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Gemeinsam: Vladimir Darida, Per Skjelbred und Maximilian Mittelstädt gehen nach dem dem Spiel zu den Fans.

© Bernd Thissen/dpa

Nach Herthas wildem 3:3 in Düsseldorf: Die Mannschaft ist der Trainer

Herthas Auftritte auf dem Rasen spiegeln die Zustände im Verein. Von außen kommen widersprüchliche Impulse, in Düsseldorf müssen es die Spieler selbst richten.

Dass Uwe Rösler, der Trainer von Fortuna Düsseldorf, einen großen Teil seines Berufslebens im Vereinigten Königreich verbracht hat, ist kaum zu überhören. Nicht nur, weil sich in seine sächsisch gefärbte Sprache eine britische Tonalität gemischt hat. In Röslers Rede schleichen sich immer auch ein paar englische Wörter.

Am Freitagabend zum Beispiel, nach dem 3:3 seiner Mannschaft gegen Hertha BSC sprach er von einem „Hangover“ anstelle eines Katers und warnte davor, dass dieses Spiel für den Klub zu einem „defining moment“ im Abstiegskampf werden könne. Zu einem Moment also, von dem man später sagen könnte: Da hat sich das Ganze in die falsche Richtung bewegt.

Cunha bringt Hertha BSC neue Energie

Auch Hertha BSC hat am Freitag einen solchen Augenblick erlebt, und er lässt sich sogar bis auf die Minute eingrenzen. Nach exakt einer Stunde war es, als Matheus Cunha, der Offensivspieler der Berliner, nach minutenlangem Lamentieren von Schiedsrichter Tobias Stieler die Gelbe Karte präsentiert wurde.

Cunha haderte in dieser Phase mit allem: mit sich, mit seinen Mitspielern, die für seinen Geschmack offenbar alles falsch machten, und auch mit den Entscheidungen Stielers. Von außen wirkte es so, als wäre dem Brasilianer, der vor anderthalb Monaten noch beim Titelkandidaten Rasenballsport Leipzig angestellt war, in diesen Minuten erst richtig bewusst geworden, wo er eigentlich gelandet war: bei einem Verein, bei dem so gut wie gar nichts funktioniert.

Herthas Trainer Alexander Nouri schickte unmittelbar danach einen Mitarbeiter an die Seitenlinie, der beschwichtigend auf Cunha einredete. Und kurz darauf setzte der Brasilianer seine überbordende Energie tatsächlich einmal gewinnbringend für sein Team ein. Wie ein wilder Stier stürzte er sich in die Düsseldorfer Defensive, nahm es bei seinem Solo mit drei Gegenspielern auf und konnte am Ende nur durch ein Foul gestoppt werden. Für seine Kollegen war dies das Signal: Es ist noch nicht vorbei. Wir geben uns nicht auf. „Dafür bin ich doch da“, sagte Cunha später.

Mittendrin: Matheus Cunha (Mitte) gab Hertha BSC in der zweiten Halbzeit viel Energie.
Mittendrin: Matheus Cunha (Mitte) gab Hertha BSC in der zweiten Halbzeit viel Energie.

© Bernd Thissen/dpa

Dass Nouri eine Auswechslung des Brasilianers angesichts eines drohenden Platzverweises nicht in Betracht zog, wirkte verwegen. Aber er ahnte, dass er Cunha noch dringend brauchen würde: „Weil er sehr aktiv war, viele Bälle gefordert, viele Eins-gegen-eins-Situationen gesucht hat und mutig war.“ Dass er seinen Treffer zum 2:3 mit einem Griff ans Gemächt und einer obszönen Geste feierte, sagte alles über seine Haltung.

Nicht zuletzt dank Matheus Cunha nahm das Spiel in Düsseldorf noch eine irre Wende. Zur Pause hatte es so ausgesehen, als würde bei Hertha nun alles zusammenbrechen, weil die Mannschaft nur eine Woche nach der 0:5-Heimniederlage gegen den 1. FC Köln schon wieder 0:3 zurücklag. Eine gute Stunde später aber mussten sich die Berliner fast noch ärgern, dass sie das Spiel nicht mehr für sich entschieden hatten, nachdem Cunha unmittelbar vor dem Schlusspfiff mit einem Distanzschuss den Pfosten getroffen hatte.

Thomas Kraft gibt den Impuls zur Halbzeit

„Die waren in der zweiten Halbzeit totenschlecht“, sagte Herthas Mittelfeldspieler Per Skjelbred. „Wir waren in der ersten Halbzeit totenschlecht.“ Trotzdem war die Wende für Trainer Nouri „schwierig zu erklären“. Seine beiden Wechsel zur Pause – Maximilian Mittelstädt und Marius Wolf für Javairo Dilrosun und Dodi Lukebakio – trugen erkennbar zur Stabilisierung bei; genauso die Entscheidung, die Düsseldorfer früher und aggressiver zu attackieren.

Aber allein daran lag es nicht. „Was noch viel wichtiger war, war, dass die Jungs in der Halbzeit miteinander kommuniziert haben, dass Thomas Kraft einen Impuls gesetzt hat und einen Appell an die Mannschaft gerichtet hat“, sagte Nouri. Kraft stand überraschend anstelle des Stammtorhüters Rune Jarstein in der Startelf, und wer ihn kennt, ihn im Training erlebt, der kann sich ausmalen, wie sein Impuls aussah. Sehr laut war es in der Kabine.

„Ich bin einer der ältesten und erfahrensten Spieler bei uns, und ich hatte einfach das Gefühl, etwas sagen zu müssen“, erklärte Kraft. „So wie wir in der ersten Hälfte gespielt haben, mussten wir uns die Frage stellen, ob wir uns weiter abschlachten lassen wollen oder als Mannschaft endlich aufwachen.“ Alexander Nouri zollte ihm dafür Respekt: „Thomas war der, der den Stein ins Rollen gebracht hatte.“

Einflüsterer: Herthas Trainer Alexander Nouri richtet ein paar Worte an seinen Keeper Thomas Kraft.
Einflüsterer: Herthas Trainer Alexander Nouri richtet ein paar Worte an seinen Keeper Thomas Kraft.

© Bernd Thissen/dpa

So blieb am Ende des Spiels der Eindruck: Die Mannschaft muss die Dinge selbst regeln, weil sie von außen widersprüchliche Impulse bekommt, die für das Fortkommen nur bedingt hilfreich sind. Trainer Nouri nahm im Vergleich zum Spiel gegen Köln gleich sieben Wechsel vor, zur Pause brachte er dann die beiden Spieler, die in der Woche zuvor wohl am meisten zum Misslingen beigetragen hatten.

Die Auftritte auf dem Rasen spiegeln im Moment die Zustände im Verein: Es herrscht ein riesiges Tohuwabohu, Verlässlichkeit gibt es nicht, alles ist möglich. „Es passiert viel in der Mannschaft, viel im Verein“, sagte Per Skjelbred mit Blick auf die Einlassungen des ehemaligen Trainers Jürgen Klinsmann unter der Woche. „Von seiner Seite ist alles gesagt. Jetzt ist alles raus, hoffe ich“, sagte er.

Letztlich waren es die Moral des Teams, die Intervention von Thomas Kraft und die individuelle Klasse der beiden Offensivspieler Krzysztof Piatek und Matheus Cunha, die Herthas Totalabsturz verhinderten. Beide erzielten je ein Tor, und beide zeigten, dass sie auch ohne ein durchdachtes Offensivspiel und ohne Unterstützung aus dem Mittelfeld zu Chancen kommen. Vermutlich wird sich daran bis zum Saisonende auch nichts mehr ändern.

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