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© ddp

Nationalmannschaft: Der Gegner aus dem eigenen Verein

Marcell Jansen macht seinem Hamburger Teamkollegen Piotr Trochowski den Platz in der Nationalmannschaft streitig.

Jeder Mensch pflegt seine kleinen Rituale, auch Marcell Jansen und Joachim Löw. Immer wenn sich zuletzt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zu Länderspielen traf, hat Jansen mit dem Bundestrainer telefoniert. Für den Hamburger war das eine schöne Gewohnheit, weil sie ihm gezeigt hat, „dass ich nicht wirklich ganz weg war“. Dieser Eindruck hatte sich zuletzt aufgedrängt. Nach der Europameisterschaft im vorigen Sommer war Jansen nur noch zu einem Kurzeinsatz gekommen, erst am Samstag, beim 4:0 gegen Liechtenstein, stand er erstmals wieder in der Anfangself. Der Hamburger machte ein gutes Spiel: Er schoss das 2:0, leitete einige Chancen ein und setzte einen Kopfball an die Latte. Dass er schon nach einer Stunde ausgewechselt wurde, hat Jansen daher als gutes Zeichen gedeutet: „Der Trainer hat mich rausgenommen, damit ich für Mittwoch Kräfte schonen kann.“

Dass der 23-Jährige gegen Wales erneut im linken Mittelfeld spielt, ist ebenso wahrscheinlich wie unwahrscheinlich. „Die Notwendigkeit, die Mannschaft zu verändern, ist nicht unbedingt gegeben“, sagt Löw. Es sei denn, der Schnupfen, den sich Jansen eingefangen hat, verschlimmert sich noch. Als Vorsichtsmaßnahme fehlte er gestern beim Abschlusstraining in Cardiff. Ob er spielen kann, entscheidet sich heute bei einem Belastungstest.

Wenn ja, warum sollte Löw Jansen nach dessen Auftritt am Samstag aus der Mannschaft nehmen? Andererseits gibt es auch keinen Grund, Piotr Trochowski nicht spielen zu lassen. Jansens Teamkollege beim HSV, die eigentliche Stammkraft im linken Mittelfeld, ist wieder fit. „Er hat auf dieser Position im letzten halben Jahr gute Leistungen gezeigt“, sagt Löw. Nun aber ist Trochowski ein Konkurrent aus dem eigenen Verein erwachsen. Eine knifflige Situation. „Wir reden nicht darüber“, sagt Trochowski. „Wenn man für die Nationalmannschaft spielt, muss man sich der Konkurrenz stellen.“

Jansen und Trochowski streiten in der Nationalelf zwar um dieselbe Position, sie unterscheiden sich aber erheblich in deren Ausgestaltung. „Ich bin kein kleiner, wuseliger Spieler“, sagt Jansen, „spiele eher geradliniger.“ Vielleicht aber braucht Löw gegen die physischen Waliser einen kleinteiligen Spieler wie Trochowski, der mit einer Aktion den Stau auflösen kann. „Es gibt die Überlegung, das eine oder andere personell anders anzugehen“, sagt der Bundestrainer.

Im Sommer, bei der EM, sind sich Jansen und Trochowski noch nicht in die Quere gekommen: Jansen spielte in der Viererkette, Trochowski saß auf der Bank. Beide waren die Verlierer der EM. Trochowski spielte im ganzen Turnier keine einzige Minute, Jansen verlor nach einer schwachen ersten Halbzeit im Gruppenspiel gegen Kroatien seinen Stammplatz. Er galt als Alleinschuldiger am Defensivchaos – in Wirklichkeit musste er als Sündenbock für die allgemeinen Verfehlungen büßen. „Ich war das letzte Glied in einer Fehlerkette“, sagt er.

Wenn Jansen darüber redet, ist noch immer so etwas wie Verbitterung zu hören. Er sei nur auf seine Probleme in der Defensive reduziert worden; dass er aber im Finale nach seiner Einwechslung zur Pause einer lethargischen deutschen Mannschaft wenigstens etwas Schwung einhauchte, wurde großzügigst ignoriert. „Da fragt man sich: Warum?“

Marcell Jansen profitiert ohne Zweifel von seiner offensiveren Position – so wie er auch von seinem Wechsel zum HSV profitiert hat. „Es war die richtige Entscheidung“, sagt er. Im August flüchtete Jansen quasi in letzter Minute aus München und vor Jürgen Klinsmann. „Das Gesamtbild von beiden Seiten hat nicht mehr gepasst“, sagt er. Eine diplomatische Umschreibung dafür, dass Jansen das Vertrauen seines Trainers vermisst hat. Vor kurzem hat er erzählt, dass Klinsmann mit allen jüngeren Spielern Einzelgespräche geführt habe – nur mit ihm nicht.

Beim HSV genießt Jansen eine ganz andere Wertschätzung. „Marcell ist einer unserer besten Spieler, ich finde sogar, einer der besten in der ganzen Liga“, sagt Trainer Martin Jol. „Ich bin nicht nur zufrieden, ich bin beeindruckt.“ Gut neun Millionen Euro hat sich der HSV die Verpflichtung Jansens kosten lassen; er ist damit der teuerste Einkauf, den der HSV je getätigt hat – und langsam macht sich die Investition bezahlt: Jansen ist derzeit einer der auffälligsten Spieler der Bundesliga.

Das liegt auch daran, dass er auf seiner neuen Position stärker glänzen kann. „Ich stehe mehr im Fokus“, sagt er. Den Wettstreit mit seinem Kollegen Trochowski um den Platz in der Nationalmannschaft nimmt Jansen nicht persönlich. „Ich sehe das rein sportlich“, sagt er. Im Grunde muss er sogar froh sein. Als Linksverteidiger hieß sein Konkurrent Philipp Lahm – und an dem ist Marcell Jansen schon bei den Bayern nicht vorbeigekommen.

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