es nach 51 Minuten. „Ja, ich war etwas überrascht, wie klar ich gewonnen habe“, sagte Na Li später. Castano hatte am Mittwoch immerhin die beste deutsche Tennisspielerin, Anna-Lena Grönefeld, aus dem Turnier geworfen.

Vielleicht war Castano ja auch noch müde von diesem Match, jedenfalls war sie chancenlos gegen eine Spielerin, die aggressiv die Vorhand schlägt, die Bälle punktgenau platziert und enorm viel läuft. Und die vor allem so motiviert ist, dass sie sich selbst in so einem Spiel über Fehler ärgert. Die Motivation ist ein wichtiger Punkt im Leben der Na Li aus Wuhan, 24 Jahre alt, Nummer 27 der Weltrangliste. Es gab eine Zeit, da war ihre Motivation weg, da stieg Na Li, Profi seit 1999, einfach aus. „Ich hatte alles erlebt, ich hatte einfach keine Lust mehr“, sagt sie. 2002 war das, in dem Jahr, in dem sie in Wimbledon spielte und danach bei den chinesischen Meisterschaften. In Wimbledon scheiterte sie in der Qualifikation, in China holte sie drei Siege. Ein netter, kleiner Erfolg, aber zu klein, um sie im Sport zu halten. Sie war die Nummer 277 der Weltrangliste, abgerutscht gegenüber dem Jahr 2000 um 143 Plätze.

Also begann sie zu studieren. An der Universität von Wuhan schrieb sie sich für Journalismus ein. Im heutigen China ist so ein Ausstieg kein revolutionärer Schritt mehr, doch rebellisch genug, um ein paar Leute zu schockieren. „Einige waren sehr verärgert“, sagt die 24-Jährige. Ihre damalige Trainerin zum Beispiel. Yu Li Qiao versuchte alles, um sie umzustimmen. Es war zwecklos. Und als Li Qiao das klar war, „da sprach sie zwei Jahre lang kein Wort mehr mit mir“, sagt Na Li. Dem Ex-Profi war das egal. Na Li genoss das Leben, studierte, ging einkaufen, traf sich mit Freunden – ein Leben, so radikal anders, als hätte sie den Bruch förmlich herbeigesehnt. „Ich habe Tennis nie vermisst“, sagt sie. Na Li redet locker, oft lacht sie zu ihren Sätzen. Als sie über ihr Studium spricht, liegt eine tiefe Befriedigung in ihrem Blick. Deshalb überlegte sie auch zwei Monate lang, ob sie wieder zurückkommen sollte. Im Januar 2004 hatte ein hoher Funktionär des chinesischen Tennisverbands sie angesprochen. „Komm zurück“, sagte er. „Wir brauchen dich.“ Aber Na Li wusste eigentlich, dass sie das Tennis nicht mehr brauchte. Sie war mitten im Studium, sie hatte keinen Abschluss. Doch dann erinnerte sie sich daran, was der Verband für sie getan hatte. „Ich wurde seit meiner Kindheit gefördert“, sagt sie. „Da wollte ich etwas zurückgeben.“ Schließlich sagte sie: „Ja“.

Die Rückkehr war hart, sie musste lange an sich arbeiten. Bei einem anderen Trainer natürlich. Die Arbeit mit ihrer früheren Trainerin war für sie ausgeschlossen. Sie trainiert jetzt wieder in Peking, zusammen mit fünf anderen chinesischen Spitzenspielerinnen. Die sechs bilden quasi das Nationalteam Chinas. Und Na Li ist seit ihrem Comeback so gut wie nie. 2005 stand sie schon auf Platz 56 der Weltrangliste, jetzt ist sie 29 Plätze besser. Sie ist zum ersten Mal in Berlin, sie setzt sich nach dem Sieg gegen Castano kein konkretes Ziel. „Ich schaue mal, wie weit ich hier komme“, sagt sie nur.

Bei ihr ist vieles im Fluss, sie hat schließlich auch noch andere Pläne. „Das Studium“, sagt sie, „möchte ich auf jeden Fall beenden.“

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