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Sport: Nächstes Jahr kommen sie wieder Auch bei der EM 2008 drohen Krawalle

Berlin - Als die Fans am Abend aus dem Stadion strömten, eskalierte die Gewalt. Die Schläger liefen auf die Polizeisperre zu, wollten sie überrennen, doch sie kamen nicht weit: Gummischrot aus den Polizei-Gewehren pfiff ihnen um die Ohren.

Berlin - Als die Fans am Abend aus dem Stadion strömten, eskalierte die Gewalt. Die Schläger liefen auf die Polizeisperre zu, wollten sie überrennen, doch sie kamen nicht weit: Gummischrot aus den Polizei-Gewehren pfiff ihnen um die Ohren. „Ach, da knallt’s permanent“, sagt Fanforscher Gunter A. Pilz in routinierter Tonlage. „Randale gibt’s fast jedes Wochenende – in der Schweiz.“

Die Schüsse fielen nach dem Erstligaspiel zwischen Basel und den Young Boys aus Bern. Und am Tag zuvor hatten Wasserwerfer die Fans von Luzern und St. Gallen trennen müssen, die aufeinander eindroschen. Drei Wochen ist das gerade einmal her.

Nach den Kollektiv-Krawallen in Italien kann ein Blick in die Austragungsländer der Fußball-EM 2008 nicht schaden. Denn Italien ist von der Schweiz und Österreich nicht weit entfernt. Werden im nächsten Jahr also die gewalttätigen Ultras in die Alpenländer reisen – und lockt das auch die deutsche Ultra-Szene an? Pilz, der Fans in Europa seit vielen Jahrzehnten beobachtet, sagt: „Vergleichen wir nicht Äpfel mit Birnen.“

Italien, die EM-Länder Schweiz und Österreich, Deutschland, aber vor allem auch Frankreich haben große Ultra-Szenen in ihren Ligen. Und doch unterscheiden sie sich: Während die Deutschen und Österreicher als friedlich gelten, verhalten sich Gruppen in Frankreich – „vor allem junge Männer aus Ghettos bei Paris und Marseille“ – sowie in Italien „radikaler und sind oft politisch motiviert“, sagt Pilz. In einem Punkt aber sind sie vereint: „Sie sind keine Länderspielfahrer und werden auch nicht zur EM reisen.“

Der Ultra-Gedanke, das lautstark-koordinierte Engagement in den Kurven, die Organisation von gigantischen Choreographien und das Drucken eigener Shirts, hat seine Ursprünge in den Sechzigerjahren in Italien. „Ultras stammen aus dem linken 68er-Milieu“, sagt Pilz, „sie waren immer gegen den Staat, gegen den Kommerz.“ In den vergangenen Jahrzehnten drifteten viele in die rechtsextreme Ecke ab, geblieben ist der gemeinsame Feind, der in Italien einen weniger respektierten Stellenwert hat als in Deutschland: die Polizei.

Und doch entwickelt sich auch in Deutschland eine merkwürdige Szene mit Fans, die von Forschern wie Pilz „Hooltras“ genannt werden – zusammengesetzt aus dem Wort Hooligan, denen der Verein relativ egal ist, und Ultras, die nur ihren Klub mit bedingungsloser Leidenschaft unterstützen (und eben nicht ihre Nationalmannschaft bei der EM).

Zu sehen waren jene „Hooltras“ bei den Krawallen in Leipzig oder Dresden: junge Männer in Kapuzenpullovern, bunten Turnschuhen, Marken-Käppis – sie sehen aus wie Sprüher, Skater, Studenten. „Das Milieu der Ultras ähnelt dem des Hip-Hop“, sagt Pilz. „Die Kleidung hat nicht nur eine modische Botschaft, sondern eine Funktion: Die Leute müssen rennen und sich vermummen können.“ Pilz beobachtet einen „Eventcharakter wie bei Castor-Transporten, beim 1. Mai oder auch in Heiligendamm“.

Vor dem Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft im Februar in Wien haben die Fahnder eine merkwürdige Spannung festgestellt. Von einem „Testspiel“ ist die Rede; für die Szene und für die Polizei. Sie wissen: Österreich und die Schweiz liegen zentral im alten Europa, die Reisewege sind kurz, die Grenzen offen. Vor einem guten halben Jahr erst hat sich die österreichische Szene auf einer Wiese bei Kufstein mit der alten „Service-Crew“ geprügelt, berichten Fahnder. So nennt sich die gestandene Hooligan-Allianz von Bayern München und dem TSV 1860 München. Die Schweizer Schläger toben sich gerade überraschend oft aus, im Vergleich dazu gelten die bei Länderspielen normalerweise friedlichen Italiener als das geringere Übel.

André Görke

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