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Nationalspieler von Borussia Mönchengladbach - noch: Christoph Kramer.

© imago

Nationalspieler Christoph Kramer im Interview: "Mattuschka? Ein geiler Spieler"

In Leverkusen früh aussortiert, kehrt er als Weltmeister heim: Christoph Kramer über seine Leih-Karriere, Paddeln im Amazonas, Lieblingsspieler - und ob er seinem neuen Klub jetzt schaden will.

Herr Kramer, in diesem Interview soll es nicht um Ihre Gehirnerschütterung im WM-Finale gehen und auch nicht um vermeintlichen Menschenhandel in der Bundesliga.

Na, das klingt doch schon mal gut! Darüber ist ja in den vergangenen Wochen und Monaten genug geredet worden, auch von mir. Was wollen Sie denn sonst wissen?

Das Erfolgsgeheimnis der Christoph-Kramer-Story. Wie man es schafft, seine Karriere systematisch über Leihgeschäfte zu planen. Sie haben Leverkusen als Jugendspieler verlassen und kehren im Sommer nach Stationen in Bochum und Mönchengladbach wieder zurück. Als Weltmeister!

In den vergangenen vier Jahren hat ein Rädchen ins andere gegriffen. Für mich, aber auch für Leverkusen. Es ist schon perfekt, wenn du vor vier Jahren einen Spieler aus der eigenen Jugend mit einem Marktwert von 100 000 Euro verleihst und ihn jetzt mit einem Marktwert von zwölf Millionen zurückbekommst.

Am Samstag spielen Sie mit Gladbach gegen Bayer in einem Endspiel um die direkte Qualifikation für die Champions League.

Ach Endspiel … Sagen wir mal so: Wenn wir gewinnen, dann war es eins, sonst ist für uns immer noch alles drin.

Für uns heißt: für Gladbach?

Na klar! Noch bin ich mit Herz und Kopf bei Borussia Mönchengladbach. Es sind bei Bayer ja nicht mehr viele Spieler da, die ich aus meiner Zeit kenne. Auf dem Platz blendest du so was ohnehin aus.

Sie kommen zwar aus Solingen, sind aber schon in frühster Kindheit gescoutet worden. Was war denn am achtjährigen Christoph so besonders, dass sich Bayer Leverkusen für ihn interessiert hat?

Der achtjährige Christoph Kramer hat Tore am Fließband geschossen. Ja, lachen Sie ruhig, das kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Bayer hat mich bei einem Hallenturnier beobachtet, da habe ich Tore geschossen, das war unfassbar! Bei Bayer haben sie mir Fußball beigebracht und damit die Basis für das geschaffen, was ich heute bin.

Und doch sind Sie nach der C-Jugend weggeschickt worden. Was hat in dieser Karrierephase nicht gestimmt?

Lassen Sie mich ein schönes Wort dafür wählen – ich war zu undurchsetzungsfähig, das klingt doch gut, oder? Wenn du nicht besonders groß und kein Mario Götze bist, hast du es im zentralen Mittelfeld eben schwer. Wenn ich jetzt zehn Zentimeter kleiner wäre, dann wäre ich wahrscheinlich kein Bundesliga-Spieler. Ich mache da Bayer keinen Vorwurf, ich hätte mich damals auch aussortiert. Das mit der Größe war der offizielle Grund.

Und der inoffizielle?

Ich war einfach zu schlecht. Fußball ist in erster Linie Kopfsache, und ich hatte in dieser Zeit einfach kein Selbstbewusstsein. Das ist schon bitter, wenn du in der C-Jugend, mitten in der Pubertät, der Schlechteste bist und dich nicht traust, in der Kabine mal was zu sagen. Das war keine coole Zeit.

Wie haben Sie in den beiden Jahren in Düsseldorf die Trendwende geschafft?

Die andere Umgebung hat gut getan. Du kommst in eine neue Mannschaft, startest bei null und hast gleich ein ganz anderes Standing. Nach zwei Jahren war ich so gut, dass Sascha Lewandowski mich zu Bayer zurückgeholt hat.

Nach der Ausbildung sind Sie 2011 als 20-Jähriger nach Bochum gegangen, kurz nach zwei für Ihre spätere Karriere nicht ganz unbedeutenden Relegationsspielen. Bochum gegen Mönchengladbach...

Oh ja, und wissen Sie was? Ich habe Gladbach die Daumen gedrückt, obwohl ich schon in Bochum zugesagt hatte. Aber ich wollte unbedingt in der Zweiten Liga spielen, denn die Bundesliga habe ich mir zu dieser Zeit noch nicht zugetraut. Im Rückblick waren die beiden Jahre für meine Entwicklung Gold wert. Die familiäre Atmosphäre, die vielen Leute, die wirklich gekommen sind, um sich unsere Spiele anzuschauen: Das hat mir Mut gegeben für den nächsten Schritt.

Was sprach bei diesem nächsten Schritt für Gladbach?

Vor allem die Nähe, ich bin ein Kind des Westens. Auch Benfica Lissabon war interessiert an mir, aber das wollte Leverkusen nicht. Dann gab es ein sehr interessantes Angebot vom SC Freiburg. Ich schätze das Konzept von Christian Streich sehr. Aber mit Gladbach und Lucien Favre habe ich wohl alles richtig gemacht. Mein erstes Spiel war im DFB-Pokal in Darmstadt. Wir sind rausgeflogen, gegen einen damaligen Drittligisten, und das Normalste der Welt wäre doch gewesen, dass er mich rausnimmt, ich hatte ja keinen Namen. Aber Favre hat die halbe Mannschaft ausgetauscht und mich drinnengelassen. Das war schon krass!

