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Neuer Berliner Jubel. Seit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs in der Bundesliga sind Vladimir Darida (l.) und Krzysztof Piatek mit Hertha BSC noch ungeschlagen.

© dpa

Nach zehn Punkten aus vier Bundesliga-Spielen: Hat Hertha BSC das Zeug für Europa?

Das passt zu einer irrwitzigen Saison: Hertha BSC verabschiedet sich aus dem Abstiegskampf und kann jetzt sogar auf die Europa League schielen.

Oben unterm Dach rumpelte es gewaltig, und das nicht zum ersten Mal. Olaf Janßen trampelte mit den Füßen auf der blechernen Abdeckung herum, dass es nur so scheppert. Der Co-Trainer von Hertha BSC hatte auf seinem Beobachterposten auf der Pressetribüne immer größere Mühe, die Haltung zu bewahren. Die zweite Halbzeit hatte kaum begonnen, da funkte er bereits seine Befürchtungen an die Seitenlinie. Und im weiteren Verlauf seine Sorgen nicht kleiner. Hertha BSC war drauf und dran, alles zu verspielen. „Der Tank war komplett leer“, sagte Trainer Bruno Labbadia.

Bis zum Ende mussten Labbadia und sein Team gegen den FC Augsburg zittern. Erst in der dritten Minute der Nachspielzeit machte der eingewechselte Krzysztof Piatek mit seinem Tor zum 2:0 (1:0)-Endstand im geisterleeren Olympiastadion alles klar – nachdem kurz zuvor Marco Richter auf der anderen Seite mit einem wuchtigen Distanzschuss die Latte getroffen hatte. „Es war eine gute Woche für uns“, sagte Herthas Torhüter Rune Jarstein.

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Es läuft für die Berliner. Seit sechs Spielen ist die Mannschaft in der Fußball-Bundesliga nun schon ungeschlagen. Entscheidend sind dabei vor allem die vier Begegnungen, seitdem der Spielbetrieb nach der Corona-Pause wieder läuft – und Labbadia als Cheftrainer die Verantwortung trägt. Zehn Punkte hat Hertha unter ihm geholt, dabei dreimal gewonnen und dreimal zu null gespielt.

Was für ein Unterschied zum Hinspiel gegen Augsburg, das die Berliner 0:4 verloren hatten. Anschließend beendete Hertha das Experiment mit dem unerfahrenen Cheftrainer Ante Covic, weil die Mannschaft nur noch aufgrund der besseren Tordifferenz vor den Abstiegsrängen lag. Mit dem Sieg am Samstag dürfte sich das mit dem Abstiegskampf endgültig erledigt haben.

Das Restprogramm hat es in sich

Labbadia hat immer gesagt, man könne sich neu orientieren, wenn man 40 Punkte habe. Jetzt sind es 38 – und damit nur noch vier bis zu Platz sechs. Dass Hertha nun gar Chancen auf die Qualifikation für die Europa League besitzt, passt zu dieser irrwitzigen Saison mit all ihren Turbulenzen.

„Ich bin so was von demütig und habe großen Respekt vor dem Abstiegskampf“, antwortete Labbadia auf die Frage, ob sich die Mannschaft nun neue Ziele setzen könne – oder müsse. Mit einer solchen Ausbeute habe niemand rechnen können, sagte er. Selbst mit der Hälfte, mit fünf Punkten also, wäre er bei seinem Amtsantritt zufrieden gewesen. „Jetzt schau’n mer mal“, sagte Labbadia. Und verwies gleich im nächsten Satz auf das unfassbar schwere Restprogramm, das für Hertha in den nächsten Wochen unter anderem noch Spiele gegen die Champions-League-Anwärter Dortmund, Leverkusen und Mönchengladbach bereithält.

Seine Spieler klangen da schon etwas forscher. „Es ist noch einiges möglich“, sagte Maximilian Mittelstädt. Unter der Woche, bei Rasenballsport Leipzig, hat die Mannschaft gezeigt, dass sie sich auch gegen die Großen der Liga zu wehren versteht. Und die zweite Halbzeit gegen Augsburg war ein Beleg, dass Hertha inzwischen auch in der Lage ist, Widerständen zu trotzen. „Wir mussten echt leiden“, sagte Labbadia. „Auch deshalb war es ein besonderer Sieg.“

Die personelle Situation wird langsam dramatisch

Oben auf der Tribüne spielte Co-Trainer Janßen mitten in dieser Leidenszeit mögliche Wechsel mit seinem Co-Trainer-Kollegen Eddy Sözer durch. Aber da war nicht mehr viel zu wechseln. Die personelle Situation hat in kurzer Zeit dramatische Formen angenommen, nachdem für das Spiel gegen Augsburg Matheus Cunha und Marvin Plattenhardt ausgefallen waren. Und zu Beginn der zweiten Hälfte musste sich vorsichtshalber auch noch Per Skjelbred auswechseln lassen, der schon in der Pause über Kniebeschwerden geklagt hatte.

So büßte Hertha mit schwindender Kraft mehr und mehr die Dominanz und schließlich die Kontrolle ein. Augsburg kam nach der Pause zu vier guten Möglichkeiten in einem Spiel, das die Gastgeber eigentlich schon vor der Pause für sich hätten entscheiden müssen. Für Augsburgs Trainer Heiko Herrlich war „das einzig Gute“ an der ersten Halbzeit, „dass wir nur 0:1 hinten lagen“.

Die Berliner hatten es versäumt, mehr aus der Vielzahl ihrer Chancen zu machen. Der einzige Treffer aber war zumindest hübsch anzusehen. „Das hat er genial gemacht“, sagte Labbadia über den Torschützen Javairo Dilrosun, der für Cunha in die Startelf gerückt war. Nach einem Abpraller widerstand Dilrosun der Versuchung, sofort aufs Tor zu schießen; stattdessen lupfte er den Ball erst noch über das Bein von Augsburgs Innenverteidiger Felix Uduokhai, verschaffte sich dadurch eine freie Schussbahn für sein erstes Tor seit dem siebten Spieltag.

Nach der Pause war Hertha nicht mehr so kompakt wie in der ersten Hälfte, als die Mannschaft dem FCA keine einzige Torchance gestattete. Die Beine waren schwer. Aber auch mit letzter Kraft hielt Hertha dagegen. „Was uns auszeichnet, ist: dass jeder für den anderen da ist“, sagte Maximilian Mittelstädt. „Wir sind ein Team geworden.“

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