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Unter Zugzwang. Toni Kroos und das deutsche Team müssen am Sonntag gegen Mexiko liefern.

© dpa

Nationalmannschaft: Toni Kroos: Alles mit der Ruhe

Der Mittelfeldstratege von Real Madrid hat sich zu einer Führungsperson entwickelt - und stellt sich als solche schützend vor sein Team.

Es waren wirklich beängstigende Nachrichten, die seit der Ankunft der deutschen Nationalmannschaft in Watutinki an die Öffentlichkeit drangen. Wenn man die Zeichen richtig deutet, steht es nicht gut um den Weltmeister, der am Sonntag in Moskau in das Unternehmen Titelverteidigung startet. Die Trainingsbedingungen: unter aller Sau. Die Unterbringung: alles andere als standesgemäß. Sogar Bundestrainer Joachim Löw hat vom Charme einer Sportschule gesprochen, den das aktuelle Quartier verströmt. Das ist nicht das, was die hochbezahlten Nationalspieler gewohnt sind. Dazu der Trainingsplatz des russischen Erstligisten ZSKA Moskau – in hohem Maße gesundheitsgefährdend! Die erste Trainingseinheit mussten Julian Draxler und Sami Khedira vorzeitig beenden.

Kroos hält nichts von Alarmstimmung

So ist das, wenn ein großes Turnier beginnt. Es braucht nicht viel, um die Medien in Alarmstimmung zu versetzen. Ein querliegender Grashalm auf dem Trainingsplatz wird zum nationalen Notfall hochgejazzt. Man muss solche Meldungen im Anlauf auf eine WM-Endrunde nicht allzu ernst nehmen. Oder man kann Toni Kroos zur täglichen Pressekonferenz schicken, so wie der Deutsche Fußball-Bund das am Donnerstag getan hat. „Es gibt nichts zu meckern“, sagt der Mittelfeldspieler von Real Madrid, der bei solchen Gelegenheiten anders als einige seiner Kollegen über einen ähnlichen Ruhepuls – irgendwas unter 50 – verfügt wie auf dem Platz, wenn vier heißblütige Mexikaner auf ihn zustürmen.

Das mit der Sportschule zum Beispiel: „Wir sind ja hier, um Sport zu machen“, sagt Kroos. Es gebe zwei, drei Möglichkeiten, sich die freie Zeit zu vertreiben, das sei absolut okay. Dass in der Unterkunft namens „Gesundheitsfördernde Einrichtung Watutinki“ auch nach dem Einzug des Weltmeisters noch gewerkelt wird, findet Kroos nicht nervig. „Das ist normal“, sagt er. Okay, Thomas Schneider, der CoTrainer, habe am ersten Tag kein fließendes Wasser gehabt. „Ich hatte“, sagt Toni Kroos. „Von daher ist alles gut.“ Dass der 28-Jährige besonders filigran mit dem Ball umgeht, dass er Pässe von feinmechanischer Präzision spielt – das alles ist bekannt. Inzwischen aber wächst er bei der Nationalmannschaft auch mehr und mehr in die Rolle des Außenministers hinein, der das große Ganze kommentieren darf.

Toni Kroos lässt eben das Schwere leicht aussehen. „Einen Pass von ihm kann man hören“, sagt Stefan Reinartz über seinen früheren Leverkusener Mitspieler. So wie Kroos mit wohltuend simplen Pässen die gegnerische Mannschaft komplett aus dem Konzept bringen kann, so kontert er am Donnerstag die aufkommende Hysterie rund um die Nationalmannschaft auf denkbar simple Art. Kroos ist kein plumper Beschöniger. Das zeigt er, als er zu Mesut Özil und Ilkay Gündogan befragt wird, die er für ihren Auftritt mit dem Autokraten Erdogan, zumindest indirekt, kritisiert – und zugleich in Schutz nimmt. „Das ist einfach ein Zwischending“, sagt er. „Der eine verurteilt die Aktion, das kann man bestimmt auch. Auf der anderen Seite hätte er es trotzdem gern, dass sie Deutschland zum Titel schießen. Das ist dann ein Konflikt, der funktioniert nicht.“

Deutsche Titelchancen? Kroos mahnt zur Demut

Kroos spricht solche Sätze mit der gleichen Autorität, die seine Auftritte als Fußballer auszeichnen – und mit der Aura des Unantastbaren. Vor drei Wochen hat er mit Real zum dritten Mal hintereinander die Champions League gewonnen. Das hat sein Standing noch verbessert. Kroos verfügt über ein gesundes Selbstvertrauen, ein natürliches Selbstverständnis, das trotzdem nichts Arrogantes hat. Als er vor drei Monaten nach dem 0:1 im Testspiel gegen Brasilien vor allen verfügbaren Mikrofonen sein Missvergnügen über den Auftritt der Mannschaft äußerte, nahmen seine Mitspieler das eher demütig denn verärgert zur Kenntnis.

Auch kurz vor dem ersten Gruppenspiel gegen Mexiko gibt sich Kroos hinsichtlich der deutschen Titelchancen bei der WM zurückhaltend, ohne die alarmistische Stimmung weiter zu befeuern. „Die letzten Monate haben gezeigt, dass wir mit Demut an die WM rangehen sollten“, sagt Kroos. „Sie haben gezeigt, dass wir uns erstmal den Aufgaben in der Gruppe widmen sollten.“ Mexiko ist vermutlich gleich der schwerste der drei Vorrundengegner. Ein Problem? Natürlich nicht! „Für den Kopf ist es gut, sofort da zu sein“, sagt Toni Kroos. Bei ihm besteht da wohl der geringste Zweifel.

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