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Nationalmannschaft: 23 Sieger sollt ihr sein

Bundestrainer Joachim Löw hat den Kader für die EM nominiert. Welche Chancen hat die deutsche Mannschaft, den Titel zu holen?

Christoph Metzelder hat kürzlich gesagt, dass man sich in Deutschland gar nicht darüber bewusst sei, welcher Respekt im Ausland der deutschen Fußball-Nationalmannschaft entgegengebracht werde. Der Innenverteidiger steht bei Real Madrid unter Vertrag, und in Spanien erlebt er, dass Deutschland dort zu den Favoriten für den Europameistertitel zählt. Der Favoriten gibt es bei dieser EM allerdings viele. Bei Weltmeisterschaften stellt Europa 13 der 32 Teilnehmer, und diese 13 gehören dort zu den stärkeren Mannschaften. Bei der EM starten 16 Teams, und anders als bei einer WM fällt keine der Mannschaften im Vergleich zu den anderen deutlich ab. So hat Deutschland, das es 2002 bis ins Finale der WM und 2006 bis ins Halbfinale schaffte, seit dem Sieg im Endspiel 1996 kein einziges Spiel mehr bei einer Europameisterschaft gewonnen.

Vor vier Jahren holte überraschend Griechenland den EM-Titel. Und dieses Mal rechnet sich selbst Rumänien, das in der nominell stärksten Gruppe mit Italien, Frankreich und den Niederlanden spielt, Chancen aus. Wenn man nur nach der individuellen Qualität der einzelnen Spieler geht, ist eigentlich Spanien der EM-Favorit, doch bei einem solchen Turnier gewinnt die beste – und manchmal auch die glücklichste – Gemeinschaft. Nicht nur in Spanien ist der Respekt vor den Deutschen deshalb so groß, weil sie eine gut funktionierende Mannschaft besitzen. Bundestrainer Joachim Löw und seine Mitarbeiter sind bei der Spiel- und Spielerbeobachtung akribisch, nutzen die modernsten Computermethoden und haben sich seit der WM zwanzigmal zu Klausuren getroffen, um diese Ergebnisse und ihre persönlichen Spielbeobachtungen auszuwerten. Jahrhunderte entfernt scheint da die Zeit zu sein, in der die Nationalmannschaft auch nach Vereinsproporz und Meinung des Boulevards aufgestellt wurde.Über eine Infrastruktur, wie sie das deutsche Trainerteam mittlerweile aufgebaut hat, verfügt nicht jeder EM-Teilnehmer.

Dass Spieler mit besonderen, wenn auch insgesamt limitierten Fähigkeiten in bestimmten Situationen wertvoll sein können, hat der verkappte Leichtathlet David Odonkor bei der WM 2006 gezeigt. Er ist auch dieses Mal im vorläufigen Kader dabei, ebenso wie der oft dribbelnde Piotr Trochowski und der unerfahrene Marko Marin, bei dem Löw gleich mehrfach betonte, dass dieser etwas „Besonderes“ habe: die Fähigkeit, sich in Eins-zu-eins-Situationen durchzusetzen. Diese Berufungen passen zur konsequenten Fortführung der Philosophie, die Löw und Jürgen Klinsmann vor der WM 2006 eingeführt haben. Es ist die Philosophie des attraktiven, offensiven Spiels.

Der Kern der Mannschaft steht. 15 der am Freitag nominierten 26 Spieler – von denen drei noch aus dem Kader ausscheiden werden – waren auch bei der WM dabei. Von einem Umbruch kann also keine Rede sein, sehr wohl aber von einer forcierten Spezialisierung. Der deutsche Kader soll je nach Spielsituation möglichst viele Handlungsoptionen bieten. Daher werden zu viele Spieler mit ähnlichen Stärken nicht benötigt, selbst wenn sie vielleicht bessere Fußballer sind als manch Nominierter. Das ist das Konzept von Joachim Löw – zumindest dort, wo er es sich erlauben kann, also im Mittelfeld und im Angriff.

Der lange verletzte Verteidiger Christoph Metzelder hat am vergangenen Wochenende sein erstes Spiel in diesem Jahr bestritten, sein Name wurde bei der Präsentation der Abwehrspieler indes als Erster aufgerufen. Metzelder ist oft verletzt, war bei den großen Turnieren aber trotzdem immer zuverlässig einsetzbar. Dennoch fehlten Löw hier die Alternativen für den Bereich, in dem vor der EM vielleicht am meisten gearbeitet werden muss. Wie alle Mannschaften, die über die geeigneten Spieler verfügen, will Deutschland in der Offensive blitzschnell mit steilen Pässen spielen. Doch wenn das der Gegner macht, hat die deutsche Abwehr inklusive Metzelder genau damit manchmal so ihre Probleme.

Diese Schwäche ist durchaus ein Argument, um Deutschland nicht zum größten der vielen Favoriten zu machen. Und auch die anderen lernen dazu: Otto Rehhagel, der Trainer von Titelverteidiger Griechenland, hat an seinen teilweise in die Jahre gekommenen Lieblingsspielern trotz heftiger Kritik immer festgehalten. Gestern nominierte er völlig überraschend das 18-jährige Toptalent Sotirios Ninis für seinen vorläufigen Kader.

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