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Schnell am Ziel. Beim Halbmarathon in Barcelona stellte Philipp Pflieger mit 1:03:44 Stunden zuletzt eine neue persönliche Bestzeit auf.

© picture alliance / Andreas Gora/

Nach Kollaps beim Berlin-Marathon: Alles halb so schlimm für Philipp Pflieger

Philipp Pflieger kollabierte beim Berlin-Marathon im September 2017 – am Sonntag soll es über 21,0975 Kilometer besser laufen.

Immer und immer wieder sah er sich das Video in der Mediathek an. Schaute sich dabei zu, wie er stolperte, wankte, schließlich einem Zuschauer am Streckenrand in die Arme fiel und am Ende sein Gesicht mit den Händen bedeckte, als ob er so der Enttäuschung nicht ins Auge blicken müsste. „Ich bin da eher so der konfrontative Typ“, sagt Philipp Pflieger mit Rückblick auf seinen Zusammenbruch kurz vor dem Ziel des Berlin-Marathons 2017. Fast fünf Wochen lang rührte der Marathonprofi aus Sindelfingen seine Laufschuhe nicht an, so groß war nicht nur die körperliche Erschöpfung nach seinem Schwächeanfall zwei Kilometer vor dem Ziel. Er tat das, was wohl die wenigsten Hochleistungssportler können. Er nahm sich eine Pause und, noch wichtiger: Er setzte sich mit seinem Scheitern auseinander.

Einer der ersten Läufe war dann ein lockerer Trainingslauf an der Spree mit dem Zuschauer, der ihn während seines Schwächeanfalls aufgefangen hatte, danach lud Pflieger ihn zum Abendessen ein. Langsam verarbeitete der 30-Jährige die Enttäuschung, nicht wie geplant eine neue persönliche Bestleistung gelaufen zu sein, sondern ein „DNF“ für „did not finish“ hinter seinem Namen sehen zu müssen. „Failure is what shapes me“ („Scheitern formt mich“) ist die Überschrift eines Artikels in seinem Blog. Und er wendete eine weitere Strategie aus der Traumabewältigung an: Er ersetzte die schlechten Erinnerungen durch gute. „Der CityNacht-Lauf und der Berlin-Marathon 2015, das sind Erinnerungen, die ich nie vergessen werde“, sagte er am Freitag vor dem 38. Berliner Halbmarathon, bei dem er mit einer Bestzeit von 1:03:44 hinter Homiyu Tesfaye (1:01:20) und Stefan Koch (1:03:35) als dritter deutscher Favorit an den Start geht.

Es geht aufwärts

Pflieger scheint gestärkt aus der Krise hervorgegangen zu sein. Beim Crosslauf- Wettbewerb der deutschen Leichtathletik-Meisterschaften am 10. März gewann er die Langstrecke und den Mannschaftswettbewerb. Dabei ist die Quälerei über unebenes Gelände eigentlich nichts mehr für einen, der in der Leichtathletik schon als Senior gilt. „Cross ist mit 30 Jahren eine Hassliebe“, sagte Pflieger. „Ich habe es gerne gemacht, als ich 25 war.“ Dass er trotzdem doppelter Deutscher Meister wurde, zeigt, dass er sich quälen kann und vor allem, dass er immer noch Biss und Motivation besitzt. Die Lockerheit scheint ebenfalls wieder da zu sein.

Beim Halbmarathon in Barcelona kam er am Vorabend von einem Fotoshooting aus den USA zurück, zwölf Stunden nach dem Check-in klingelte um sechs Uhr morgens der Wecker. „Manchmal klappt es einfach, wenn man nicht zu viel darüber nachdenkt“, sagte Pflieger. Und wie es klappte: In Barcelona stellte er mit 1:03:44 eine neue persönliche Bestleistung auf. „Das hat mir gezeigt, dass das, was ich beim Berlin-Marathon zeigen wollte, eigentlich schon da ist.“ Aus dieser Erkenntnis schöpft er neuen Kampfgeist. Sollte am Sonntag jemand mit einem Tempo anlaufen, das auf die 29:30 Minuten für die ersten zehn Kilometer und damit auf eine Endzeit knapp über 60 Minuten hinausliefe – Philipp Pflieger wäre dabei.

Der Sieg aber wird wohl unter den Kenianern und damit deutlich unter einer Stunde ausgemacht werden. Favorit ist Vorjahressieger Gilbert Masai (Persönliche Bestleistung: 59:31 Minuten). Bei den Frauen kämpft die für Grün-Weiß Kassel startende Äthiopierin Keteja Melat gegen die Kenianerinnen Maryanne Wangari und Eunice Kioko. Die WM-Dritte über 3000 Meter Hindernis, Gesa-Felicitas Krause, wird mit Mitfavoritin Katharina Heinig ihren zweiten Versuch über die Halbmarathondistanz starten – bei ihrem ersten Versuch in Dubai musste sie entkräftet aufgeben. Es wird also ein Tag des Comebacks und der Hoffnung auf den Erfolg für die deutschen Athleten – und für die über 36 000 übrigen Läufer, die um 10.05 Uhr mit ihnen an den Start gehen.

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