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Grübeln unter der Erde. Joachim Löw und sein Team fuhren am Dienstag mit der Londoner U-Bahn - dank eines PR-Termins zum 150. Geburtstag des englischen Fußballverbands und der Londoner U-Bahn.

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Nationalmannschaft: Joachim Löws unendliche Suche nach der Startelf

Der Bundestrainer muss im Spiel gegen England schon wieder improvisieren. Ähnliches droht ihm auch bei der WM. Denn viele Möglichkeiten bleiben ihm nicht mehr, seine Formation für das Turnier in Brasilien zu finden.

Joachim Löw hat sich in den vergangenen Jahren den Ruf erworben, ein ziemlich cooler Hund zu sein, der auf jede Herausforderung eine passende Antwort findet. Am Montagmittag war das ausnahmsweise mal nicht der Fall. Die Frage nach den Menschenrechtsverletzungen auf den WM-Baustellen in Katar erwischte den Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auf dem falschen Fuß. Einen Tag vor dem Testländerspiel gegen England im Londoner Wembleystadion blieb Löw mangels profunder Sachkenntnis eine Antwort schuldig.

Vielleicht wünscht sich Löw diese Möglichkeit manchmal auch in seiner täglichen Arbeit: sich einfach mal nicht festlegen zu müssen. Andererseits ist das eben die tägliche Arbeit eines Trainers: Entscheidungen zu treffen. Wer steht gegen England im Tor? Welche Torhüter sollen mit zur WM nach Brasilien? Wer ersetzt in London den verletzten Sami Khedira? Wird Philipp Lahm jetzt auch bei der Nationalmannschaft dauerhaft im defensiven Mittelfeld spielen? Fühlt sich Borussia Dortmund wieder böse benachteiligt, wenn gegen England fünf BVB-Spieler in der Startelf stehen?

Nationalelf on Tour. Die Fahrgäste der Tube durften sich am Dienstagvormittag über prominente Begleitung freuen - dank eines PR-Termins zum 150. Geburtstag des englischen Fußballverbands und der Londoner U-Bahn.
Nationalelf on Tour. Die Fahrgäste der Tube durften sich am Dienstagvormittag über prominente Begleitung freuen - dank eines PR-Termins zum 150. Geburtstag des englischen Fußballverbands und der Londoner U-Bahn.

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Das Schöne aus Löws Sicht ist, dass er viele dieser Entscheidungen noch nicht jetzt treffen muss, sondern erst im Mai. Dass heute in London Torhüter Roman Weidenfeller sein Debüt für die Nationalmannschaft gibt, ist noch lange nicht als Festlegung für die WM im Sommer zu verstehen. Dass sein Dortmunder Vereinskollege Sven Bender in Wembley die Rolle von Sami Khedira übernimmt, noch viel weniger. Eine solche weitreichende Entscheidung kann der Bundestrainer nicht über Nacht treffen.

Die Nachricht von Khediras Kreuzbandriss hat Löw und die Nationalmannschaft schwer getroffen. „Das war für uns ein richtiger Genickschlag“, sagt er. „Natürlich wird darüber immer noch gesprochen.“ Völlig abschreiben will Löw die Hoffnung nicht, dass Khediras Genesung schneller voranschreitet, als es allgemein veranschlagt wird. „Wenn’s einer schaffen kann, dann Sami Khedira“, sagt er. Wenn nicht? Wird die Nationalmannschaft in Brasilien trotzdem elf Spieler aufbieten.

Viererkette im Abteil. Marcel Schmelzer, Per Mertesacker, René Adler und Mats Hummels (von links) im Berufsverkehr - dank eines PR-Termins zum 150. Geburtstag des englischen Fußballverbands und der Londoner U-Bahn.
Viererkette im Abteil. Marcel Schmelzer, Per Mertesacker, René Adler und Mats Hummels (von links) im Berufsverkehr - dank eines PR-Termins zum 150. Geburtstag des englischen Fußballverbands und der Londoner U-Bahn.

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„Wir nehmen’s so, wie es kommt“, sagt Löw bei der Pressekonferenz in London – als er danach gefragt wird, ob er die Setzliste für die WM-Auslosung am 6. Dezember eigentlich für gerecht halte. Der Bundestrainer hat es noch nie gemocht, sich länger mit Dingen aufzuhalten, die er ohnehin nicht beeinflussen kann. Schon vor der WM 2010 fiel seine ostentative Gelassenheit auf, als sich kurz vor dem Turnier Kapitän Michael Ballack verletzt abmeldete. Die Nation war wegen seines Ausfalls in Aufruhr, die ARD sendete einen Brennpunkt – da fahndete Löw längst nach einer Lösung für das Problem.

Nicht mal mehr sieben Monate sind es, bis die Weltmeisterschaft in Brasilien beginnt, doch wie die deutsche Mannschaft dann aussehen wird, ist im Moment ungewisser denn je. Sechs potenzielle Stammspieler sind aktuell verletzt: Holger Badstuber, der mit seinem zweiten Kreuzbandriss innerhalb eines Jahres definitiv für die WM ausfallen wird, Sami Khedira, bei dem es sehr wahrscheinlich ist, dass er das Turnier verpasst, Bastian Schweinsteiger (Operation am Sprunggelenk), Ilkay Gündogan (Rückenbeschwerden) sowie die beiden Stürmer Miroslav Klose (Schulterband) und Mario Gomez (Knie). Gomez steht beim AC Florenz immerhin kurz vor der Rückkehr ins Mannschaftstraining, und bei Klose hat der Bundestrainer die Fehlzeit mit drei Wochen veranschlagt; allerdings ist der 35-Jährige auch davor schon mehrere Wochen ausgefallen. „Ein halbes Jahr oder fünf Monate durchzuziehen vor der WM, das ist für mich die Grenze, dann reicht es allemal“, sagt Löw.

Sami Khedira wird das nicht schaffen, egal wie stark sein Wille und wie gut sein Heilfleisch ist. Viele Möglichkeiten, Alternativen zu testen, bleiben dem Bundestrainer nicht mehr. Im März spielt die Nationalmannschaft gegen Chile, Mitte Mai, unmittelbar nach Ende der Bundesligasaison, gibt es noch ein Benefizspiel gegen Polen. Danach muss Löw bereits seinen WM-Kader benennen. Auch deshalb will er das Spiel gegen England, bei aller Rivalität, zu vergleichsweise intensiven Experimenten nutzen. Dass der Bundestrainer Führungsspieler wie Manuel Neuer, Philipp Lahm und Mesut Özil nach dem Italienspiel nach Hause geschickt hat, ist von einigen englischen Zeitungen als Ausdruck mangelnden Respekts für den Gastgeber aufgefasst worden. Löw widerspricht diesem Eindruck auf das Entschiedenste. „Ich habe nicht das Gefühl, dass eine B-Mannschaft spielt.“

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