zum Hauptinhalt
Rolfes

© ddp

Nationalspieler Rolfes: "Der Schmerz hält mich immer auf Trab"

Simon Rolfes gilt vielen als stärkster deutscher Feldspieler dieser Bundesligasaison, in der Nationalelf aber war er oft nur Ersatz. Der Leverkusener über seine Chance, für die EM nominiert zu werden, seinen Stand beim Bundestrainer und seine Karriereplanung.

Herr Rolfes, haben Sie aus dem EM-Album von Panini schon das Sammelbild von Simon Rolfes?

Von Panini noch nicht, aber ich habe mir vor kurzem eine Zehnerpackung Duplo gekauft – da habe ich mich gefunden.

Dass es von Ihnen EM-Sammelbilder gibt – macht Sie das zuversichtlich, morgen von Bundestrainer Joachim Löw für den EM-Kader nominiert zu werden?

Keine Ahnung, ich weiß ja nicht, wer die Spieler ausgesucht hat, ob der DFB die Namen weitergegeben hat oder Panini selbst. Ich glaube, dass ich gute Chancen habe – unabhängig von Panini oder Duplo oder irgendwelchen Umfragen. Ich besitze da großes Vertrauen.

Was macht Sie so sicher?

Mit Bayer Leverkusen spiele ich insgesamt eine gute Saison, und bei der Nationalmannschaft bin ich das ganze Jahr über eingeladen gewesen. Ich habe zwar nicht immer von Beginn an gespielt, bin aber häufig eingewechselt worden und habe meine Sache ordentlich gemacht. Ich würde schon sagen, dass ich mich in der Nationalmannschaft gut etabliert habe.

Sie haben trotzdem erst neun Spiele gemacht, obwohl Torsten Frings lange verletzt war. Sind Sie sicher, dass der Bundestrainer Sie und Ihr Spiel wirklich schätzt?

An Torstens Stelle hat häufiger Thomas Hitzlsperger gespielt. Der hat ein ganz anderes Standing, weil er einfach viel länger bei der Nationalmannschaft dabei ist. Ich habe meine Chancen eher als Einwechselspieler bekommen. Über den Weg versuche ich weiter, mir höhere Spielanteile zu erarbeiten. Ich glaube nicht, dass der Bundestrainer meine Spielweise oder irgendetwas sonst an mir nicht mag. Gerade dass er mich immer wieder gebracht hat, zeigt mir, dass er dahinter auf mich setzt.

Der Bundestrainer macht den Nationalspielern klare Vorgaben, was sie verbessern müssen. Was hat er von Ihnen verlangt?

Torgefährlich werden, einfach aus dem Mittelfeld heraus nach vorne spielen, präsent sein und das Spiel schnell machen.

Beobachten Sie, wie Ihre Konkurrenten um den EM-Platz in dieser Saison spielen?

Ich verfolge ganz normal die Bundesliga, und bei Spielern, die ich kenne, registriere ich auch, ob sie Tore machen oder nicht. Aber da ist es egal, ob das ein Mittelfeldspieler ist, ein Verteidiger oder ein Stürmer. Ich interessiere mich für die Spieler, die ich persönlich kenne.

Tim Borowski zum Beispiel.

Ja, Tim kenn ich besser als viele andere. In Bremen hat er im Internat das Zimmer geräumt, in das ich dann eingezogen bin.

Es könnte sein, dass es für Joachim Löw auf die Entscheidung hinausläuft: Rolfes oder Borowski.

Ich finde, dass wir unterschiedliche Spielertypen sind. Ich bin doch etwas defensiver geprägt. Und bei den Amateuren von Werder haben wir schon zusammengespielt, das hat wunderbar funktioniert.

Haben Sie keine Angst, dass die Krise von Bayer Ihre EM-Chancen gefährdet?

In guten Phasen profitiert jeder von der Mannschaft, in schlechten zieht man sich gegenseitig ein bisschen runter. Aber das ist gerade die Herausforderung. Als Kapitän bei Bayer stehe ich in der Verantwortung, dass es wieder aufwärts geht. In solchen Phasen musst du wachsen. Einen Schritt in deiner Persönlichkeitsentwicklung machst du nur, wenn es nicht läuft. In der Hinserie lief alles toll bei uns, da wurden wir alle gefeiert. Jetzt müssen wir mit dem Misserfolg klarkommen.

Macht Sie das auch als Fußballer besser?

Mit Sicherheit. Sie können sich jeden Weltklassespieler anschauen: Jeder hat in seiner Karriere negative Höhepunkte erlebt, bei keinem ist die Karriere glatt durchgegangen. Michael Ballack zum Beispiel, der hat 2000 im letzten Spieltag ein Eigentor geköpft – deshalb ist Bayer Leverkusen nicht Deutscher Meister geworden. Natürlich muss man das nicht haben, aber ich glaube, dass man als Fußballer nur durch solche Negativerlebnisse noch mal einen Sprung nach vorne macht.

Sind Sie auf den Fall vorbereitet, dass der Bundestrainer Sie am morgigen Freitag nicht nominiert?

Nein. Wenn es so käme, würde ich auch daraus das Beste machen, keine Frage. Aber meine Konzentration liegt auf dem letzten Bundesligaspiel und dann der EM- Vorbereitung. Ich spüre eine gewisse Anspannung und Vorfreude. Mit dem anderen Fall habe ich mich nicht beschäftigt.

Können Sie gut mit Rückschlägen umgehen?