Marco Reus hat von Favre gelernt, beim Dribbling auf die Füße des Gegners zu achten, um auf der richtigen Seite vorbeizukommen. Nehmen Sie auch eine ganz spezielle Erinnerung mit?

Na klar. Favre achtet wie kein anderer auf die Kleinigkeiten. Von ihm weiß ich: Wenn der Gegner rechts an mir vorbeigehen will, dann blocke ich nicht mit dem rechten Fuß, sondern mit dem linken. Damit bin ich die entscheidende Zehntelsekunde schneller. Zwischen Zweiter Liga und Weltklasse liegen oft nur Nuancen. Schauen Sie sich Andrea Pirlo an, bei dem passen alle Kleinigkeiten. Deswegen ist er Weltklasse, obwohl viele Drittligaspieler schneller sind als er oder höher springen können.

DVD-Abende, Verabredungen und Vorbild Mattuschka

Kampf mit sich selbst. Kramer kann am Samstag mit Gladbach sich und seinen künftigen Klub Leverkusen die Champions League verbauen.
Kampf mit sich selbst. Kramer kann am Samstag mit Gladbach sich und seinen künftigen Klub Leverkusen die Champions League verbauen.

© imago/Horstmüller

Welche Kleinigkeiten würden Sie denn gern an sich verbessern?

Ach, da gibt es einiges. Ich würde gern schneller antreten und besser schießen können. Und ich wünschte, ich hätte ein linkes Bein, mit dem ich mehr kann als nur laufen und stehen. Es gibt noch reichlich Luft nach oben. Mal sehen, ob ich diese Luft ausschöpfen kann.

Was wird Gladbach fehlen, wenn Sie nicht mehr da sind?

Ein Sechser. Einer, der sich in den Dienst der Mannschaft stellt, der viel läuft und auf dem Platz nicht ganz so dumm ist.

Kann man Fußballintelligenz lernen?

Die muss man haben. Ich konnte schon immer ganz gut antizipieren, wo der Ball runterfällt. Thomas Müller beherrscht das in Perfektion. Seit meiner Zeit unter Sascha Lewandowski in der Leverkusener A-Jugend versuche ich, Fußball anders zu verstehen – und ich glaube, ich habe das ganz gut verstanden.

Lucien Favre bildet sich fort, indem er stundenlang DVDs schaut.

Das mache ich auch ganz gern. Ich mag es, mich auf dem Platz zu sehen. Also, das ist jetzt nicht so bierernst gemeint, aber wenn ich zu Hause entspanne und etwas esse, schaue ich mir ganz gerne ein Fußballspiel an. Und dabei sehe ich natürlich, was ich gut und was ich schlecht gemacht habe.

Wen sehen Sie denn noch gern außer sich selbst?

Torsten Mattuschka, früher Union Berlin, jetzt Energie Cottbus. Wegen ihm hab ich mir letztens im Fernsehen ein Drittligaspiel angeschaut. Ein geiler Spieler! Oder Stefan Effenberg. Letztens erst habe ich mir das Champions-League-Finale von 2001 angeschaut, Bayern gegen Valencia. Effenbergs Übersicht und Körpersprache – unglaublich!

Verraten Sie uns doch mal, wie die Christoph-Kramer-Story weitergehen wird.

Schaun mer mal. Ich bin Bundesliga-Spieler und damit weit über meinen früheren Erwartungen, deswegen mache mir keinen Druck. Ich wollte immer Titel gewinnen. Dass es mal die WM sein würde, war ja nicht zu erwarten.

Sie haben die Latte für kommende Erfolge sehr hoch gelegt ...

Ja, das stimmt wohl. Aber es gibt doch nichts Schöneres, als mit 24 Weltmeister zu sein und das ganze Leben noch vor sich zu haben. Ich will aus mir den besten Fußballspieler machen, der in mir steckt. Wenn ich dann mit 30 erkennen muss, dass ich immer noch nicht mit links schießen kann, dann ist das eben so. Aber ich glaube, dass man so viel trainieren kann und vor allem richtig trainieren kann, dass man irgendwann alles perfektioniert. Ich weiß nicht, ob das jetzt der beste Christoph Kramer ist, den es geben kann. Aber ich habe ja noch reichlich Zeit, das herauszufinden.

Und jenseits vom Fußball?

Gibt es auch so einiges. Wissen Sie, meine beiden besten Freunde waren gerade in Südamerika. Nicht einfach so zur WM, die waren zehn Monate unterwegs und haben den gesamten Kontinent bereist. Zum Abschied hatten wir uns aus Spaß verabredet: Bis zum Juli beim WM-Finale im Maracana! Das war im Oktober 2013. Da konnte ja noch keiner ahnen, was mal mit mir passieren würde.

Haben Sie die Verabredung eingehalten?

Natürlich! Die beiden sind nach Brasilien gekommen, und ich hab ihnen Tickets besorgt, sie haben alle deutschen Spiele gesehen, auch das Finale im Maracana. Später haben sie mir Fotos gezeigt, wie sie in Hängematten übernachtet haben oder mit einem selbst gebauten Boot über den Amazonas gefahren sind. Da war ich schon ein bisschen neidisch. Aber mich hat es ja auch nicht so schlecht getroffen.

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