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Die Weltmeisterin trifft. Die Japanerin Yuki Nagasato (Zweite von links) erzielt das Tor zum 2:0 für Turbine Potsdam. Am Ende hieß es 4:0 gegen den Hamburger SV. Foto: Jan Kuppert/PNN

© Jan Kuppert

Sport: Nach der WM ist vor der WM

Bei Turbine Potsdams Start in die Bundesliga ist vom Hype um den Frauen-Fußball nicht mehr viel übrig

Ein paar Monate lang war der deutsche Frauenfußball ein Hochglanzprodukt, zu bewundern im Primetime-Fernsehen, Zeitschriften-Homestorys und Werbekampagnen. An diesem Sonntag, dem ersten Spieltag der neuen Bundesligasaison, ist der Frauenfußball wieder eine familiäre Angelegenheit. Im Babelsberger Karl-Liebknecht-Stadion trifft Titelverteidiger Turbine Potsdam auf den Hamburger SV, eine Stunde vor dem Anpfiff schlendert Turbines verletzte Stammtorhüterin Anna Felicitas Sarholz an den Kassen vorbei auf die Straße. Die 19-Jährige mit den lila gefärbten Haaren verteilt Eintrittskarten an Freunde und Verwandte, ein paar Kinder brechen in ein begeistertes „Anni!“ aus und werfen sich in die tätowierten Arme der Torhüterin. Während der Weltmeisterschaft wurden die deutschen Fußballerinnen wie Weltstars abgeschirmt und vermarktet, zumindest in Potsdam sind sie Fanlieblinge zum Anfassen geblieben. Auch an den Kräfteverhältnissen scheint sich durch die WM wenig verändert zu haben: Am Sonntag besiegte Turbine den letztjährigen Bundesliga-Vierten HSV locker mit 4:0 (2:0) und übernahm sofort wieder die Tabellenführung. „Es hat heute großen Spaß gemacht“, sagte Potsdams Nationalspielern Bianca Schmidt. „So ein Auftakt tut natürlich gut, um die Enttäuschung der WM noch ein bisschen weiter runterzuschlucken.“

Die meisten Zuschauer im Stadion scheinen Stammgäste zu sein, vor dem Anpfiff werden viele Hände geschüttelt und Schultern geklopft, dazwischen versuchen ein paar Familien, sich in der anscheinend noch ungewohnten Umgebung zu orientieren. Einige Fans tragen noch das blaue Turbine-Trikot von Fatmire Bajramaj, die mittlerweile für den Vizemeister 1. FFC Frankfurt spielt. Die Tribünen sind sehr gut gefüllt, 2790 Neu- und Altgierige sind gekommen. In der vergangenen Saison lag Turbines Schnitt bei 1829 Zuschauern.

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat Steffi Jones nach Potsdam entsandt, nach ihrer Rolle als Organisationschefin der Weltmeisterschaft ist die 38-Jährige nun zur Direktorin für Frauen- und Mädchen-Fußball beim DFB aufgestiegen. Bundestrainerin Silvia Neid und DFB-Präsident Theo Zwanziger haben es hingegen vorgezogen, den 3:0-Heimsieg des 1. FFC Frankfurt gegen die SG Essen-Schönebeck nahe der Verbandszentrale zu besuchen, anstatt sich ins brandenburgische Feindesland zu begeben. Die atmosphärischen Störungen zwischen Bernd Schröder und Neid sind auch fünf Wochen nach dem Ende der Weltmeisterschaft nicht behoben, der 69-Jährige lässt immer noch kaum eine Gelegenheit aus, um die Bundestrainerin nach dem frühen WM-Aus im Viertelfinale zu kritisieren. Selbst im Interview des offiziellen Saison-Stadionhefts der Potsdamerinnen kann sich Schröder eine Abrechnung mit Silvia Neid nicht verkneifen. „Wenn die Trainerin sagt, dass sie sich nichts vorzuwerfen hat, dann bedeutet das, dass sie keine Fehler gemacht hat“, wird Turbines Trainer da zitiert. „Das ist dann schwer nachzuvollziehen. Denn wer soll denn dann die Fehler gemacht haben?“

Schröder wünscht sich mehr Konkurrenz und eine höhere Leistungsdichte in der Bundesliga, davon ist an diesem Sonntag wenig zu sehen. Schon nach acht Minuten geht Turbine in Führung, die aus Jena verpflichtete Stürmerin Genoveva Anonma trifft nach Vorbereitung der aus Köln gekommenen Regisseurin Patricia Hanebeck und Weltmeisterin Yuki Nagasato zum 1:0. Noch vor dem Ende der ersten Hälfte steht es 2:0, diesmal trifft die Japanerin Nagasato selbst.

In der Halbzeitpause präsentiert die Band „The Clogs“ bei einem Playback-Auftritt im Mittelkreis Turbines neue Vereinshymne – eine gepflegte Schweinerock-Nummer, in der sich „Angriff, Schuss und Tor“ auf „Rufen wir im Chor“ reimt. Der Sänger im rot-goldenen Piratenmantel lässt dazu routiniert die Matte schwingen, das Publikum klatscht gut gelaunt mit. Während der WM hatten die Zuschauer noch beim chartkompatiblen und nichtssagenden Titel „Sister hit the goal“ mitsingen sollen.

Auch nach der Pause bleibt Turbine überlegen und erspielt sich Chance um Chance, der harmlose und spielerisch und physisch klar unterlegene HSV ist durch die jeweils zweiten Treffer von Anonma und Nagasato zum 4:0-Endstand noch gut bedient. Bernd Schröder steht trotzdem immer wieder auf und grantelt lautstark quer über das ganze Spielfeld. Auch das hat sich durch die WM nicht geändert, das Stammpublikum lacht und bejubelt nach dem Abpfiff seine Mannschaft. „Die Leute, die heute wegen der WM im Stadion waren, werden bestimmt wiederkommen“, sagt Bianca Schmidt. Bei Turbine Potsdam scheint alles beim Alten, mit ein paar neuen Freunden.

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