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Der Vater des WM-Titels. Gerhard Mayer-Vorfelder war in seiner Zeit als DFB-Präsident nicht unumstritten. Inzwischen gilt es als unstrittig, dass er mit der Nachwuchsreform entscheidend zum Aufschwung des deutschen Fußballs beigetragen hat.

© p-a/dpa/Deckert

Nachruf Gerhard Mayer-Vorfelder: Der konservative Visionär

Gerhard Mayer-Vorfelder, der frühere Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), ist im Alter von 82 Jahren verstorben. Ein Nachruf.

Die letzte Begegnung war eher zufälliger Art. Etwas mehr als drei Jahre ist das jetzt her. Es war an einem heißen, schwülen Sommertag in der Altstadt von Lemberg, wo die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am Abend ihr EM-Vorrundenspiel gegen Dänemark bestreiten würde. Gerhard Mayer-Vorfelder war wie immer vorschriftsmäßig gekleidet. Trotz der Hitze trug er einen dunklen Dreiteiler, die obligatorische Krawatte dazu. Die Temperaturen machten ihm sichtlich zu schaffen. Mayer-Vorfelder hatte sich auf eine Bank gesetzt, deutsche Fans flanierten vorbei. „Ist das nicht der MV?“, fragten sie. „Herr Mayer-Vorfelder können wir ein Foto mit Ihnen machen?“ Mayer-Vorfelder lächelte, die Fans lächelten. Wer hätte das ein paar Jahre zuvor gedacht, als es in Deutschland kein Länderspiel gab, in dem die Fans – die deutschen wohlgemerkt – nicht „Vorfelder raus!“ gerufen hätten?

Gerhard Mayer-Vorfelder verkörperte gewissermaßen das verhasste Funktionärswesen. Er war ebenso streitbar wie umstritten – doch nicht erst seit seinem Abschied von allen Ämtern hat sich sein Bild deutlich zum Positiven gewandelt. Ohne ihn, das ist inzwischen die zu Recht herrschende Meinung, wäre der deutsche Fußball heute nicht da, wo er vor einem Jahr mit dem WM-Titel von Rio angekommen ist. In der Öffentlichkeit war der Ehrenpräsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) aus gesundheitlichen Gründen schon länger nicht mehr präsent. Am Montag ist Gerhard Mayer-Vorfelder im Alter von 82 Jahren in einem Stuttgarter Krankenhaus an Herzversagen verstorben.

Mayer-Vorfelder hat dem deutschen Fußball den Weg gewiesen

Gerade Mayer-Vorfelder, den viele immer schon für einen Mann von gestern gehalten haben, hat dem deutschen Fußball mit zwei Entscheidungen den Weg in die Zukunft gewiesen. Im Sommer 2004 machte er Jürgen Klinsmann zum neuen Bundestrainer, und schon vier Jahre zuvor hatte er eine Reform der Nachwuchsausbildung initiiert, von der die Nationalmannschaft bis heute profitiert. Kurz vor seiner Wahl zum DFB-Präsidenten im April 2001 hatte Mayer-Vorfelder gesagt, niemand dürfe dem Verband später einmal den Vorwurf machen können, er habe nicht das getan, was notwendig sei. „Wir werden auch finanziell bis an die Schmerzgrenze gehen“, verkündete er.

Die Ämter und Funktionen, die in Mayer-Vorfelders Biografie verzeichnet sind, hätten im Grunde für eine komplette Fußball-Mannschaft gereicht. Der Einser-Jurist war Oberleutnant der Reserve, Staatssekretär in Baden-Württemberg, schließlich Kultus- und Finanzminister. Auf die Frage, wo er in der CDU zu verorten sei, hat Mayer-Vorfelder einmal geantwortet: „Auf jeden Fall nicht links.“ Als Kultusminister forderte er mehr Ordnung, Disziplin und Fleiß; die Schüler sollten im Unterricht die Nationalhymne singen, inklusive der ersten Strophe („Deutschland, Deutschland über alles“).

