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James galt einst als Jahrhunderttalent – und hat dieses Versprechen tatsächlich gehalten.

© AFP

NBA-Finals: LeBron James: Einer gegen alle

Basketball-Star LeBron James wird bereits mit Michael Jordan verglichen – dabei droht ihm die nächste Niederlage in den NBA-Finals.

LeBron James sieht die Folgen seines unermüdlichen Einsatzes, ja, seiner Besessenheit im Moment jeden Morgen. Wenn der Basketball-Profi der Cleveland Cavaliers in den Spiegel schaut, blickt er in ein gesundes und ein lädiertes, extrem rot unterlaufenes Auge. Im ersten Match der Finalserie der US-amerikanischen National Basketball Association (NBA) hat ihn Draymond Green von den Golden State Warriors vor kurzem unglücklich mit dem Finger im Gesicht erwischt; seither wirkt James so furchteinflößend, dass er gut und gerne als Bösewicht in einem Horrorfilm durchgehen würde. „Es sieht zwar nicht besser aus“, sagt der 33-Jährige, „aber die Ärzte haben mir gesagt, dass es besser geworden ist.“ James nimmt nun also die Medikamente, die man ihm verschrieben hat, und hofft auf Beistand von höheren Instanzen. „Es ist das Auge, das braucht Zeit“, sagt er, „das kann ich ja nicht kühlen, um die Heilung zu beschleunigen.“

Streng genommen ist das lädierte Auge noch das mit Abstand kleinste Übel, das James seinem Körper in dieser Saison zugemutet hat. James ist gewissermaßen der Duracell-Hase der weltbesten Basketball-Liga: er spielt und spielt und spielt, zumal auf unfassbar hohem Niveau. Das dritte Duell der Finalserie 2018, das in der Nacht zu Donnerstag in Cleveland stattfindet (3 Uhr, live bei DAZN), wird James’ 103. Spiel in dieser Saison sein – wohl gemerkt seit dem 17. Oktober. Erstmals in seiner 15-jährigen NBA-Karriere hat der Mann aus Akron im US-Bundesstaat Ohio alle 82 Spiele der regulären Saison bestritten – und seitdem die Play-offs laufen, ist er ohnehin im Dauereinsatz. Im entscheidenden siebten Spiel des Halbfinals gegen die Boston Celtics etwa stand James volle 48 Minuten auf dem Feld. Sein Coach Tyronn Lue gönnte ihm keine Sekunde Verschnaufpause. Oder besser gesagt: Lue konnte es sich gar nicht leisten, auf seinen allesüberragenden Akteur zu verzichten.

Seinen Rücken ziert eine großspurige Tätowierung: „Chosen1“ – der Auserwählte

Wirklich erstaunlich ist allerdings, dass sich James trotz der Belastung, trotz der gewaltigen Verantwortung, ein Team praktisch allein zu tragen, auf dem Zenit seiner Schaffenskraft befindet und von Jahr zu Jahr stärker wird. Die Endspielserie gegen Golden State ist sein achtes NBA-Finale in Folge, seit 2010 war er immer dabei. In den 20 Play-off-Spielen der Saison 2017/18 gelangen James neun Mal mehr als 40 Punkte, im ersten Finale gegen Titelverteidiger Golden State waren es sogar deren 51. Nur fünf Spieler haben je mehr in einem NBA-Finalspiel erzielt – trotzdem verloren die Cavaliers das Match auf denkbar dramatische Art und Weise nach Verlängerung. James sprach folgerichtig von „einer der härtesten Niederlagen meiner Karriere“.

Einer gegen alle – mit dieser Taktik ist im Jahr 2018 eben nicht mehr viel zu holen in der NBA. Wenn die Cavaliers in der Nacht zu Donnerstag auch das dritte Finalspiel gegen die Warriors verlieren, können sie die Meisterschaft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abhaken. In der Geschichte der NBA hat es bisher kein Team geschafft, einen 0:3-Rückstand noch umzubiegen. „Wir müssen dieses Spiel unbedingt gewinnen, das weiß jeder“, sagt James. Andernfalls droht dem Ausnahmebasketballer bereits die sechste Niederlage in den NBA-Finals. Dieser Bilanz stehen bislang lediglich drei Titel (2012, 2013, 2016) gegenüber – ein Wert, der so gar nicht zum Selbstverständnis des Überathleten passt, der auf dem Rücken eine ebenso großflächige wie großspurige Tätowierung trägt: „Chosen1“ – der Auserwählte.

Noch vor seinen ersten NBA-Punkten hatte er einen Werbevertrag über 100 Millionen Dollar

Seine überschaubare Final-Ausbeute führen Kritiker immer wieder gegen James ins Feld, wenn es um die historische Einordnung seiner Leistung geht. Dass James der dominanteste und aufregendste Basketballer seiner Epoche ist, wird niemand ernsthaft bestreiten können. Neuerdings aber wird er sogar immer häufiger mit dem Größten seines Fachs verglichen, mit Michael Jordan. Bislang galt es unter Fans und Beobachtern als ausgemachte Sache, dass erst mal ein Sportler auf die Bildfläche treten muss, der dem Status des Über-Basketballers – sechsfacher NBA-Champion bei sechs Final-Teilnahmen, Olympiasieger, weltweite Werbeikone – überhaupt gefährlich werden kann. Nun ist die Debatte neu entflammt. LeBron James klopft an die Tür.

James ist im physischen Bereich noch stärker als der für seinen Ehrgeiz legendäre Michael Jordan. Als er mit 18 Jahren in die NBA kam, sah er nicht aus wie ein Neuling, sondern wie ein Veteran. Seither hat James noch einmal ein paar Kilogramm Muskelmasse draufgepackt und die Erwartungen erfüllt, die man einst mit ihm verband. James galt schon an der High School als Jahrhunderttalent; bevor er seine ersten NBA-Punkte erzielte, hatte er bereits einen Werbevertrag über 100 Millionen Dollar abgeschlossen.

Gemessen an diesem Druck hat James eine beeindruckende Karriere hingelegt – egal, wie die Finalserie im Jahr 2018 auch ausgehen mag.

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