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Ausgleichssport.

© dpa

Nationalmannschaft: Billard statt Bier

Einst mussten deutsche Fußball-Nationalspieler aus den Trainingslagern ausbüxen, um Abwechslung zu finden. Inzwischen werden sie im nationalen Auftrag bespaßt.

Fußballer verhalten sich gern wie ein Mob aufgekratzter Jugendlicher auf Klassenfahrt. Vor allem in Trainingslagern, die derart öde und einengend sind, dass irgendwann nur ein Gedanke bleibt: Raus hier! Und so haben sich hübsche Anekdoten angesammelt von Fußballern, die durch die Hotellobby schwankten (das WM-Quartier ’82 am Schluchsee wurde nicht ohne Grund „Schlucksee“ genannt) oder nächtens die Nähe zum anderen Geschlecht suchten. So wird dem Fußballer Franz B. eine Episode nachgesagt, nach der er im WM-Quartier 1974 in Malente die hübsche Sängerin und Schauspielerin Heidi Brühl besuchte, um anschließend wieder heimlich in sein Zimmerchen zurückzuklettern.

War früher „der Ausflug ins Legoland der Höhepunkt“ (Breitner) im WM-Freizeitprogramm, scheitern die Ausbüchsversuche in Südafrika schon daran, dass es hinterm drei Meter hohen Hotelzaun des deutschen WM-Quartiers an der Main Road 26 nicht mehr gibt als Gestrüpp und Steppe. Dagegen sind die Rieselfelder im Berliner Stadtteil Gatow ein wahrer Vergnügungspark. Zwar sagt Bastian Schweinsteiger, es sei bei so einer WM wichtig, „dass wir gut Fußball spielen und nicht, ob das Hotel ’ne Lampe mehr hat“. In der spielfreien Zeit aber müssen die Fußballer – die ja bis zu acht Wochen ohne ihre Familien zusammenwohnen – in ihrem Quartier bespaßt werden, damit kein Lagerkoller aufkommt. Nicht in der Vorbereitung in Südtirol und erst recht nicht in Südafrika. Schließlich könnten sie hier, südwestlich von Pretoria, nicht mal einfach so das Hotel verlassen und Kaffee trinken gehen wie 2006 im Kiez ihres WM-Hotels im idyllischen Grunewald. Für derartige Ausflüge ist es zu unsicher. Und zu kalt und dunkel. In der Nacht zu Dienstag sanken die Temperaturen in der hügeligen Region auf den Gefrierpunkt, ab 17.30 Uhr ist es duster.

Eine Berliner Firma hat deshalb vor einigen Wochen einen Container per Schiff nach Südafrika geschickt. Sie ist quasi als Spaßmacher im nationalen Auftrag engagiert worden. Das Unternehmen Bally Wulff hat Spielsachen für die Fußballer geschickt „im Wert von rund 100 000 Euro“, wie es in der Firmenzentrale am Maybachufer in Neukölln heißt. Die Ladung für das WM-Hotel umfasst exakt 26 Geräte, darunter befinden sich Tischtennisplatten („zwei für drinnen und zwei für draußen“), Billardtische, auch zwei elektronische Automaten, die mit fast 130 Spielen bestückt sind und einfach per Finger am Bildschirm bedient werden. Aber, keine Sorge: „Killerspiele sind nicht dabei.“

Eine Playstation und ein Set Canasta hätten viele Spieler ja sowieso im Gepäck, sagt Bernhard Eber, 60, der schon sein halbes Leben für das Neuköllner Unternehmen arbeitet. „Wir bieten ihnen Spiele für den Kopf an und Spiele zum Bewegen, wiederum andere fürs Gruppengefühl“. Es ist ja so: Werde im WM-Quartier an der Tischtennisplatte eine Runde Rundlauf gespielt – Philipp Lahm und Arne Friedrich gelten auch in dieser Sportart als richtig gute Spieler –, schauten andere Kollegen zu. „Da wird geklatscht und gescherzt, das schweißt zusammen“, sagt Eber.

Höhepunkt – und mit mehr als 2000 Euro auch ziemlich teuer – aber sei ein anderes Spiel, das im WM-Container steckte, erzählt Eber: Air-Hockey. Düsen im Spieltisch pusten den Puck hoch und halten ihn in der Luft, für die Spieler sei es eine ziemlich knifflige Angelegenheit, den Puck ins Tor zu bugsieren. Für Einzelgänger, wie es Torhüter schon mal sein sollen, gebe es aber auch einen automatischen Pokertisch, „da können die Spieler alleine am Bildschirm zocken, nachdenken, abschalten“. Oder am Computerlehrgang des Deutschen Fußball-Bundes teilnehmen, der den Spielern ebenfalls angeboten werden soll im Hotel Velmore. Nur Gokarts sind nicht im Container zu finden, aber die nächste Rennstrecke ist nur drei Kilometer vom Hotel entfernt, einfach die M 26 runter.

Schon bei den Olympischen Winterspielen 1984 in Sarajevo stellte das Unternehmen – mit 250 Mitarbeitern noch immer ein sehr großes in der Branche – viele Sportgeräte den Athleten zur Verfügung. Geräte wie ein Flipperautomat sind mittlerweile aber aus der Mode, auch in den Kneipen, sagt Eber. „Der Kickertisch aber bleibt dagegen ein echter Klassiker.“ Zwei Stück haben sie nun mit ins Hotel Velmore im Südwesten Pretorias geschickt. Die Figürchen haben sie nicht extra in den Trikotfarben zweier Nationen angemalt, denn wer will schon als Nationalspieler gegen die Männchen in den schwarz-weißen DFB-Trikots sein? Und wer will freiwillig an den Figuren mit den Hemden in Orange drehen?

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