Die Ämter und Funktionen von MV hätten für eine komplette Fußball-Mannschaft gereicht

Mayer-Vorfelders Funktionärslaufbahn im Fußball begann Ende der Sechziger, als der gebürtige Mannheimer in den Vorstand des Württembergischen Verbandes gewählt wurde. 1975 wurde er Präsident des VfB Stuttgart – und blieb es ein Vierteljahrhundert lang. Von 1986 bis 2000 führte er den DFB-Ligaausschuss, dazu vertrat er den deutschen Fußball in den Exekutivkomitees von Fifa und Uefa, war erst Präsidiumsmitglied des DFB, schließlich Vizepräsident und ab 2001 Präsident des Verbandes. Da war Mayer-Vorfelder schon 68 Jahre alt.

„Mit Gerhard Mayer-Vorfelder geht eine prägende Figur des deutschen Fußballs. Ich habe ihn in all den Jahren immer als gradlinigen, entschlossenen und kompetenten Menschen kennen gelernt“, würdigte ihn der aktuelle DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. Die Erfolge der Nationalmannschaft mit dem Gewinn des WM-Titels 2014 gingen auf richtungsweisende Weichenstellungen Mayer-Vorfelders zurück.

Dabei war Mayer-Vorfelder nur drei Jahre (2001 bis 2004) alleiniger DFB-Präsident; nach dem Vorrundenaus der Nationalmannschaft bei der EM 2004 und der lange erfolglosen Suche nach einem Nachfolger für Teamchef Rudi Völler formierte sich unter den Amateurvertretern massiver Widerstand. Doch auch diese Revolte überstand er halbwegs unbeschadet. Er blieb bis 2006 im Amt, wenn auch in einer Doppelspitze mit dem gleichberechtigten Co-Präsidenten Theo Zwanziger.

Mit Kritik an seiner Person hatte Mayer-Vorfelder da längst zu leben gelernt. „Wo gefeuert wird, da stell’ ich mich“, sagte er. Er scheute keine Konfrontation. Im Gegenteil: Mit großer Lust stürzte er sich in die Auseinandersetzung, gerade mit politischen Gegnern. „Querdenker sind manchmal auch Dummschwätzer“, sagte er. Zu seinen bewährten Strategien gehörte aber auch, in stürmischen Zeiten auf Tauchstation zu gehen, bis die Welle an ihm vorbeigerollt war. Das tat er in vielen Affären, mit denen er in Verbindung gebracht wurde.

In Mayer-Vorfelders Amtszeit häuft der VfB Stuttgart 30 Millionen Euro Schulden an

In seiner Zeit als Finanzminister erwarb sich Mayer-Vorfelder den Ruf eines kompromisslosen Sparkommissars, der sich gegen den Länderfinanzausgleich positionierte. Als er jedoch im Jahr 2000, nicht ganz freiwillig, seinen Posten als VfB-Präsident räumen musste, hatte der Klub umgerechnet 30 Millionen Euro Schulden angehäuft. Trotz zweier Meisterschaften und eines Pokalsieges in seiner Amtszeit warfen ihm seine Kritiker einen Führungsstil nach Gutsherrenart vor. Er traf einsame Entscheidungen, feuerte Trainer, die ihm nicht mehr genehm waren, oder verlängerte eigenmächtig die Verträge von Spielern, wenn er das für richtig hielt.

Doch so, wie er austeilen konnte, so konnte Mayer-Vorfelder auch einstecken – in vielerlei Hinsicht. Einer seiner Fahrer hat einmal erzählt, dass er ihn morgens um fünf nach einer heftigen Präsidiumssitzung beim VfB zu Hause abgeliefert habe. „Und als ich ihn um acht Uhr wieder holen sollte, stand er auf dem Gerüst an seinem Haus und diskutierte mit einer Flasche Bier in der Hand mit den Bauarbeitern schon wieder über Fußball.“

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