Ich glaube ja. In Bremen lief es überhaupt nicht für mich, zwei Jahre lang bin ich nicht einen Schritt vorangekommen – da musste ich mich richtig rauskämpfen, und das habe ich geschafft. Dass ich das schon mal über einen längeren Zeitraum mitgemacht habe, hilft mir jetzt auch in Situationen, in denen es temporär mal nicht so läuft. Es gibt mir Stärke.

Besitzen Sie mentale Strategien, um Rückschläge zu verarbeiten?

Man muss es auf jeden Fall lernen. Mit 18 konnte ich das nicht, weil ich auf eine solche Situation einfach nicht vorbereitet war. Du hast irgendwo auf einem Nebenplatz gekickt, dann wirst du Profi, und plötzlich geht es richtig los. Als junger Spieler musst du damit erst einmal fertig werden. Das Wichtigste ist, dass du dir selbst vertraust – gerade wenn es nicht läuft. Diese Stärke musst du in schlechten Phasen entwickeln.

Sie sind von Bremen nach Reutlingen in die Zweite Liga gegangen. Hatten Sie die Nationalmannschaft zu diesem Zeitpunkt zumindest noch im Hinterkopf?

Das weiß ich gar nicht mehr. Die Bundesliga war immer das Ziel, deshalb bin ich nach Aachen gegangen. Die Nationalmannschaft ist eigentlich erst mit dem Wechsel nach Leverkusen aktuell geworden. Da habe ich mir gesagt: Okay, wenn ich mich in der Bundesliga etabliere, in Leverkusen, in einer Top-Mannschaft, dann könnte es auch mit der Nationalmannschaft noch etwas werden.

Schon vor der WM 2006 galten Sie als Kandidat für die Nationalmannschaft. Haben Sie damals selbst gehofft?

Ich hatte eigentlich nie das Gefühl, ein Überraschungskandidat sein zu können. Es stimmt, ich habe in der Saison vor der WM eine gute Rückserie gespielt und in den letzten Bundesligaspielen viele Tore gemacht. Aber ich hatte längst nicht diese Konstanz auf hohem Niveau, nicht diese Präsenz: Ich war noch nicht so weit, um in ein solches Turnier zu gehen, so wie ich es jetzt bin.

Was haben Sie seit der WM 2006 in Ihrem Spiel verbessert?

Ich bin viel stabiler geworden, spiele deutlich aggressiver nach vorne, bin spielbestimmender.

Sie haben auch deutlich mehr Tore geschossen.

Das ist kein Zufall, das habe ich mir vorgenommen.

So einfach ist das?

Jein. Es ist eine Einstellungssache. Wenn du dir sagst: Ich will vorne präsent sein und den Abschluss suchen, ergeben sich einfach mehr Situationen, in denen man torgefährlich werden kann. Wenn du dir nur sagst: Okay, ich bin dafür zuständig, nach hinten abzusichern, wird es diese Gelegenheiten vermutlich nicht geben.

Sie haben also nicht im Training speziell den Torabschluss geübt?

Überhaupt nicht. Es geht darum, im Kopf immer auf den entscheidenden Moment vorbereitet zu sein und die Chancen entschlossen zu nutzen. Ob du dann wirklich das Tor machst, ist eine andere Frage.

Sie sind ein sehr rationaler Mensch, oder?

Ja, doch.

Einer, der seine Karriere sehr zielstrebig geplant hat.

Das kann man so sagen. Ich habe versucht, mich ständig weiterzuentwickeln, Schritt für Schritt. Nach einer Saison schaue ich immer noch mal zurück: Was war gut? Wo hast du dich verbessert? Woran hast du in bestimmten Phasen gearbeitet und mit welchem Erfolg?

Wie analysieren Sie sich und Ihr Spiel?

Das ist mehr gefühlsmäßig. Du merkst ja selbst, in welchen Situationen es noch hapert, was du gut gemacht hast, was dein Spiel ausgezeichnet hat. Ich habe Bilder im Kopf, die dann ablaufen: Das können herausragende Aktionen von mir selbst sein, aber auch von anderen Spielern, von denen ich mir vielleicht noch was abschauen kann. So gehe ich das durch.

Sie waren für viele Experten in dieser Saison der stärkste deutsche Feldspieler der Bundesliga. Wie viel Mühe bereitet es Ihnen, nicht mit sich zufrieden zu sein?

Fehler werden im Erfolg gemacht. Deshalb ist es das Schwierigste, im Erfolg die tägliche Arbeit zu machen und die Routine beizubehalten. Die Zeit in Bremen hat mich in dieser Hinsicht sehr geprägt. Zwei Jahre auf der Tribüne zu hocken und nur zuzugucken, wenn die anderen auf der großen Bühne spielen – das hat schon wehgetan. Dieser Schmerz hält mich immer auf Trab.

Ist auch Wut Ihr Antrieb?

Nein.

Sie haben mal gesagt: Thomas Schaaf hat mich verkannt.

Das habe ich gesagt, als ich noch in Aachen in der Zweiten Liga gespielt habe und das Gefühl hatte, ich hätte bei Werder wenigstens mal eine Chance in der Bundesliga verdient gehabt. Inzwischen ist es müßig, darüber zu diskutieren, ob es so war. Die fünf Spiele, die ich vielleicht bekommen hätte, hätten mich auch nicht weitergebracht. Und jetzt ist es egal, ob ich 94 oder 99 Bundesligaspiele bestritten habe. Heute bin ich eigentlich froh über die Zeit in Bremen, weil ich da viel gelernt habe und viel mitnehmen konnte.

Das Gespräch führte Stefan Hermanns.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false